Schärengrab. Carsten Schütte

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Schärengrab - Carsten Schütte

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haben mich schon informiert, dass Sie in solchen Fällen eigentlich auf der anderen Seite sitzen und nicht so oft unter Mordverdacht stehen. Was also ist passiert?“

      „Ich glaube, das wollen mich die norwegischen Kollegen sicher zuerst fragen. Wären Sie denn bereit, meine Angaben zu übersetzen, Herr Kapitän?“, bat Thorsten.

      „So gern ich das täte, Herr Büthe. Aber wir legen in einer Stunde ab und im Gegensatz zu Ihnen und Ihren Kolleginnen werde ich an Bord meines Schiffes gebraucht. Sie werden wohl noch einige Zeit in Oslo bleiben müssen“, schränkte Kapitän Jacobsen ein.

      „Da muss ich widersprechen. Eine ältere Dame mit Rollator hat mir diesen Koffer samt Skalp vor der Sicherheitsschleuse übergeben. Sie trug ein Band der „Norwave“ und musste eine Bordkarte mitgeführt haben, sonst wäre sie nicht bis zum Security-Check gekommen. Sie hat mir sogar ihre oder wohl besser eine Kabinennummer genannt, die 7698. Die müssen Sie nicht nur sofort überprüfen, Sie sollten auch davon ausgehen, dass diese Frau, die vielleicht auch die Mörderin ist, wahrscheinlich schon wieder auf Ihrem Schiff ist. Wir müssen das sofort mit der Mordkommission in Oslo klären, uns läuft sonst die Zeit weg“, versuchte Thorsten den Kapitän zu überzeugen.

      Wie in einem Fernsehkrimi betrat eine uniformierte Polizistin den Vernehmungsraum, flüsterte dem bulligen Beamten etwas ins Ohr, der daraufhin die Augenbraue verzog und den Raum verließ.

      Ich bin hier wohl im falschen Film, dachte Thorsten Büthe. Wo ist die Kamera? Wer löst diesen Irrsinn wieder auf?

      Keiner sprach, sodass Thorsten sich in dem Raum umsehen konnte und erstaunt war, dass bei der Hafenpolizei in Oslo Vernehmungsräume mit venezianischen Spiegeln ausgestattet waren. Wer beobachtete ihn? Psychologen? Spezialermittler und Vernehmungsprofis? Der Leiter der OFA Niedersachsen saß unter Mordverdacht in Oslo fest, prima Story.

      Nun kam der Brummbär wieder rein. Er bat die junge Beamtin und den Kapitän nach draußen. Dabei musterte er seinen deutschen Kollegen minutenlang, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Eigentlich ein alter Vernehmungstrick, um den Täter zu zermürben, aber für den Betroffenen durchaus beeindruckend, musste er feststellen. Stille kann wirklich Stress sein. Sollte er hier jemals wieder heil herauskommen, hatte Thorsten schon allein jetzt aus diesem Perspektivwechsel für das Leben gelernt.

      Die Tür flog auf und neben der blonden Beamtin und dem Kapitän betrat ein kleiner, älterer, listig wirkender Mann im grauen Anzug den Raum.

      Das konnte nur ein Jurist sein. Er stellte sich als leitender Staatsanwalt (Erläuterung norwegische Dienstgrade am Ende des Buches) Inger Olsen vor und übergab dem Mordverdächtigen ein Mobiltelefon mit den Worten: „For you!“

      „Büthe, mit wem spreche ich bitte?“, fragte Thorsten und war erstaunt über die Antwort.

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Kaum seid ihr ein paar Tage im Urlaub, und schon hängt ihr wieder in irgendwelchen Fällen drin. Es ist völlig egal, wo auf der Welt ihr euch aufhaltet, oder? Lasst doch mal diesen beschissenen Magneten zu Hause, es reicht wirklich!“

      „Hallo, Iris, schön, deine sympathische Stimme zu hören.“

      Kriminaloberrätin Iris Höppner war lange Zeit Leiterin der Zentralstelle Gewalt gewesen, die alle Einsatzkräfte an ihre Grenzen gebracht hatte. Heute war sie mit der Leitung des Stabes im LKA Niedersachsen betraut und vertrat mit diesem Anruf die Behördenleitung.

      „Unser Haus bekommt ja nicht alle Tage einen Anruf vom Polizeipräsidenten in Oslo, nachdem der norwegische Innenminister mit unserem Bundesinnenminister und dann mit dem Minister unseres Bundeslandes gesprochen hat. Komisch war, dass alle nur ein Thema hatten. Unser Leiter der OFA des LKA Niedersachsen ist in Oslo unter Mordverdacht festgenommen worden. Ach ja, nebenbei wurde noch erwähnt, dass nicht nur Kristin und Nina als Komplizinnen dabei waren, sondern unsere Psychologin ebenso unter Mordverdacht steht. Das ist nicht gerade alltäglich und hat ein paar Wellen geschlagen. Jetzt bist du dran, und ich bin mega gespannt auf deine Geschichte“, sprudelte es aus ihr heraus, ohne dass sie Luft holte.

      Thorsten berichtete seiner ehemaligen, direkten und aktuell noch höheren Chefin, wie sie in Oslo in diese Situation geraten waren und dass er gute Gründe und Beweise vorbringen konnte, wie sie da auch wieder rauskommen würden.

      „Okay, mein Vertrauen habt ihr natürlich, das der hohen Politik und der Osloer Kollegen müsst ihr euch erarbeiten. Wir haben erst mal ein gutes Wort für euch eingelegt, der Rest ist euer Part. Viel Glück und haltet uns auf dem Laufenden.“

      Staatsanwalt Olsen nahm das Telefon zurück und belehrte Thorsten offiziell und juristisch trocken in englischer Sprache. Er warf ihm vor, in Tatverdacht zu stehen, am heutigen Tage die 23-jährige norwegische Studentin, Frida Iversen, im Botanischen Garten in Oslo erstochen und skalpiert zu haben. Schließlich habe man den Skalp in seinem Koffer beim Versuch, das Schiff zu betreten, sichergestellt. Als Zeuge könne der Staatsanwalt einen am Tatort eingesetzten Beamten nennen, der Thorsten Büthe in Begleitung von drei deutschen Frauen angetroffen hätte, als er vom Tatort Fotos anfertigte. Herr Büthe hätte sich auch gegenüber dem Beamten gerechtfertigt, dass sie Kollegen aus Deutschland seien, sodass lediglich ein Platzverweis ausgesprochen worden war.

      „So, Herr Büthe, was würden Sie an meiner Stelle bei dieser Beweislast tun? Einsperren, oder?“, fragte der Staatsanwalt provokativ.

      „Nein, Herr Olsen. Ich würde unabhängig von meiner Person und meines Berufes auch die entlastenden Aspekte ins Kalkül ziehen und meine Begleiterinnen vernehmen. Hat der Beamte, der uns des Platzes verwiesen hat, einen defekten Trolley gesehen, den wir mitgeführt haben? Schließlich war das Opfer zu diesem Zeitpunkt schon entstellt. Macht es für Touristen Sinn, auf dem Weg nach Grünerløkka im Botanischen Garten kurz eine junge Frau zu erstechen, sie zu skalpieren, um dann weiter shoppen und Kaffee trinken zu gehen? Anschließend sollen wir unseren Tatort fotografiert haben und lassen uns dann noch direkt von der Polizei ansprechen, um dem Beamten unsere echte Profession zu erklären. Den Skalp soll ich dann doch in einem Trolley mitgeführt haben, damit ich ihn auf ein besonders gesichertes Kreuzfahrtschiff durch die Sicherheitskontrolle bringe und ihn mir dann am besten noch in meine Kabine hänge. Vermutlich werden Ihnen nicht nur meine Kolleginnen, sondern auch andere Passagiere aus der Schlange vor der Sicherheitskontrolle von der älteren Dame mit dem defekten Trolley und dem letzten Blödmann berichten können, der ihr den Koffer letztendlich abgenommen hat. Und jetzt finden Sie den Fehler.“ Thorsten hatte sich um Kopf und Kragen geredet, setzte aber noch einen drauf. „Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass diese ältere Dame etwas mit dem Mord zu tun haben könnte? Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Seniorin nach uns an Bord der ,Norwave‘ gegangen ist? Eine Bordkarte dürfte sie ja zumindest vorgewiesen haben. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass diese Frau für Sie nicht mehr ermittelbar ist, wenn sie gleich mit ablegt? Ich an Ihrer Stelle würde neben den Ermittlungen in Oslo schnellstmöglich an Bord der ,Norwave‘ gehen und das Profilerteam aus Deutschland mitnehmen, um dort effizient und gemeinsam sachorientiert arbeiten zu können. Der Vorteil ist sogar, dass Ihre bisherigen Mordverdächtigen auf dem Schiff unter Kontrolle bleiben würden. Wo sollten wir auch hin? So würden wir in Deutschland arbeiten.“

      „Herr Büthe, für einen des Mordes Verdächtigen sind Sie ganz schön frech und überheblich. Wir sind keine Provinzpolizei und verstehen unseren Job ebenso gut, wie Sie Ihren. Die Befragungen Ihrer Kolleginnen sind erfolgt. Wir haben weitere Zeugen, die Ihre Angaben bestätigen und bei der Überprüfung der Kabine 7698 hat uns eine Familie mit zwei kleinen Kindern geöffnet, die wir – was Sie verwundern wird – nicht verhaftet und über Bord geworfen haben. Wir werden Sie und Ihre Begleiterinnen sowie andere Passagiere intensiv vernehmen müssen. Das werden die Beamten Larsen und Andersen übernehmen. An Bord müssen wir versuchen, diese ältere Dame mit dem Koffer zu identifizieren. Der nächste Hafen wird

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