Musterbrecher. Dominik Hammer
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Jetzt stellen Sie sich eine andere Organisation vor, in der an der gleichen Stelle ein Verwaltungsbürokrat mit riesigen Budgets sitzt. Und er sagt, damit wolle er etwas Neues machen, etwas Tolles. Das Problem: Er hat – anders als Steve Jobs – keine eigene Idee und häufig nicht einmal einen Bezug zum Thema. Und dennoch muss er sich entscheiden, ob es sich lohnt, Geld für irgendeine innovative Idee zur Verfügung zu stellen. Dieser Prozess muss effizient sein, denn als guter Manager möchte man ja keine Flops produzieren. Damit klammert man aber auch alles aus, was Innovation auszeichnet: Ungewissheit, Ergebnisoffenheit und auch die ganz großen Ideen.
Siemens hatte zum Beispiel knapp zehn Jahre vor dem iPad von Apple das SIMpad entwickelt. Für damalige Verhältnisse war es sehr innovativ und ausgereift: ein Touchscreen, noch mit Stift zu bedienen. Der 200-MHz-Prozessor war so ausgelegt, dass Office-Anwendungen liefen. Infrarot- und serielle Schnittstellen waren vorhanden. Und doch wurde die Produktion nach zwei bis drei Jahren eingestellt. Heute verdient Apple mit dem iPad pro Quartal so viel wie Siemens mit der ganzen Sparte Healthcare im Jahr. Damals fehlte ein Manager, der von diesem SIMpad begeistert war. Dem Produkt wurde das notwendige Budget verweigert, um es wirklich groß rauszubringen.
Musterbrecher: Was wäre die Alternative für den Manager gewesen?
Pillkahn: Er hätte sein Budget an seine Mitarbeiter geben und sagen können: »Ich vertraue euch, dass ihr etwas Neues damit macht!« Aber das passiert leider nicht.
Musterbrecher: Eigentlich beschreiben Sie das, was Google mit seinen 20 Prozent Kreativzeit macht. Wo Entwickler ein Zeitbudget bekommen und einfach etwas daraus machen können. Dabei ist sehr viel Neues entstanden. Warum gewähren so wenige Unternehmen Kreativzeiten?
Pillkahn: Es scheitert am Anspruch der Manager, alles im Griff zu haben. Macht haben bedeutet Verantwortung haben. Und man muss Macht abgeben, wenn man Budgets zur freien Verfügung stellt.
Musterbrecher: Warum fehlt der Mut, diese Macht abzugeben?
Pillkahn: Das wiederum hängt mit dem Effizienzdenken in Unternehmen zusammen. Organisationen sind in Bezug auf Wissensschöpfung völlig blank. Der gesamte Unternehmenserfolg baut auf der Wertschöpfung auf. Wissen – so glaubt man – entsteht nebenbei. Bei einer bahnbrechenden Idee bekommt man als Anerkennung vielleicht ein iPad geschenkt – absolut lächerlich. Wenn man andererseits die finanziellen Zielvorgaben erfüllt, dann sind die Incentivierungen in einer ganz anderen Dimension. Wissensschöpfung wird nicht wirklich belohnt. Es gibt bei uns im Haus aber auch Beispiele von Leuten, die Ideen mutig durchgesetzt haben. Dieser Prozess kann allerdings sehr anstrengend sein.
Musterbrecher: Was tun Sie als Key Expert, der das alles weiß, für Innovation? Suchen Sie sich Bereiche, die Sie gezielt unterstützen können?
Pillkahn: Eigentlich im Gegenteil. Zuerst einmal muss man sich von der Idee verabschieden, andere beglücken zu können. Das geht nicht. Wir arbeiten nur mit jenen zusammen, die unsere Unterstützung wollen.
Musterbrecher: Angenommen, man sucht Ihre Hilfe. Müssen Sie sich dann an den Prozess halten?
Pillkahn: Wir machen da nicht mit. Im Moment versuchen wir, Ideen schnell in die Organisation zu tragen und ohne lange Planung umzusetzen. Prototypen bauen. Ausprobieren. Das kennen wir ja mittlerweile unter dem Begriff »Design Thinking«.
Organisationen erzeugen keine Innovationen, sondern sorgen durch »Fischstäbchendenken« für Effizienz.
Darum wird alles ignoriert, was diese Logik bedroht: das wirklich Neue, die faktische Unklarheit, das mutige Ausprobieren, das unkontrollierte Zulassen. Doch genau diese scheinbaren Bedrohungen sind es, die Innovation überhaupt ausmachen. »Damit ist jeder, der ernsthafte Innovation betreibt, ein Außenseiter, jemand, den man nicht besonders gerne sieht, weil er stört«, so der renommierte Journalist Wolf Lotter.
Organisation klassischer Prägung verhindert also fatalerweise genau das, was sie für ihre Zukunftsfähigkeit benötigt – nämlich Innovation. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass im Kontext von Organisationen tagtäglich Innovation entsteht – inzwischen auch mithilfe von Design Thinking, dem von Ulf Pillkahn am Ende des Interviews genannten Ansatz. Dies ist mit Sicherheit eine kluge Methode. Design Thinker würden sogar sagen, dass es hier um weit mehr geht als um eine Methode. Aus ihrer Sicht ist es eine Denkhaltung,52 die aus dem Wechsel zwischen Öffnung und Fokussierung, Verlangsamung und Beschleunigung, Vielfalt und Einheit ihre Kraft zieht. Das schnelle Prototyping und konkrete Testen ist ein weitaus besseres Vorgehen, als es klassische Stage-Gate-Modelle und Wasserfallplanung im Rahmen des Innovationsmanagements je sein können. Leider bleibt Design Thinking in vielen Organisationen ein nettes Spiel auf der Vorderbühne, dem meist nur applaudiert wird, um mit der Zustimmung modernes Denken zu signalisieren. Doch die Machtverhältnisse sind klar: Organisationen und ihre Erfüllungsgehilfen im Management versuchen, das Neue zu verhindern.
Aus diesem Grund darf es auch nicht verwundern, dass ein nicht unerheblicher Teil der wirklichen Neuerungen aus fremden Branchen, unorganisierten Garagenfirmen oder von Individuen stammt – und oft einfach durch Zufall entsteht.
Eddie Obeng, Gründer einer der ersten virtuellen Business Schools weltweit, bemängelt, dass geregelte Abläufe mit klaren Hierarchie- und Entscheidungsstrukturen keine Zufälle mehr zuließen. Statt sich das Überraschende zu »gönnen«, investiere man jahrelang sehr viel Energie in Voraussagen, die im Moment der Veröffentlichung bereits veraltet seien.53 Ulf Pillkahn geht noch ein Stück weiter. Er will das Zufällige wieder aktivieren und schlägt vor, Innovationen per Losverfahren voranzutreiben. Man (er)spare sich damit das sinnlose Prozedere der Chancenabschätzung nach der klassischen, ein klares Ergebnis suggerierenden Projektlogik.54 Kein Entscheider, kein Umsetzer und keine Ideengeberin müssen sich diesbezüglich für die Arbeit an einem neuen Thema, für die eingesetzte Zeit oder für das Scheitern rechtfertigen. Denn alleine der Zufall entscheidet darüber, was weiterverfolgt wird.
Einen rechtfertigungsfreien Raum schaffen sich Menschen auch, wenn sie sich außerhalb des Unternehmens – oft in der Freizeit – vernetzen und mithilfe virtueller Formen der Zusammenarbeit an der kreativen Lösung schwieriger Probleme tüfteln. InnoCentive 55 ist eine solche Plattform, auf der Organisationen Probleme platzieren können, die andere dann für sie lösen.56
Innovationsmanager können mit ihren Systemen und Methoden nicht das leisten, was sie leisten wollen: nämlich das Neue hervorbringen.
Das muss noch nicht einmal von Nachteil sein, kann dadurch doch verhindert werden, dass absurde und sinnlose Ideen umgesetzt werden. Die Menschheit hat nicht auf jede Produktinnovation, jedes neue Werbekonzept oder jeden zusätzlichen Service gewartet. Das Neue ist nicht automatisch gut, nur weil es neu ist – oder wie James March es in einem Interview formuliert: »Die meisten neuen Ideen sind schlecht!« 57 Unter diesem Aspekt erhält Innovationsmanagement eine Rolle, die ihm im Drehbuch nie zugedacht war – die Rolle des Ideennichtverwerters.
Vor diesem Hintergrund machen Menschen in Organisationen zwangsläufig widersprüchliche Erfahrungen. Einerseits werden sie mit immer ausgefeilteren Methoden in Richtung Ideenverhinderung, Sicherheit und Stabilität getrimmt, andererseits müssen sie permanent Appelle wie »Seid innovativ!«, »Verändert