Schärengrab. Carsten Schütte
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Sie bekam kaum Luft, als sie von ihrem Urlaubsteam begrüßt wurde.
„Puuh, das war knapp. Ich habe den Feierabendverkehr an einem Freitagnachmittag in Hamburg wohl unterschätzt und erst jetzt feststellen können, dass auch ein Moia leider nicht fliegen kann.“
Thorsten verdrehte die Augen und grinste dann.
„Ich hab nix anderes erwartet“, sagte Maik Holzner.
„Tja, Chaos-Nina, wie immer“, fügte Kristin trocken hinzu.
„Nun hackt doch nicht so auf ihr rum“, schimpfte Thomas und zwinkerte ihr zu. „Wir haben alle unsere Macken.“
„Ihr schon, ich nicht“, behauptete die Psychologin Carlotta scherzhaft.
Ninas entzückende, etwas chaotische Eigenschaft, immer etwas spät dran zu sein, war dem Team nicht unbekannt. Alle waren froh, vollzählig in ein aktives, aber erholsames Abenteuer aufbrechen zu können.
Sie genossen das Ablegen in der Abendsonne bei einem leckeren Cocktail und dem „Norwave-Song“, der in ihnen bei jedem Auslaufen die Sehnsucht auf die hohe See und den nächsten Hafen voller neuer Impressionen wecken sollte.
Die ersten kulinarischen Eindrücke des maritimen Buffet-Restaurants waren sehr vielversprechend. Später wollten sich die Urlauber im Theatrium auf die Vorstellung des Schiffes und die Möglichkeiten an Bord während des ersten Seetages nach Norwegen einlassen.
Kapitel II
An Bord
Nach den Erfahrungen ihrer bisherigen Touren hatte das Team vereinbart, jedem Einzelnen entsprechenden Freiraum einzuräumen. Selbst während der Landgänge waren sie sich einig, ihre Ausflüge nicht zwangsläufig gemeinsam zu verbringen, sondern jedem den nötigen Gestaltungsspielraum nach seinen eigenen Interessen zu lassen. Sie wollten die Teambildungs- oder besser -erhaltungsmaßnahmen ja nicht übertreiben und genau das Gegenteil erreichen, dass man sich selbst im Urlaub nicht einmal zurückziehen konnte.
Zum gemeinsamen Essen kam das OFA-Team abends wieder zusammen und tauschte sich über die ersten Eindrücke an Bord aus. Vor dem Abendprogramm im Theatrium fand die obligatorische Sicherheitsübung statt, bei der sich nach einer Alarmierung sämtliche Passagiere mit angelegten Schwimmwesten an fest zugewiesenen Sammelpunkten einfinden mussten. Die Securityscouts scannten die Bordkarten jedes Gastes ein, um die Vollzähligkeit feststellen zu können. Anschließend wiesen sie die Kreuzfahrer in die Sicherheitsmaßnahmen eines echten Evakuierungsfalles ein. Alles wirkte professionell und straff organisiert, was in einem Ernstfall entscheidend war. Nach 30 Minuten war die Übung beendet. Die Passagiere fanden sich in den Restaurants, Bars und im Theatrium ein. Hier wurden der nächste Hafen samt vielen Informationen über Land und Leute und das vielseitige Ausflugsprogramm an jedem Abend vorgestellt.
Heute musste der Kapitän schon die erste Routenänderung bekanntgeben. Der erste Zielhafen im Eidfjord konnte nicht angefahren werden, da zwei Schiffe direkt in der Fahrrinne unter der Hardanger Brücke kollidiert waren. Ein Passieren dieses Bereiches war für ein Kreuzfahrtschiff dieser Größe momentan nicht möglich.
Nach Rücksprache mit den Hafenbehörden hatte man der „Norwave“ einen Liegeplatz in Oslo zugesagt, sodass die norwegische Hauptstadt von Hamburg nach einem Seetag direkt angefahren werden würde. Es sprach für die Professionalität der Crew, nun im Theatrium umgehend Ausflüge für die quirlige Stadt vorzustellen.
Das Profilerteam hatte sich im Vorfeld gemeinsam abgestimmt, das Angebot der organisierten Ausflüge anzunehmen.
Die Dimensionen in Norwegen waren so enorm, dass die Entfernungen und die Weitläufigkeit des Landes gerade von unerfahrenen Touristen wie dem OFA-Team kaum einzuschätzen waren. Wer hier nach seinem Ausflug zu spät zum Schiff zurückkam, war verloren. Für Oslo hatten sie sich aber auf einen Stadtbummel geeinigt, der in Eigenregie erfolgen sollte.
Während des ersten Seetages ließen sie es sich gut gehen, wobei sich Maik und Thomas im Fitnessbereich austobten. Nina und Kristin zogen es vor, im Spa-Bereich zu relaxen. Carlotta suchte sich vermutlich den einsamsten Platz auf dem Schiff und tauchte in der Bibliothek in ihre Urlaubslektüre ein, die sie mit Herz und Schmerz nach Südengland führte. Sie genoss die Ruhe und den Abstand zu allem Beruflichen. Im Gegensatz zu den jungen Partygängern im Team ließ sie sich früh am Abend durch die Wellen in den Schlaf wiegen und träumte die Liebesgeschichte aus Cornwall einfach weiter.
Thorsten war am Seetag fast rastlos mit seiner großen Nikon-Kamera auf Motivsuche. Er entwickelte einen Plan, wann das beste Licht zu erwarten war und welche Brennweite er für das jeweilige Motiv einsetzen konnte. Thorsten war in seinem Element als Fotograf und fernab der Dinge, die ihn in seinem Berufsalltag und oft auch darüber hinaus beschäftigten. Das Team hatte extra eine Reisezeit direkt nach den Sommerferien im August gewählt. So hatten sie die Hoffnung, die Reise bei recht gutem Wetter und angenehmen Temperaturen nutzen zu können. Thorsten versprach sich zu dieser Jahreszeit hervorragendes Fotolicht.
Die meisten Passagiere zückten ihre Handykameras und schossen Selfies und Fotos vom Schiff. Insbesondere an Deck war Thorsten mit der recht großen und schweren Nikon schon ein Exot. Einige Gäste hielten ihn für einen der agilen Bordfotografen, die technisch ähnlich ausgestattet waren. Ein Pärchen, welches diesem Irrtum wohl unterlegen war, sprach Thorsten auf ein spontanes Shooting an Deck an. Der erfahrene Hochzeitsfotograf machte sich einen Spaß daraus, stimmte zu, schlug ihnen ein paar passende Posen vor und schoss eine vielseitige Portraitserie. Auf die Frage der beiden, was sie ihm denn schuldig wären und wann sie die Fotos im Bordshop bewundern und abholen konnten, klärte Thorsten das Pärchen lachend auf.
„Sorry, ich bin auch nur ein ganz normaler Passagier. Es hat mir viel Spaß gemacht und wenn ihr mir eure Handynummer gebt, schicke ich euch die Fotos heute Abend per WhatsApp. Okay?“
Das Liebespaar war völlig überrascht, gab dem Fotografen bereitwillig seine Nummer und bedankte sich herzlich.
Auch anderen Passagieren war dieses Shooting nicht verborgen geblieben. Sie hatten davon teilweise Fotos und Videos angefertigt, was Thorsten überhaupt nicht aufgefallen war. Ein lückenloses Video über seine Aktion wurde abends in einer Kabine auf dem großen Flat- Screen-Monitor mehrfach angeschaut. Erst einmal, dann zweimal, dreimal und dann immer und immer wieder.
Der erste Seetag führte sie durch den 120 Kilometer langen Oslofjord in den Hafen der grünen Hauptstadt Norwegens. Sie war im Jahr 2019 zur Umwelthauptstadt Europas gewählt worden.
Sie passierten die Schären des Fjordes bei strahlendem Sonnenschein und milden 22 Grad. Neben der Landschaft faszinierten Thorsten Büthe die oft einsamen, aber kunterbunten Holzhäuser der Schärenlandschaft. Er war begeistert von diesen