Morgen kommt der Weihnachtsmann. Andreas Scheepker
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Читать онлайн книгу Morgen kommt der Weihnachtsmann - Andreas Scheepker страница 15
»Sie haben Tjarksen damals Drohbriefe geschrieben«, stellte Gerrit Roolfs fest. »Wir haben sie in Tjarksens Schreibtisch gefunden.«
»Das stimmt. Für mehr reichte mein Mut damals nicht. Aber das ist lange her. Fast acht Jahre. Jetzt ist das alles nicht mehr zu ändern. Was soll ich davon haben, dass er jetzt tot ist?«
»Rache?«
»Ist was für Krimis. Aber nicht für mich. Ich habe mich damit abgefunden. Darf ich den Brief noch mal sehen?«
»Natürlich, ich habe alle dabei.«
»Wieso alle? Ich habe nur einen geschrieben.«
Weihnachtsgeschäft
»Ehrlich gesagt, das kommt mir alles sehr ungelegen.« Johannes Fabricius wuchtete den Bücherkarton auf seinen Schreibtisch. »Das Weihnachtsgeschäft ist für den Buchhändler genauso lebenswichtig wie für den Weihnachtsmann.« Aus den Lautsprechern eröffneten Trompeten und Pauken den Eingangssatz des Weihnachtsoratoriums von Bach in der Gardiner-Einspielung.
»Das ist in diesem Fall wohl ein unpassender Vergleich«, bemerkte Gerrit Roolfs und setzte den anderen Bücherkarton ebenfalls auf dem Schreibtisch ab.
»Ich weiß nicht, wie ich euch helfen soll«, sagte Fabricius. »Außerdem will ich ein paar Tage mit Beverly nach London. Und dann habe ich auch noch die letzten Proben für unser Konzert.«
»Ich denke, das Weihnachtsgeschäft ist lebenswichtig?«, provozierte Gerrit.
»Das Geschäft schließt ja auch nicht. Die kommen ein paar Tage ohne mich zurecht. Vielleicht sogar besser als mit mir. Also, in Ordnung. Wenn ich etwas Konkretes tun kann, gib mir Bescheid.«
»Weiß Beverlys Mann nichts von euch?« Gerrit spielte darauf an, dass sein Freund die Frau des bekannten ostfriesischen Geschäftsmannes bei den Ermittlungen im letzten Jahr kennen gelernt hatte und dass die beiden seitdem zwar nicht gerade eine heiße Affäre hatten, aber hin und wieder ein paar Tage gemeinsam verreisten.
»Nicht direkt. Er weiß, dass sie jemanden trifft, so wie er auch seine nebenehelichen Arrangements hat. Aber er weiß nicht, dass zwischen uns noch etwas ist. Dass würde ihn auch belasten, und belasten wollen wir ihn ja nicht. Van Westen denkt, dass Beverly ein paar Kuscheltage mit ihrem Tennislehrer in London verbringt.«
»Und mit wem verbringt der Tennislehrer jetzt seine Kuscheltage?«, wollte Gerrit wissen.
»Mit Beverlys Bruder. So, und nun muss ich mich wieder um meine Bücher kümmern.«
Erinnerungen
In Gedanken ging er den Plan für heute Abend noch einmal durch. Leiser Zweifel überkam ihn. War es richtig, was er sich zu tun vorgenommen hatte? Auf einmal sah er die Szene wieder ganz deutlich vor sich.
Plötzlich spürte der Junge einen harten Griff in seinem Nacken. Der heftige Schmerz erschreckte ihn so, dass er etwas von der Milch verschüttete, mit der er den kleinen Hund füttern wollte.
»Wem soll ich das Genick umdrehen? Dir oder deinem Köter?«
Der kleine Hund leckte ihm mit seiner weichen Zunge die Milchtropfen von den Fingern.
Die eiserne Hand packte noch stärker zu. »Hörst du nicht, wenn dein Vater mit dir redet?«
»Hör auf, das tut weh! Lass mich los«, schluchzte er.
Mit einem Mal ließ die Hand los und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken.
Gerade, als der Junge dem Welpen die Schüssel Milch zuschob, bückte sich der Mann blitzschnell, packte den Hund, drehte ihm das Genick um und schleuderte das kleine Tier ins Gebüsch.
Als der Junge den Hund am Abend im Garten begraben hatte, stand plötzlich die Mutter neben ihm.
»Das hast du schön gemacht, mein Junge. Am besten wir sagen ihm gar nichts davon, sonst regt er sich wieder auf.« Mit dem Fuß zertrat sie den kleinen Erdhügel, den der Junge glattgeklopft hatte. Sie strich dem Jungen über die Haare und sagte: »Sei nicht traurig. Das Beste ist, wenn er das hier gar nicht mitbekommt. Wir wissen ja, wo dein kleiner Hund ist. Das ist unser Geheimnis.«
Auch nach über fünfzig Jahren wusste er noch genau, an welcher Stelle im Garten er damals den kleinen Hund begraben hatte. Und er spürte die Hand in seinem Nacken. Auf einmal war es ihm egal, ob es richtig war, was er für heute Abend plante. Es war auf jeden Fall das, was er tun wollte.
Verknobelung
Theo Seifert hatte Glück an diesem Abend. Es war eine alte Tradition, dass am Vorabend des Nikolaustages in ostfriesischen Gaststätten mit einem kleinen Einsatz um Preise wie Torten, Kuchen, Geflügel, Schinken, Würste und andere Lebensmittel gewürfelt wurde. »Verknobeln« hieß dieser Brauch.
Seifert hatte wie jedes Jahr an der großen Nikolaus-Verknobelung in der Gaststätte Norder Wappen teilgenommen. Mit einem Schinken, zwei großen Mettwürsten und einem Hasenbraten in seiner vollgepackten Aktentasche machte er sich auf den Nachhauseweg.
Die frostkalte Luft schlug ihm wie eine Ohrfeige ins Gesicht, als er aus der überhitzten und verräucherten Gaststätte nach draußen kam. Er war nicht mehr daran gewöhnt, so viel zu trinken. Er blieb einen Moment vor der Tür stehen, hörte das Stimmengewirr, das Volksmusikgedudel und dazwischen die Zurufe und Kommentare der Leute zum Würfelspiel.
Er nickte sich selbst ermunternd zu und ging los. Von hier aus war es höchstens eine Viertelstunde zu Fuß nach Haus. Vom Glockenturm der Ludgerikirche schlug es elfmal.
Das Licht wurde gerade in diesem Moment abgeschaltet. Er ging weiter, stolperte und ließ seine Aktentasche fallen. War seine Glückssträhne zu Ende?
Seifert hob die Tasche auf und dachte daran, wie lang es her war, dass er mit seiner Familie Weihnachten gefeiert hatte. Wie mochte es seiner Frau gehen? Seine beiden Töchter würden zu Weihnachten sicher wieder nur eine Ansichtskarte aus dem Ski-Urlaub schreiben.
Er spürte das Gewicht der Tasche. Immerhin war für einen reich gedeckten Tisch an den Festtagen gesorgt, tröstete er sich und setzte seinen Weg fort. Er hörte schlurfende Schritte. Folgte ihm jemand? Als er sich umdrehte, sah er jemanden in einer Lohne verschwinden.
Nach ein paar Minuten kam Seifert in die Straße, in der er und seine Nachbarn vor etwa vierzig Jahren fast gleichzeitig ihre Häuser gebaut hatten. Eine nette Nachbarschaft, bis ihr hier eingezogen seid, dachte er, als er am Haus der Fischers vorbeiging. Alles war dort dunkel, scheinbar war niemand zu Hause.
Theo Seifert öffnete seine Gartenpforte und suchte dann in allen Taschen nach seinem Hausschlüssel, als er hörte, wie Schritte näher kamen. Er drehte sich um. »Ach, du bist es. Ich habe dich fast nicht erkannt. Wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was machst du denn um diese Zeit hier? Weißt du was, ich mach uns erst einmal einen ordentlichen Grog gegen die Kälte. Halt mal die Tasche, ich schließe uns auf …«
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