Die Welt, in der wir leben. Wilfried Nelles

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Die Welt, in der wir leben - Wilfried Nelles Edition Neue Psychologie

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Hinweisen.

      .Wir wissen nicht, woher das Leben kommt und wohin es geht. Ebenso wenig wissen wir, wie menschliches Bewusstsein entstanden ist. Das bedeutet: Das Leben ist ein Mysterium. Im Tiefsten wissen wir nichts. Dieses Nichtwissen ist unser Grund. Wer sich in der Wirklichkeit einrichtet, muss sich mit dem Nichtwissen, dem Grundlosen und Bodenlosen, anfreunden.

      .Das Leben selbst ist unser Ursprung, die Eltern (Mann und Frau gemeinsam) sind lediglich das Tor, durch das das Leben sich manifestiert und erhält. Die Eltern sind dem Kind gegeben, wie sie sind, und das Kind ist den Eltern gegeben, wie es ist. Das wichtigste dabei ist, dass das Leben ja zu dir gesagt hat und immer noch sagt – wäre es anders, würdest du nicht leben. Also ist es das Klügste und Beste, auch zum Leben – zu genau dem Leben, das du bist – ja zu sagen. Ob deine Eltern auch ja gesagt haben, ist zwar im kindlichen Gefühl sehr wichtig, in der erwachsenen Sicht jedoch sekundär. Zumindest die Mutter hat schlussendlich ja zu dir gesagt, denn sie hat dich – was auch immer sie dabei gedacht oder gefühlt haben mag – geboren.

      .Wenn man genau hinschaut, muss man sehen und anerkennen, dass wir keinerlei Einfluss darauf haben, wer oder was wir sind. Das heißt, wir können uns und unser Leben nicht selbst, nach unseren eigenen Vorstellungen, entwerfen, bestimmen und machen. Alles, was geschieht in unserem Leben, alles, was wir sind oder werden, ist uns geschickt, ist Schicksal. „Selbstbestimmung“ ist Illusion. Das ist einerseits eine erschreckende Tatsache, insbesondere für moderne Menschen, andererseits aber, wenn man sich ganz darauf einlässt, etwas zutiefst Erleichterndes. Du bist, wer du bist, und kannst und musst nicht anders sein oder werden. Das ist Entspannung.

      .Die Zeit im Mutterleib und die Geburt haben uns zutiefst geprägt. Auch dies können und müssen wir nicht ändern. Wer es versucht, kämpft gegen sich selbst. Wer es lässt, wird gelassen. Man mag seine „Macken“ oder Schwächen haben und behalten, aber die fallen dann weniger ins Gewicht.

      .Es ist aber nicht so, dass man aus seiner Geschichte ableiten könnte, welche Probleme jemand im Leben bekommt. Jeder geht anders damit um. Man kann nicht sagen: Wer im Brutkasten war oder per Kaiserschnitt geboren ist, wird dieses oder jenes Problem haben. Das Wichtigste wird bei solchen Geschichten meist vergessen: Du lebst! Und wir leben so lange, wie das Leben uns will.

      .Wer das sieht, wird auch sehen, dass er sich nicht sorgen muss. Der Satz von Jesus über die Vögel, die nicht sähen und nicht ernten und singend jeden Tag begrüßen, drückt dies aus. Man kann seine Sorgen und Ängste aber nicht vertreiben. Wenn sie da sind, behandeln Sie sie wie alte Gefährten, nehmen Sie sie an der Hand und lassen sie bei Ihnen sein. Gehen Sie mit der Angst in den Keller (oder ins Flugzeug), laden Sie sie ein – dann wird sie weniger, vielleicht vergessen Sie sie sogar.

      .Und vergessen Sie dabei nicht: Wir wurden gezeugt und geboren, weil wir da sein sollen; wir leben, weil wir leben – und zwar so lange, wie das Leben von sich aus dauert. Kontrolle ist Stress und Kontrolle ist Unsinn.

      .Das Spüren, die Wahrnehmung mit den Sinnen, ist unsere primäre Verbindung zur Welt, zu unserem Körper und zu unserer Lebendigkeit. Bei vielen ist sie verschüttet oder vergessen. Man kann und sollte das beleben. Daraus speist sich unsere elementarste Lebensfreude. Also: Anstatt zu essen und zu trinken, was der Zeitgeist oder Gesundheitsberater (das sind meistens kranke Leute; schauen Sie mal darauf, wie viel Lebensfreude diese Menschen ausstrahlen) einem sagen, essen und trinken Sie, was Ihnen schmeckt. Bewegen Sie sich so, wie es Ihnen passt und Sie Lust haben. Für einen ist langsam richtig, für andere schnell, für einige ist wenig gut, für andere viel. Dasselbe gilt für alle anderen sinnlichen Vergnügungen: schauen und tun Sie, was Sie mögen. Wenn der Körper etwas davon nicht mag oder verträgt, wird er es Ihnen mitteilen. Dann können Sie Ihrem Körper folgen.

      .Die Zeit der Einheit und der Verschmelzung ist vorbei. Einheit kann man nur dann wirklich erfahren, wenn man Zweiheit kennt. Das gilt es zu sehen und zu akzeptieren, vor allem in Beziehungen. Zweiheit (auch Zweisamkeit) setzt Getrenntheit voraus. Lieben können wir nur das Andere und den Anderen. Für die Liebe braucht man Abstand. Und für die Lust erst recht.

       Stufe 2: Die Kindheit – Das Gruppenbewusstsein

       Die Welt des Kindes

       Der Weltenwechsel

      Wie sieht die Welt des Kindes aus? Wie ist sie objektiv beschaffen, und wie sieht und erlebt sie ein Kind? Was ist seine Perspektive, sein Standort, von dem aus es schaut? Wie wird sein Blick beeinflusst – durch das, was es aus der Zeit vor der Geburt und dem Erleben bei der Geburt schon mitbringt, durch die Position, die es in dieser neuen Welt einnimmt, und schließlich und nicht zuletzt durch die Menschen, bei denen es aufwächst und durch die Art und Weise, wie sie ihm die Welt zeigen und erklären und was sie ihm über es selbst sagen, und durch die Art, wie sie selbst leben und handeln? Und was macht diese kindliche Welt, was macht das, was ein Kind in dieser Welt erlebt und in sich aufnimmt, mit dem Menschen, zu dem es später wird, mit dem Erwachsenen? Wie beeinflusst unsere kindliche Welt (unser „inneres Kind“) unser weiteres Leben?

      Um die Welt des Kindes zu verstehen, gehe ich noch einmal zurück zur Geburt. Ich habe sie ja vorhin als Weltenwechsel bezeichnet. Wie tiefgreifend dieser Wechsel ist, können wir uns wohl gar nicht vorstellen. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Mensch ein ganzes Jahr braucht, um auf eigenen Beinen zu stehen, während dies bei allen anderen Säugetieren (biologisch sind wir ja Säugetiere) schon nach einigen Stunden der Fall ist. Man kann dies natürlich rein physiologisch damit erklären, dass der menschliche Körper noch nicht so weit entwickelt ist, wie das bei Tieren der Fall ist. Aber warum ist das so? Mir scheint noch etwas anderes dahinter zu stecken, nämlich das menschliche Bewusstsein.

      Ein Tier betritt die neue Welt nur mit seinem Körper, ein Mensch betritt sie auch mit seinem Bewusstsein. Es ist nicht nur – ich meine: nicht einmal in erster Linie – der Körper, der sich darin zurechtfinden muss, sondern auch und vor allem das Bewusstsein. Wir sind nicht, wie ein Tier, mit dem Instinkt mit der Mutter und dann auch mit der Welt verbunden, sondern wir müssen diese ganze neue Welt, angefangen bei der Mutter, in unser Bewusstsein nehmen. Der Weltenwechsel muss in unserem Bewusstsein ankommen und von diesem verarbeitet werden, wir müssen nicht nur physisch, sondern auch und vor allem seelisch und geistig in die neue Welt hineinwachsen. Das geht nicht von heute auf morgen, dazu braucht es Zeit.

      Mit der Geburt tritt der Mensch in sein eigenes körperliches Leben ein, abhängig zwar, aber losgelöst, verbunden, aber nicht mehr verschmolzen. Was vorher das Umgebende war, in das man ganz eingelassen war, ist nun ein Anderes, ein Gegenüber, das getrennt von einem existiert und von dem man selbst getrennt ist. Nach wie vor ist die Mutter die ganze Welt, aber ich bin nicht mehr Teil von ihr. Anstelle der Symbiose tritt die Bindung. Wir sind jetzt zwei, und wir können uns aufeinander beziehen. Das Kind beginnt nun, die Mutter von außen zu entdecken, mit den Händen, dem Mund, der Nase und allen anderen Sinnen. Diese Sinne signalisieren ihm ganz genau, ob der Mensch, der es im Arm hält, seine Mutter ist oder nicht. Und schon nach kurzer Zeit beginnt es auch, ihre Gefühle wahrzunehmen und damit selbst sein Fühlen zu entwickeln – etwa wenn die Mutter lächelt und liebevoll mit ihm redet oder brabbelt (sie mag mich, ich bin willkommen) oder wenn sie im Gegenteil gestresst, genervt oder gar zornig ist (sie mag mich nicht, ich bin schlecht, ich bin eine Last, …). Die Mutter und später der Vater dienen dem Kind als Spiegel, um sein eigenes Menschsein zu entdecken und seine eigenen Gefühle zu entwickeln.

      Bis zum Erkennen der Mutter als eigene Person dauert es noch eine Weile – und bis zum Erkennen von sich selbst als Person ebenfalls –, aber das Kind muss sich bemerkbar machen, Bedürfnisse äußern und auf vielfältige Weise Kontakt aufnehmen. Die Zeit, wo für alles gesorgt war, ist vorbei, und zwar unwiderruflich. Die neue Freiheit verlangt von dem Kind, dass

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