Morgen kommt der Weihnachtsmann. Andreas Scheepker
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Читать онлайн книгу Morgen kommt der Weihnachtsmann - Andreas Scheepker страница 13
Gerrit Roolfs starrte auf den Satz, der auf einer Schreibmaschine mit einem schon stark verbrauchten Farbband getippt worden war.
Er nahm den nächsten an Tammo Tjarksen adressierten Umschlag, fingerte vorsichtig den zusammengefalteten Brief heraus und las: Tammo Tjarksen, ich treffe dich da, wo es dir richtig weh tut! Im dritten Schreiben stand, getippt mit derselben Maschine, die für die beiden anderen benutzt worden war: Tammo Tjarksen, Du bist es nicht wert, das Du lebst! Der vierte Brief war mit der Hand geschrieben: Tammo Tjarksen, ich beobachte Dich, und irgendwann schlage ich zu!
Vorsichtig tütete Roolfs die vier Briefe für die Spurensicherung in Klarsichthüllen ein. Er schaltete den kleinen Fotokopierer in Tjarksens Büro an.
Während das Gerät warmlief, schaute er sich noch einmal Briefe und Umschläge an. Tjarksens Name und Anschrift waren anscheinend mit derselben Maschine getippt wie die Briefe. Auf dem Umschlag des handgeschriebenen Briefes waren Name und Adresse mit Filzstift und Buchstabenschablone geschrieben. Ein Absender fehlte auf allen Umschlägen. Sie waren in einem Briefzentrum abgestempelt worden.
Gerrit Roolfs seufzte. Früher hatte man anhand des Poststempels herausfinden können, wo ein Brief eingeworfen worden war. Aber die Integration der »Fürstlich-Ostfriesischen Post« in die Bundespost vor etwa fünfzehn Jahren hatte dem ein Ende gemacht.
Die Überschaubarkeit und Abgegrenztheit des ostfriesischen Fürstentums hatte Vorteile für die Ermittlungsarbeit. Roolfs hatte allerdings in den vergangenen Jahren den Eindruck gewonnen, dass Ostfriesland immer mehr Eigenständigkeit aufgab, und dass Fürst Carl Edzard diese Entwicklung sogar unterstützte.
Der Kopierer begann zu brummen. Er war betriebsbereit.
»Dürfen wir wieder reinkommen?« Klaus Tjarksen hatte fast unhörbar die Tür geöffnet und stand unbeholfen im Türrahmen.
»Ja, bitte. Holen Sie Ihre Mutter auch dazu. Nehmen Sie bitte Platz.« Roolfs kopierte die Briefe und die Umschläge. Dann packte er die Klarsichthüllen mit den Originalen in seine Tasche.
»Frau Tjarksen, wer hat diese Briefe an Ihren Mann geschrieben?«, fragte er und legte die Kopien vor sie auf den Tisch.
Renate Tjarksen überflog die Briefe und schlug dann die Hände vors Gesicht. »Ich kann mir das gar nicht vorstellen, also, ich weiß wirklich nicht … Wer könnte so etwas tun?«
Das Feuerzeug flammte vor ihrem Gesicht auf, und sie inhalierte den Rauch tief, um ihn dann geräuschvoll seufzend auszuatmen. »Mein Mann war ein Geschäftsmann. Der ging mit dem Kopf durch die Wand. Sie wissen ja, wie er war.«
»Was wollen Sie uns damit sagen?«, fragte Roolfs.
»Das Geschäftsleben ist ein harter Konkurrenzkampf«, schaltete sich Klaus Tjarksen ein. »Da müssen Sie kämpfen oder untergehen. Mein Vater war ein Kämpfer. Und manchmal ist er sehr weit gegangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ehrlich gesagt: nein. Das müssen Sie mir schon näher erklären«, antwortete Roolfs.
»Mein Vater hatte viele Verbindungen zu Banken, zu Großhändlern, zu Leuten in Gemeinderäten und Verwaltung. Und er scheute sich auch nicht, das auszunutzen – in einem gewissen Rahmen natürlich, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Wieso muss ich immer verstehen, was Sie meinen?«, fragte Roolfs gereizt. »Sagen Sie es mir doch! Hat Ihr Vater Schmiergelder bezahlt und Konkurrenten bei Großlieferanten und Banken verleumdet? Soll ich das so verstehen, was Sie meinen?«
Klaus Tjarksen zuckte zusammen und verzog das Gesicht wie bei einem plötzlichen, starken Schmerz. Er atmete geräuschvoll durch die Zähne ein. »Nein, nein, Herr Kommissar, das habe ich nicht gesagt. Es gibt da so einen Zwischenbereich …«
»Hören Sie!« Hauptkommissar Roolfs’ Stimme klang bedrohlich. »Ihr Vater liegt im Leichenschauhaus. Und wir wollen wissen, wer daran schuld ist. Sie machen mir bis morgen früh eine Liste mit allen Namen von Geschäftsleuten, die Ihr Vater fertig gemacht hat. Und dann unterhalten wir uns mal in aller Ruhe über seine Geschäftspraktiken.«
Geschenkpapier
Buchhändler Johannes Fabricius knallte den Hörer auf. Er war verärgert. Am dritten Adventswochenende sollte eine adventliche Landpartie auf der Dornumer Westerburg stattfinden. Nach dem großen Erfolg der Landpartien auf Schloss Gödens wollte Mareke Meents-Grootekamp, die neue Besitzerin der Westerburg, diese Idee auch in Dornum umsetzen.
Leider, so hatte sie Fabricius mitgeteilt, war die Buchhandlung, die sie ursprünglich für das Event ausgesucht hatte, kurzfristig abgesprungen. Aber auf ein Buchangebot wollte Mareke Meents-Grootekamp bei ihrer Landpartie auf keinen Fall verzichten. »Bücher gehören doch irgendwie mit dazu. Ein bisschen was lesen, das ist doch auch was Schönes. Ein schönes Buch mit einem Glas Wein und ein bisschen Musik … Das ist doch Kultur, Herr Fabricius.«
Natürlich hatte Fabricius zugesagt. Er sah es zwar als Affront an, dass er als Fürstlicher Hofbuchhändler nicht als Erster gefragt worden war. Aber er wusste auch, dass er auf immer draußen wäre bei den Landpartien, wenn er jetzt nicht zugriff. Und er hatte ihr zusagen müssen, dass er am Sonnabend Lesungen organisieren würde.
Fabricius ärgerte sich über sich selbst und darüber, dass er in diesem Telefonat außer ›Ja‹, ›Das kriegen wir schon irgendwie hin‹ und ›Aber klar doch‹ kaum etwas gesagt hatte. Auch mit Ende vierzig war er in manchen Situationen nicht in der Lage, seine Meinung klar zu äußern und seine Interessen zu vertreten Stattdessen ließ er sich von Leuten wie Mareke Meents-Grootekamp unterbuttern. Es war nicht zu fassen!
»Herr Erdwiens ist gerade gekommen, er wartet oben auf Sie«, sagte Tanja, die Auszubildende, und störte seinen Gedankenkreisel.
Fabricius brummte und ging nach oben, in den Bereich der Buchhandlung, der wie eine große Bibliothek aussah. Mit vollgepackten Regalen und Bücherstapeln, die zum Stöbern, Suchen und Finden verführten, und mit Sesseln, die zum Sitzen und Lesen einluden – eben so, wie nach Fabricius’ Meinung eine richtige Buchhandlung sein sollte.
Aber er wusste auch, dass er zur Finanzierung dieser Traumbuchhandlung die untere Etage brauchte, in der Kochbücher, Reiseführer, Bestseller, Krimis und Bücher für Hobby und Garten in den üblichen Wandregalen präsentiert und verkauft wurden – in jeder Buchhandlung das ewig gleiche Angebot der ewig gleichen Titel aus der kleinen Auswahl der ewig gleichen Verlage. Im Unterschied zu einigen anderen Buchhandlungen verzichtete er allerdings darauf, zusätzlich Plüschtiere, Schreibwaren und Mitbringsel in sein Sortiment aufzunehmen.
»Herr Erdwiens, was kann ich für Sie tun?« Johannes Fabricius ging auf den älteren Herrn zu, der sich im Nu aus dem Sessel erhob, wie immer tadellos gekleidet im grauen Anzug mit Weste und leuchtend bunter, modischer Krawatte. Onno Erdwiens breitete die Arme aus, seine Wangen leuchteten wie rotbackige Äpfel, sein schlohweißes Haar und seine funkelnde Brille ließen ihn wie einen Weihnachtsmann aussehen.
Erdwiens’ Stimme donnerte durch den Laden. »Gerechtigkeit für Marenholz! Ich will nichts als Gerechtigkeit für Marenholz!«
Erdwiens schrieb, seitdem er als Leiter des Norder Gymnasiums pensioniert war, historische Romane über Ostfriesland, die sich mit gutem Erfolg in der Region verkauften. Er war belesen, talentiert und äußerst liebenswürdig. Im Gleichgewicht wurden diese guten Gaben durch sein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Öffentlichkeit und Anerkennung gehalten,