Sophienlust 315 – Familienroman. Anne Alexander
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Melissa hob das Köpfchen. Blitzschnell langte sie zu und hatte den Bonbon schon in der Hand.
»Na, und wie sagt man?« fragte Irene Petzold.
Sofort vergrub Melissa ihr Gesichtchen wieder im Rock der Mutter.
»Sie sollten ihr unbedingt das Wort danke beibringen, Frau Walter«, meinte die Nachbarin pikiert. »Gerade ein Kind wie Ihre Kleine hat allen Grund, dankbar zu sein.«
»Kein Kind hat Grund, dankbar zu sein«, widersprach Christine ihr heftig. »Kein Kind kann etwas dafür, daß es in die Welt gesetzt wurde.«
Irene Petzold lachte auf, aber es war ein falsches Lachen. »Ich sehe schon jetzt, die nächsten Nachmittage im Club werden ziemlich farbig werden. Aber jetzt muß ich gehen. Renate hat Halsentzündung. Wegen des Clubs rufe ich Sie an.«
»Gut, danke!« Christine umfaßte die Hand ihrer kleinen Tochter noch fester. »Ich muß jetzt auch weiter«, sagte sie, weil Irene Petzold trotz ihrer Eile keine Anstalten machte, weiterzugehen.
»Auf Wiedersehen!«
»Ade, ade!« rief Melissa, nachdem sie schon einige Schritte gegangen waren.
Irene Petzold drehte sich überrascht um. »Wiedersehen, Melissa! Wiedersehen!« Sie winkte der Kleinen zu.
»Für heute hast du, glaube ich, genug fremde Tanten kennengelernt, Liebes«, meinte Christine. Sie nahm Melissa auf den Arm und betrat mit ihr einen Supermarkt. »Hau ruck!« scherzte sie, als sie die Kleine in den Einkaufswagen setzte.
Vergnügt ließ sich Melissa durch die Gänge fahren. Es gefiel ihr, wenn rechts und links von ihr immer mehr Waren aufgestapelt wurden. »Bonbon«, sagte sie jedesmal, wenn Christine etwas Neues in den Wagen legte.
»Magst du ein Scheibchen Wurst, kleines Fräulein?« fragte die Verkäuferin hinter der Wursttheke. Sie reichte Christine eine dicke Wurstscheibe. »Ein hübsches Kind haben Sie«, meinte sie und sah zufrieden zu, als Melissa die Wurst nach und nach im Mündchen verschwinden ließ. »Die Kleine ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten… Nur die Augen hast du nicht von der Mama«, wandte sie sich wieder an Melissa.
Christine errötete. Sie freute sich, daß man Melissa für ihre eigene kleine Tochter hielt, und nahm sich vor, es am Abend Harald zu erzählen.
Aber Harald lachte, als er das hörte, nicht, wie Christine erwartet hatte. »Ein wenig hat die Verkäuferin schon recht«, meinte er. »Vielleicht kommt es daher, daß Melissa auch blond ist.« Er zog die Kleine auf seinen Schoß.
»Melia bond«, plapperte Melissa. »Ganz bond!«
»Ja, ganz blond«, bestätigte Harald. Er stand auf und schwenkte Melissa durch die Luft. Vergnügt schrie die Kleine auf.
»Vorsicht, Harald!« mahnte Christine besorgt.
»Deine Mama ist eine alte Unke«, sagte Harald zu seiner Tochter. »Immerzu hat sie Angst.«
»Berechtigte Angst«, meinte Christine.
»Ach was, Meli ist doch nicht aus Porzellan!« Harald schwenkte die Kleine noch einmal herum.
»Noch, Papa, noch!« verlangte Melissa, als er sie auf den Boden stellte.
»Na, siehst du?« Der junge Vater warf seiner Frau einen triumphierenden Blick zu. »Unsere Tochter weiß besser, was ihr guttut, als du.«
»Man sollte nicht glauben, daß du bereits zweiunddreißig Jahre alt bist«, bemerkte Christine kopfschüttelnd.
»Dieses Kompliment kann ich dir nur zurückgeben«, ulkte Harald. »Nach deiner Ängstlichkeit müßte man dich für sechzig und nicht für achtundzwanzig halten.« Er zwinkerte Melissa zu. »Was meinst du, Meli-Kind, ist die Mama schon sechzig?« Als Melissa ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: »Ist die Mama schon alt?«
»Mama alt«, echote Melissa.
»Da hörst du es aus kundigem Mund«, erklärte Harald und legte den Arm um seine Frau.
»Warte, wenn Meli schläft, dann kannst du etwas erleben!« drohte Christine glücklich. Sie hatte einen Mann, den sie über alles liebte, und sie hatte nun eine kleine Tochter. Was konnte sie mehr erwarten?
An diesem Abend übernahm Harald die Aufgabe, Melissa zu füttern. Den Hochsitz brachte er zuvor eigenhändig in den Keller. Er fand, es war doch viel schöner, wenn die Kleine auf dem Schoß des einen und anderen saß. Später wurde die Kleine gemeinsam von ihnen gebadet und zu Bett gebracht. Es ging bereits auf acht zu, als Harald eine Flasche Sekt auf den Wohnzimmertisch stellte.
»Nanu, was feiern wir denn?« fragte Christine überrascht. »Auf Melis Ankunft haben wir doch schon gestern angestoßen. Du hast doch nicht etwa im Lotto gewonnen?«
»Es gibt noch andere Dinge, die man feiern kann«, meinte ihr Mann. »Direktor Gerlach ließ mich heute in sein Büro kommen. Er gratulierte mir zu Melissa, und dann sagte er mir, daß er mich nächste Woche zum Prokuristen ernennen würde.«
»Zum Prokuristen?« wiederholte Christine fassungslos.
»Ja!« Harald nickte. Er mühte sich mit der Sektflasche ab. Mit einem lauten Knall sprang der Korken aus dem Flaschenhals.
Eilig hielt Harald zwei Sektgläser unter die sprudelnde Fontäne. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich dieses Ziel so schnell erreichen würde«, sagte er. »Gut, ich wollte vorwärtskommen, das weißt du ja, aber daß ich bereits jetzt Prokurist werden würde, das hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.«
»Das freut mich, Harald!« Christine küßte ihn auf die Wange. »Ein Zeichen, wieviel Direktor Gerlach von dir hält.«
»Und darauf bin ich auch sehr stolz.« Harald drückte seiner Frau ein Glas in die Hand. »Natürlich werden ich mich jetzt erst recht anstrengen. Ich muß meinem Chef beweisen, was in mir steckt.«
»Beweise ihm nicht zuviel auf einmal«, mahnte Christine etwas besorgt. »Direktor Gerlach gehört zu den Chefs, die ihren Leuten gern mehr aufbürden, als sie verkraften können. Denke daran, daß du jetzt ein Kind hast! Melissa wird einen Teil deiner Zeit beanspruchen.«
»Sei unbesorgt, Liebes, ich lasse mir schon nicht zuviel aufbürden«, beruhigte Harald seine junge Frau gutgelaunt. »Ich weiß genau, wieviel ich mir zumuten kann. Du und die Kleine, ihr werdet nicht zu kurz kommen.«
Mit einem leisen Klirren stießen die Gläser aneinander.
*
Aber so einfach, wie Harald Walter es sich vorgestellt hatte, ging es nicht, seine neue Position und die Familie unter einen Hut zu bringen. Schon an einem der nächsten Tage teilte Direktor Gerlach ihm mit, daß er ihn zu einem Management-Kurs angemeldet habe, der bereits in der nächsten Wochen beginnen sollte.
Nun war Harald durchaus nicht abgeneigt, diesen Kurs mitzumachen, aber er wußte auch, daß er damit während der nächsten Wochen kaum noch Zeit für seine Frau und Melissa haben würde.
»Ich finde