A Theologico-Political Treatise and A Political Treatise. Benedict De spinoza
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Argumentation ist die Bearbeitung einer StreitfrageStreitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen.
Argumentation beruht aber nicht nur auf StrittigkeitStrittigkeit, sondern auch auf der Annahme von Übereinstimmung. Durch Argumentation wird StrittigkeitStrittigkeit bearbeitet, indem Aussagen – implizit und explizit – angeführt werden, von denen die Argumentationspartnerinnen1 annehmen, dass ihr Gegenüber diese akzeptiert oder akzeptieren muss/sollte. Damit beruhen Gründe auf Aussagen, die selbst nicht strittig sind, sondern als geltend angenommen werden. Im Beispiel ist dies der Verweis auf die Verfassung. Innerhalb von Argumentation wird also nicht nur deutlich, worüber es divergierende Ansichten gibt. Deutlich wird auch, was die Teilnehmerinnen einer Argumentation als gemeinsame Geltungsbasis ansehen. Diese Aussagen – die strittige und die geltende – befinden sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen: zum einen der Ebene dessen, was als Grund in Bezug auf die Streitfrage angegeben wird und zum anderen auf der Ebene des Übergangs vom Grund zur Konklusion. Dabei bleibt der Übergang vom Grund zur Konklusion oft implizit. Auch das lässt sich im Beispiel gut sehen: Juror 2 führt an, dass niemand einen Gegenbeweis geführt hat. Dies wird in der Runde nicht bestritten, kann also von da an als geteiltes Wissen dieser Teilnehmer angesehen werden. Implizit äußert Juror 2 aber auch, dass dies ein guter Grund dafür ist, dass der Angeklagte schuldig ist. Diese Aussage ließe sich in einer starken Form rekonstruieren als: Wer die eigene Position (Unschuld) nicht beweisen kann, muss die Position der Gegenseite übernehmen (Schuld). Auch diese Aussage wird von Juror 2 als potenziell geteiltes Wissen eingeführt, von Juror 8 aber explizit abgelehnt. Damit wird in der Argumentation nicht nur markiert, was strittig ist, sondern auch, was gilt. Argumentation hat also grundlegend nicht nur die Funktion StrittigkeitStrittigkeit/DissensDissens zu bearbeiten, sondern sie hat auch eine epistemischeArgumentationepistemische Funktion, also auf Wissen bezogene Dimension: Argumentation etabliert was gilt. Sie ist deshalb immer auch „Reden über die Geltungsbedingungen von Äußerungen“ (Kopperschmidt, 1989, S. 26). Ob Argumentation möglich ist, wenn kaum oder keine geteilte Geltungsbasis besteht, ist eine der aktuellen Fragen innerhalb der Argumentationswissenschaft und wird unter der Überschrift des deep dissensus<i>deep dissensus</i> oder dem Problem der Inkommensurabilität diskutiert (vgl. Kapitel 6).
Eine Definition, die die Aspekte der StrittigkeitStrittigkeit oder DissensbearbeitungDissens und der Etablierung von Geltung verbindet, ist die von Wolfgang Klein (1980). Er fasst Argumentation als den Versuch „mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen“ (Klein, 1980, S. 19). Damit beinhaltet diese Definition den Aspekt der StrittigkeitStrittigkeit (bzw. etwas weniger stark: Fraglichkeit). Etwas ist (kollektiv) fraglich, wird dann aber mit Hilfe von Gründen (dem kollektiv Geltenden) in etwas kollektiv Geltendes überführt. Argumentation hat also auch bei Klein immer beide Funktionen: die Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit und die Etablierung von Geltung.
Argumentation hat immer zwei Funktionen. Durch Argumentation wird
1) StrittigkeitStrittigkeit bearbeitet und
2) Geltung hergestellt.
2.1.2 Was ist ein Argument?
Wenn Argumentieren heißt, eine StreitfrageStreitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen zu bearbeiten, was ist dann ein Argument? Wie ist ein Argument aufgebaut? Die Unterscheidung von Argumentation und Argument ist in den verschiedenen Ansätzen zur Argumentation nicht einheitlich. Hier soll Argumentation verstanden werden als die Abfolge und Kopplung verschiedener Argumente in Bezug auf eine StreitfrageStreitfrage. Diese Abfolge kann in verschiedenen Interaktionsformen auftauchen und verschiedene Grade von Komplexität haben. Aber was ist nun ein einzelnes Argument?
Ein Argument ist die Grundeinheit innerhalb einer Argumentation. Dabei ist ein Argument nicht das Gleiche wie ein Grund, auch wenn beide Begriffe alltagssprachlich oft synonym verwendet werden. Das Argument bezieht sich immer schon auf eine StreitfrageStreitfrage und beinhaltet Aussagen, die den Übergang vom Grund zur Konklusion legitimieren. Ein Grund ist also eine Aussage innerhalb eines Arguments. Ein Argument beinhaltet demnach drei Aussagen mit unterschiedlichen Funktionen. Diese Grundeinheit wird seit den Anfängen der Rhetorik als dreiteiliges Modell dargestellt.
Oder übertragen von der Funktion in Positionsbegriffe:
Die einzelnen Funktionen und Positionen dieser dreiteiligen Grundform werden je nach Ansatz unterschiedlich benannt, die entsprechende Terminologie wird in den Abschnitten zu den einzelnen Ansätzen eingeführt. Daher ist die Position, von der aus begründet wird, noch recht allgemein mit „Grund“ benannt. Die Position des Übergangs ist in Anführungsstriche gesetzt, da dieser Begriff an sich in keinem Modell genutzt wird: In den verschiedenen theoretischen Ansätzen hat sie verschiedene Bezeichnungen – SchlussregelSchlussregel, Topos, Oberprämisse, Schlusspräsupposition –, Abstraktionsgrade und theoretische Fundierungen. Ihre Funktion ist immer gleich: die Kopplung des Grundes an die Konklusion.
Ein Argument lässt sich also darstellen als die Verbindung einer Konklusion mit einem Grund auf Basis eines Übergangs. Das heißt aber nicht, dass immer alle Teile dieses Modells in einem Text, in einer Interaktion wirklich auftreten. Häufig, insbesondere in AlltagsargumentationAlltagsargumentationen, werden eine oder zwei Funktionen nicht besetzt (vgl. Kapitel 4.1.2 zum EnthymemEnthymem). Allerdings können sie auf Nachfrage besetzt werden, ja sie müssen dann gefüllt werden können oder das Argument muss zurückgezogen werden.
Wie man bei der Analyse von Argumentation diese grundlegende Form ermittelt, wird deutlich, wenn man das Kriterium der StrittigkeitStrittigkeit hinzunimmt: Argumentation wird nur notwendig, wenn etwas bestritten wird. So lassen sich die drei Funktionen des Modells durch das Bestreiten einzelner Teile herausarbeiten. Eine kurze Sequenz aus dem Beispiel macht dies deutlich:
JUROR 8: Ich weiß nur, daß dieser Junge sein ganzes Leben herumgestoßen wurde. Er ist in einem Elendsviertel aufgewachsen, hat früh seine Mutter verloren. Damals war er neun Jahre alt. Für anderthalb Jahre hat man ihn in ein Waisenhaus gesteckt, weil sein Vater eine Gefängnisstrafe absitzen mußte. Wegen Scheckfälschung, stimmt’s? Ja, das ist kein gutes Sprungbrett fürs Leben. Wie sagten Sie noch – auf freier Wildbahn gegrast? Man hätte sich eben mehr um ihn kümmern sollen.
JUROR 3: Unsere Waisenhäuser sind okay. Wir zahlen Steuern dafür.
Die argumentative Äußerung von Juror 3 lässt sich in der dreiteiligen Form folgendermaßen darstellen.
Die Aussage, die begründet werden muss, ist, dass Waisenhäuser okay sind. Denn Juror 8 hat eine gegenteilige Aussage gemacht, indem er festgestellt hat, dass der Angeklagte in einem Waisenhaus gelebt hat („hineingesteckt wurde“) und dass dies kein gutes Sprungbrett für das Leben sei. Juror 3 widerspricht nicht nur der Aussage von Juror 8, er stellt eine Gegenbehauptung auf und er liefert auch gleich den Grund dazu. Warum sind unsere Waisenhäuser okay? Weil wir Steuern dafür zahlen.
Es fehlt noch die dritte Funktion innerhalb des dreistelligen Modells: der Übergang von Grund zu Konklusion. Kann man, um auf die Funktion des Grundes zu kommen, fragen, warum die Aussage gilt (Unsere Waisenhäuser sind