Musterbrecher. Dominik Hammer

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Musterbrecher - Dominik Hammer

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      Das Leben der Digital-Nomaden scheint uns von starken Ambivalenzen geprägt zu sein. Auf der einen Seite wollen sie die analoge Welt bereisen, können das aber nur, weil die digitale Welt ihnen die Möglichkeit eröffnet. Einerseits leben sie an Orten, an denen klassische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Urlaub machen, andererseits müssen sie sich dem Reiz dieser Orte immer wieder entziehen; denn es gilt, Projekte durchzuziehen und Kunden mit hohem Qualitätsanspruch zufriedenzustellen. Und obwohl man die meiste Zeit im Jahr nur »remote« zusammenarbeitet, ist es zwingend notwendig, in einen ganz engen persönlichen Kontakt zu kommen, der den an standortgebundenen Arbeitsplätzen bei Weitem übersteigt.

      Durch das Gespräch müssen wir unser stereotypes Bild von einem IT-Unternehmen revidieren, doch Stefan Klumpp »beruhigt« uns beim Abschied: »Tief drinnen sind wir Mega-Nerds!«

      Auch wenn wir das Arbeitsmodell eines Digital-Nomaden sehr interessant finden und viele positive Ansätze darin sehen, bleiben viele Fragen offen: Funktioniert das auch, wenn man schulpflichtige Kinder hat? Wie und wo ist man sozial abgesichert? Können wirklich Freundschaften entstehen, wenn man zwei Wochen pro Jahr im selben Haus zusammenarbeitet? – Was wir aber von Stefan Klumpp und der Zusammenarbeit bei Mobile Jazz gelernt haben, ist Folgendes: Damit Teams funktionieren können, muss es ihnen möglich sein, sich weitgehend selbst zu organisieren und ihre eigenen Spielregeln zu entwickeln. Man benötigt eine Basis, auf der man aufbauen kann. Nur dann haben unterschiedlichste Charaktere – vom stillen Computerfreak bis zum extrovertierten Verkäufer – eine Chance, in Abstimmung mit den anderen ihre Rolle im Team zu finden. Dazu gehört dann allerdings auch die Möglichkeit, sich zeitweise aus dem Team auszuklinken.

      Es ist also nicht zwingend das Individuum, das eine Antwort auf die fehlende Kreativität der Großgruppe liefert, sondern die vertraute und selbst organisierte Gruppe.

      Bei Formaten wie Open-Space-Veranstaltungen oder Bar Camps sorgt ein hoher formaler Organisationsgrad für eine gewisse Rahmung. Durch die Festlegung von Zeit, Raum, Teilnehmerzahl und Moderatoren wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht verloren fühlen. Kreativität ist dann keine Folge der »großen Gruppe«, sondern entsteht in überschaubaren und geschützten Bereichen innerhalb der Großveranstaltung (etwa in Form von Einzelworkshops und Sessions).

      Ungeachtet der Erkenntnis, dass Kollektive nicht als Ganzes zur Entwicklung bahnbrechender Ideen fähig sind, erfreuen sich die Methoden, die uns das Gegenteil suggerieren, bis heute großer Beliebtheit.

      Egal ob wir von Schwärmen oder Großgruppen sprechen, es geht immer auch um die Teilhabe an der Schaffung und Bewertung von (neuen) Realitäten im Sinne einer Enthierarchisierung und Demokratisierung ursprünglich elitär geführter Diskurse. Damit wird automatisch die Machtfrage neu gestellt. Im Kern geht es bei der altbekannten Gruppenarbeit in der Automobilindustrie oder in modernen Scrum-Teams der agilen Arbeitswelt wie auch bei internetbasierten »Liquid-Democracy«-Experimenten stets um das Bemühen, viele Menschen an der Ausgestaltung von Strukturen und Prozessen teilhaben zu lassen – ein Ansatz, der in der Politikwissenschaft als Deliberation bezeichnet wird. Demokratie ist, politisch betrachtet, ohne die Weisheit der vielen nicht zu denken.

      Allerdings kann der »Strudel der Masse« auch dazu führen, dass demokratische Grundprinzipien wie der der Schutz von Minderheiten oder die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen angetastet werden. Wenn paradoxerweise durch die Einbeziehung von Vielfalt genau diese zerstört wird und der Mainstream die Herrschaft übernimmt, kann von kollektiver Intelligenz nicht mehr die Rede sein. Die stets geforderte Innovationskraft ist dann gefährdet oder wird sogar verhindert – ein Phänomen, das wir gerade in den sozialen Medien beobachten. Diese bieten zunächst ein urdemokratisches Forum, auf dem jeder zu Wort kommen, jeder gehört werden kann. Menschen aus der ganzen Welt begegnen sich und nehmen an einer besonderen Form der Kommunikation teil. Doch dieser kollektive Raum ermöglicht unter dem Schutz der Anonymität auch Hetze und Verschwörung mit tätlicher Gewalt als möglicher Folge und Formen eines Gegeneinanders, das im direkten Austausch so eher nicht erreicht würde. Es kann eine das soziale Gefüge gefährdende Direktheit durchbrechen, die ungeahnte Probleme für die Gesellschaft, also das Kollektiv, erzeugt. Und die Selbstvermarktung – mit der sich die eingangs erwähnte Susan Cain kritisch auseinandersetzt – erhält hier eine noch bedeutendere Rolle als in der realen Welt.

      Wenn wir die im Kollektiv vorhandene positive Kraft nicht verlieren wollen, müssen wir Räume schaffen auch für die Darlegung von still entwickelten Ideen Einzelner – selbst wenn sie nicht der Logik der gewieften Selbstvermarktung entsprechen.

      Trotz anderslautender Versprechen ist die digitale Welt nur bedingt dafür geeignet, im Kollektiv starke Ideen entstehen zu lassen, wie das folgende Beispiel zeigt.

      Als wir uns das erste Mal 2013 in der Schwabinger »Bar Giornale« trafen, erzählte uns Frank Roebers, Vorstandsvorsitzender der Synaxon AG, von einem Werkzeug namens Liquid Feedback (LQFB), das im Jahr zuvor in seiner Firma eingeführt wurde. Genau genommen ging es nicht um ein Werkzeug, sondern um Kulturarbeit, die mit einem durchdachten Instrument in Gang gesetzt werden sollte. Roebers und seine Kollegen in der Führung wollten einen entscheidenden Schritt in Richtung strategische Beteiligung der Mitarbeitenden und Demokratisierung von Entscheidungen gehen, da Initiativen bei entsprechender Mehrheit auch dann umgesetzt werden sollten, wenn der Vorstand gegen sie war. Im Ergebnis wurde das Unternehmen durch das Software-Tool LQFB, das als Experiment gestartet wurde, entscheidend vorangebracht. Die Arbeit mit LQFB lieferte viele Erkenntnisse und beeinflusste die Kultur maßgeblich – bevor die Plattform schließlich nach sieben Jahren nicht mehr benötigt und 2019 abgeschaltet wurde.

      Was war der Auslöser für die Einführung dieses Instruments? »Vor ein paar Jahren haben meine Kollegen aus der Geschäftsleitung und ich mit viel Mühe ein neues Leitbild geschrieben«, so Roebers bei unserem Treffen. »Während des Prozesses, über den wir die Mitarbeiter stets informierten, erhielten wir eine Rückmeldung, die erfreulich und ernüchternd zugleich war. 85 bis 90 Prozent der Kolleginnen und Kollegen fanden sich in dem Leitbild wieder, waren also der Meinung, dass geschriebener Text und reales Erleben irgendwie zusammengingen.« Es passte zu dem Westfalen Roebers, dass er den Rest der Rückmeldungen ungeschönt darstellte: »Dummerweise mussten wir akzeptieren, dass zehn bis 15 Prozent der Mitarbeiter offenbar in einem ganz anderen Unternehmen arbeiten als der Rest. Die Kultur, die wir gerade so nett im Leitbild beschrieben hatten, existierte für diesen Teil der Belegschaft überhaupt nicht. In der Geschäftsleitung diskutierten wir daraufhin intensiv, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollten.«

      An dieser Stelle des Gesprächs von 2013 gingen wir insgeheim im Kopf unsere Kunden und Forschungspartner durch. Andere Unternehmen, so unsere Überzeugung, kämen vermutlich gar nicht auf die Idee, über eine derartige Diagnose

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