Morgen kommt der Weihnachtsmann. Andreas Scheepker
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Читать онлайн книгу Morgen kommt der Weihnachtsmann - Andreas Scheepker страница 9
Nadine Becker sah durchs Fenster, wie Gerrit Roolfs aus einem Auto stieg und auf das Geschäft zukam. Das Kommissariat hatte ihr vor einer Stunde telefonisch den Besuch von Hauptkommissar Gerrit Roolfs als »reine Routinesache« angekündigt, aber sie ließ sich nicht so leicht Sand in die Augen streuen. Wenn ein Hauptkommissar zu ihr kam, um über Tammo Tjarksen zu reden, dann musste er einen Verdacht haben. Aber wie viel konnte er wissen? Nadine beschloss, genau das in diesem Gespräch herauszufinden.
Als es an die Tür klopfte, griff sie sich schnell ein Handy aus der Schublade und rief »Herein«. Als Roolfs ins Zimmer trat, sprach sie in das Telefon: »Das müssen wir jetzt knallhart durchziehen, Herr de Boer. Das nützt nichts.«
Nadine Becker winkte Roolfs herablassend zum Zeichen, dass er sich setzen dürfe, und nahm ihr gespieltes Telefonat wieder auf: »Hören Sie, de Boer, ich lass mir von Ihnen nichts vormachen. Ich bin ein Profi. Bei mir können Sie mit solchen Ausreden nicht landen, verstehen wir uns?«
Roolfs fixierte sie mit seinem Blick. Nadine Becker drehte sich zur Seite und gab vor, ihrem fiktiven Gesprächspartner zuzuhören. »Ob ich so einverstanden bin?«, fragte sie schließlich wie zur Antwort. »Aber hallo. Ich sehe, wir verstehen uns. Wenn Sie nicht klarkommen, rufen Sie mich einfach an. Okay!« Sie legte das Handy beiseite und strahlte Gerrit Roolfs mit einem liebreizenden Lächeln an. »Und was kann ich für Sie tun, Herr Hauptkommissar?«
Gerrit Roolfs nahm Nadines Handy und betrachtete es einen Moment. Dann sagte er schlecht gelaunt: »Verraten Sie mir doch einfach, wer Tammo Tjarksen ermordet hat. Dann können Sie sich in Ruhe weiter mit Ihrem leeren Handy unterhalten.«
Schneemann-Lichterketten
»Chefin, die Schneemann-Lichterketten sind gerade gekommen. Wo soll ich die hintun?« Eine junge, dicke Frau in Jeanshemd und Leggins stand plötzlich in der Tür.
»Jacqueline, ich möchte, dass du anklopfst, bevor du hier reinkommst«, sagte Nadine Becker überbetont freundlich. »Verstehen wir uns?«
»Schon klar, und was iss nu’ mit die Schneemänner?«, fragte die Angestellte mürrisch.
»Gleich in die Regale damit. Morgen läuft die Sonderaktion, und da sind die Lichterketten mit dabei. So, und jetzt will ich nicht mehr gestört werden. Einen kurzen Moment müsst ihr auch mal alleine klarkommen!«
Den letzten Satz sagte sie mehr zu Roolfs hin, dessen schlechte Laune sich dadurch noch steigerte und der sie gleich belehrte: »Ob unser Gespräch wirklich nur einen ›kurzen Moment‹ dauert, das hängt davon ab, welche Informationen Sie mir liefern.«
Das maulige Gesicht der Angestellten in der Tür verzog sich zu einem breiten Grinsen. Erst als Nadine sie böse anfunkelte, verließ sie das Büro.
»Frau Becker, Sie haben eng mit Herrn Tjarksen zusammengearbeitet. Hatte er Feinde?«, fragte Roolfs.
»Ja.« Die Geschäftsführerin sah ihn herausfordernd an. »Wer Erfolg hat, macht sich Feinde. Und manchmal muss man sich auch Feinde machen, um Erfolg zu haben.« Nadine Becker schlug die Beine übereinander, die in ihrem knappen, dunkelgrauen Kostüm gut zur Geltung kamen. Sie rollte mit ihrem Schreibtischstuhl ein wenig zurück, offenbar, damit Roolfs sie gut im Blick hatte.
Roolfs warf einen übertrieben bewundernden Blick auf ihre Beine und bemerkte trocken: »Manchmal führen auch andere Wege zum Erfolg. Sie sind erst sechsundzwanzig und leiten die Norder Traditionsfiliale.«
»Was erlauben Sie sich?« Nadine rollte ganz an ihren Schreibtisch und richtete sich angriffslustig auf. Roolfs merkte, dass er mit dieser Anspielung zu weit gegangen war, aber er musste sie aus der Reserve locken, um etwas zu erfahren. Und inzwischen spürte er, dass sie etwas verbarg.
»Ich muss Ihre Fragen überhaupt nicht beantworten«, sagte sie mit schlecht gespielter Selbstsicherheit. »Ich rufe am besten den Anwalt unserer Firma an.«
»Tun Sie das bitte sofort, wenn Sie Ihrer Meinung nach zu den Verdächtigen gehören«, erwiderte Roolfs. »Ansonsten schlage ich vor, dass Sie meine Fragen beantworten, ohne hier Fisimatenten zu machen. Ich befrage Sie nur als Zeugin, nicht als Verdächtige.« Er wartete einen Moment. »Und? Wie sieht’s aus?«
Nadine Becker nickte. »In Ordnung. Ich arbeite hier seit etwa drei Jahren. Ich habe vor fünfeinhalb Jahren hier in Norden Abi gemacht und ein paar Semester Betriebswirtschaftslehre studiert. Aber das war nichts für mich. Zu viel Theorie-Kram, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Roolfs nickte wissend und dachte daran, dass er vor etwa zwanzig Jahren aus ähnlichen Gründen sein Jurastudium abgebrochen hatte.
»Mein Opa und Tammo Tjarksen sind alte Freunde. Und mit meinem Vater hat Tammo öfter geschäftlich zusammengearbeitet. Wenn Sie so wollen, habe ich den Job durch Beziehungen bekommen. Aber inzwischen habe ich mir meine Position selbst erarbeitet. Geschenkt bekommen habe ich nur die Chance, genutzt habe ich sie selber. Dafür habe ich hart gearbeitet.«
»Und wie wird es jetzt weitergehen mit dem Geschäft?«
»Renate und Klaus werden die Firma übernehmen und Wolfgang Hinrichsen zum Geschäftsführer machen. Alles andere wird weiterlaufen wie bisher. Davon gehe ich jedenfalls aus. Oder haben Sie etwas anderes gehört?« Nadine blickte Roolfs fragend an.
»Wie standen Sie zu Tammo Tjarksen?«
Er bemerkte, dass diese Frage sie verlegen machte. Sie schaute einen Moment zu lange auf ihre Hände, die sie betont ruhig auf eine Mappe auf der Schreibtischplatte gelegt hatte.
Dann schaute sie Roolfs an und beschloss offenbar, zumindest einen Teil der Wahrheit zu sagen. »Da lief nicht wirklich etwas. Tammo ist dreiundsiebzig … war dreiundsiebzig«, verbesserte sie sich und fuhr fort: »Ich bin fünfundzwanzig. Er war kein unattraktiver Mann, auch mit über Siebzig. Er war sportlich, kreativ, hatte Durchsetzungsvermögen und eine unerschöpfliche Energie. Er mochte mich ganz gern. Wir sind auch schon mal zusammen ausgegangen. Aber mehr als ein bisschen Flirten und Händchenhalten war da nicht. Höchstens mal ein Küsschen auf die Wange … allerhöchstens!«
»Und was lief auf der Adventsfeier?«, wollte Roolfs wissen.
Weihnachtsschnaps
»Das Übliche«, sagte Nadine gelangweilt. »Zuerst die großen Worte, dann das große Fressen und am Ende das große Besäufnis.«
Gerrit Roolfs sah sie fragend an, und sie erklärte: »Zuerst hält Tammo Tjarksen immer seine Dankesrede, dass die ganze Firma wie eine Familie ist, eine große Familie, in der alle zusammenhalten und alle ihr Bestes geben. Und dann kommt das Festessen. Da lässt sich Tammo immer was einfallen. Diesmal gab es ein schwedisches Weihnachtsbüfett mit Weihnachtsschinken, Rentierfilet, Kartoffelklößen. Sogar Weihnachtsbrei war dabei. Kennen Sie das? Das ist ein Brei aus Milchreis mit einer Mandel …« Nadine sah ihn plötzlich mit großen Augen an.
»Und was geschah dann?«, fragte Roolfs.
»Dann kam das Besäufnis. Aber mit Stil, sage ich Ihnen. Skandinavischer Punsch, schwedisches Bier, Weihnachtsschnaps …«
»Weihnachtsschnaps?«
»Ja,