Sophienlust 315 – Familienroman. Anne Alexander
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»Also ein Engländer«, sagte Harald nachdenklich. Er spielte mit seinem Teelöffel.
»Ich hoffe, das ändert nichts an Ihrem Entschluß, Herr Walter«, meine Denise, erschrocken über Haralds kurze Bemerkung.
»Für wen halten Sie mich, Frau von Schoenecker?« fragte der junge Mann. »Natürlich ändert dies nichts an unserem Entschluß, Melissa zu adoptieren.« Er lachte auf. »Was meinen Sie, was mir meine Frau erzählen würde!«
»Darauf kannst du dich verlassen!« drohte Christine.
»Sie dürfen mich nicht falsch verstehen, Frau von Schoenecker«, fuhr Harald fort. »Es ist nur verständlich, daß ich alles über Melissas Eltern wissen möchte. Je mehr wir über ihre Eltern wissen, um so mehr können wir uns auf sie einstellen. Wir…«
Harald wurde durch das Öffnen der Tür unterbrochen. Schwester Regine schob die kleine Melissa ins Biedermeierzimmer.
Die Kleine trug ein reizendes Spielhöschen und weiße Sandalen. Die schulterlangen Haare hatte Heidi ihr zu zwei Rattenschwänzchen zusammengebunden.
Chistine stand auf und lief ihr entgegen. »Komm zur Mutti, Meli«, lockte sie und ging mit ausgebreiteten Armen in die Hocke. »Komm, mein Schatz!«
»Schon da!« Melissa warf sich in die Arme der jungen Frau. »Meli lieb!« behauptete sie. »Meli lieb und brav.«
»Natürlich ist meine Meli lieb und brav«, bestätigte Christine. Mit der Kleinen im Arm stand sie auf.
Melissa schlang ihre Ärmchen um Christines Hals und gab der jungen Frau viele kleine Küßchen. Sie schien kein Ende zu finden.
»Und wo bleibe ich?« fragte Harald belustigt. Er kam hinter dem Tisch hervor. »Wenn du der Mami so viele Küßchen gibst, bleibt ja für den armen Papi gar nichts mehr übrig.«
Melissa strahlte ihn an. »Du Papi?« fragte sie.
Harald nickte. »Ja, ich bin dein Papi«, sagte er und streckte die Arme aus.
»Papi auch lieb!« Melissa zappelte in Christines Armen. »Meli zu Papi!« verlangte sie.
»Siehst du, was habe ich dir gesagt?« fragte Harald seine Frau und schloß die Arme um das kleine Mädchen. »Sie sagt schon Papi zu mir!«
»Wie es aussieht, hat Meli Sie bereits adoptiert«, meinte Schwester Regine zufrieden. Es tat ihr zwar leid, Melissa zu verlieren, aber sie war froh, daß die Kleine neue Eltern gefunden hatte.
»Bei ihr geht das schneller als bei uns«, seufzte Christine. »Wenn ich daran denke, daß noch mindestens ein Jahr vergehen wird, bis wir wissen, ob wir sie behalten dürfen…«
»Wenn nicht schwerwiegende Gründe vorliegen, wird man Ihnen die Kleine nicht mehr nehmen«, erklärte Denise bestimmt. »Das Jugendamt ist über jedes Kind froh, das es vermitteln kann. Aber diese Probezeit muß sein. Eltern und Kinder müssen Gelegenheit haben, sich aneinander zu gewöhnen, bevor der letzte Schritt getan wird. Eine bereits gültige Adoption rückgängig zu machen, ist ein langwieriges Verfahren, unter dem dann am meisten das betreffende Kind zu leiden hat.«
»Kommt so etwas überhaupt vor?« fragte Christine zweifelnd. Es fiel ihr schwer zu glauben, daß Eltern ein bereits adoptiertes Kind wieder zurückgaben.
»Ja, ab und zu schon«, sagte Denise. »Wir hatten vor zwei Jahren auch einmal so einen Fall. Es war eine mehr als unerfreuliche Sache.«
»Ich glaube, wir sollten Meli jetzt umziehen«, warf Schwester Regine ein. »So, wie sie aussieht, kann sie nicht mit Ihnen mitfahren.«
»Darf ich es tun?« fragte Christine, bemerkte aber sofort die Enttäuschung bei der Krankenschwester und dachte daran, wie sehr Melissa Schwester Regine ans Herz gewachsen war. »Wir könnten sie gemeinsam umziehen«, verbesserte sie sich.
»Gut!« Schwester Regine nahm Melissa von Haralds Arm.
»Will Papi!« protestierte Melissa.
»Bald wirst du den Papi für immer haben«, sagte Schwester Regine und drückte die Kleine an sich, »aber jetzt mußt du erst einmal umgezogen werden. Du wirst mit Mami und Papi eine weite Reise machen.« Sie ging mit Christine zur Tür.
»Ade, ade!« schrie Melissa winkend.
»Ade, Meli!« Harald warf ihr eine Kußhand zu.
Er wartete, bis seine Frau die Tür hinter sich und Schwester Regine geschlossen hatte, dann setzte er sich wieder zu Denise von Schoenecker und Else Rennert an den Tisch.
*
Es wurde später Nachmittag, bevor die Walters Köln erreichten. Die Rückfahrt von Sophienlust hatte viel länger gedauert als die Hinfahrt. Melissa zuliebe hatten sie zwei längere Pausen gemacht, und selbst auf der Autobahn war Harald nie über achtzig gefahren, um die Kleine nicht zu gefährden. Er war ein Mensch, der übernommene Pflichten sehr ernst nahm, und Melissa war für ihn eine Verpflichtung. Nicht nur, daß er sich vorgenommen hatte, mit ihr stets besonders vorsichtig zu fahren, nein, er dachte auch bereits darüber nach, ob er sie nicht später in eine Privatschule schicken sollte. Für Melissa würde nur noch das Beste gut genug sein.
Christine drehte sich um. Ein Lächeln verklärte ihr Gesicht. »Sie ist eingeschlafen, der kleine Schatz«, sagte sie zu ihrem Mann.
»Es war ein anstrengender Tag für sie«, meinte Harald. Er warf einen Blick durch den Rückspiegel zum Kindersitz im Fond. Wie süß die Kleine aussah, wenn sie schlief! Auch wenn der Gedanke unsinnig war, ihm kam es vor, als würde sie ein wenig Christine ähneln.
»Rot!« rief Christine und wies auf die Ampel, die vor ihnen auftauchte.
»Schon gesehen!« Harald bremste den Wagen sanft ab. Geduldig wartete er auf Grün, danm bog er in die Straße nach Heinhofen ein. Es war erst drei Wochen her, daß sie ein geräumiges Einfamilienhaus in Heinhofen, einem Vorort von Köln, bezogen hatten. Harald war froh, daß der Umzug noch vor Melissas Ankunft über die Bühne gegangen war. So würde ihr ein nochmaliger Wechsel der Umgebung erspart bleiben.
»Gott sei Dank sind wir endlich zu Hause!« Christine reckte sich. Sie blickte aus dem Fenster auf die vertraute Umgebung. Die Häuser in dieser Gegend lagen hinter Zäunen und hohen Hecken verborgen. Jedes Grundstück schien für seine Besitzer so etwas wie eine kleine Insel zu sein. Christine hatte noch nicht viel Kontakt zu ihren Nachbarinnen bekommen.
Harald bog in die Auffahrt zu seinem Haus ein. Er parkte den Wagen vor der Garage. »Ich fahre ihn erst später hinein«, sagte er zu seiner Frau. »Zunächst bringen wir die Kleine ins Haus.« Er stieg aus und öffnete die Fondtür. »Komm, Meli!«
Melissa rieb sich die Augen. Sie kicherte, als Harald sie aus dem Gurt und dem Sitz befreite. Vertrauensvoll schmiegte sie sich an ihn, als er sie aus dem Wagen hob.
»Sie ist so lieb«, meinte Christine und nahm ihrem Mann das Kind ab. »So lieb und müde«, fügte sie hinzu, weil Melissa herzhaft gähnte und dabei den Mund, so weit