Ostfriesen morden anders. Peter Gerdes

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Ostfriesen morden anders - Peter Gerdes

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sprach, lachte er nur.

      Es dauerte keine fünf Monate, dann drehte man Uke den Geldhahn zu. Kreditlinie zweimal erhöht, Zahlen konstant rot – die Bank zog die Reißleine. Da nutzte auch kein Bitten und kein Betteln, kein Klagen und kein Motzen. Uke musste dichtmachen.

      Das vergaß Uke der Bank nicht. Uke schwor Rache. Denn er war nachtragend.

      Die Bank baute ein neues Geschäftshaus, ein großes, teures Ding, mitten in der Fußgängerzone. Es war so gut wie fertig, bald würden die ersten Angestellten ihre Büros beziehen. Töten wollte Uke ja keinen, aber der Bank sollte es richtig wehtun. Also war der Zeitpunkt günstig.

      Uke baute eine Bombe. Das konnte er, denn er saß oft nächtelang am Internet. Der lachende Typ mit dem Islamisten-Bart machte genau vor, wie das ging. War gar nicht so schwer.

      Als Uke den Tatort ausbaldowerte, stellte er fest, dass schon sauber gemacht wurde. Höchste Zeit! Heute Abend würde er zuschlagen.

      Er kam, als die Putzkolonne gerade Feierabend machte. In seinem blauen Kittel fiel er nicht weiter auf. Er platzierte die Bombe, getarnt als Postpäckchen, in einer Ecke der brandneuen Schalterhalle. Auf all die Scherben und den Schutt freute er sich schon.

      Als die letzten Reinigungskräfte das Haus verließen, aktivierte er den Zeitzünder. Fünf Minuten mussten reichen. Eilig schlüpfte er mit durch die Seitentür. Der Mann mit dem Schlüssel guckte irritiert, sagte aber nichts.

      Als Uke ein paar Hauseingänge weiter Deckung nehmen wollte, tippte ihm jemand auf die Schulter. Es war eine der Putzfrauen. »Hier, das haben Sie vergessen«, sagte sie und drückte ihm das Päckchen in die Hand, das sie ihm nachgetragen hatte. »Keine Ursache! So, ich muss schnell weiter, die anderen warten schon. Tschüß!« Und weg war sie.

      Uke starrte fassungslos auf die Bombe in seinen Händen. Wie kann man nur so nachtragend sein, war das Letzte, was er dachte.

      Helgoländer Wurzeln

      Sie hatte gehofft, dass er sie am Kai erwartete. Und sie war gespannt gewesen, was für ein Gesicht er machen würde. Eine deutliche Reaktion hatte sie sich gewünscht, eine Gefühlseruption, die die sonst so glatte Oberfläche seiner männlich-herben Coolness durchbrach und zertrümmerte. Wann, wenn nicht jetzt, hatte sie gedacht.

      Das hier aber übertraf alle Erwartungen.

      Immo Hamkens war ein Friesenkerl wie aus dem Bilderbuch, einsfünfundneunzig groß, schmalhüftig, breitschultrig, flachsblond, die blauen Augen von borstigen Brauen halb verborgen, die Nase kräftig, der Mund breit, der Unterkiefer stark. Alles in allem ein stattlicher Mann von siebenundzwanzig Jahren, dessen Umarmungen ihr den Atem geraubt und dessen Küsse sie süchtig gemacht hatten.

      Aber wie er da so stand, mit baumelnden Armen, hängenden Schultern und offenem Mund, sah er nicht mehr so aus wie der Mann, auf dessen Klopfen hin sie gar nicht schnell genug ihre Zimmertür hatte öffnen können. Der schönste Mann des gesamten Lehrgangs, und sie hatte ihn in ihrem Bett! Ein höchst befriedigendes Gefühl.

      Der Rest war … na ja, auch nicht schlecht. Aber wirkungsvoll. Was die Folgen anging.

      Betont langsam schritt sie die kurze Gangway hinab. Sehr betont wiegte sie sich in den Hüften. Und ganz besonders betont reckte sie ihren Babybauch vor. Eine runde Sechs prangte auf dem rosa Sticker an ihrem Shirt; trotzdem wurde sie immer wieder gefragt, in welchem Monat sie denn sei. Manche Leute kapierten auch gar nichts.

      Immo schien einer von denen zu sein. Jedenfalls stand sein Mund immer noch offen.

      Tomke blieb direkt vor ihm stehen, die Arme in die Seiten gestemmt, und strahlte ihn an. Die übrigen Passagiere mussten sich hinter ihr vorbeizwängen. Ein breiter Klotz mit weißblonder Stoppelfrisur glotzte sie vorwurfsvoll an. Seine Begleiterin mit dem kecken Pferdeschwanz lachte nur.

      Immo lachte nicht. »Was soll das denn?«, stieß er hervor, kaum dass er seinen Unterkiefer wieder in der Gewalt hatte.

      »Wie, was das soll?« Tomke, die ihre Hände just zur Begrüßungsumarmung erheben wollte, ließ sie wieder sinken.

      »Na das! Das da!« Immos Zeigefinger zielte anklagend auf Tomkes pralle kleine Halbkugel. »Ist das … war das …« Sein Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Ekels: »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass ich …«

      Tomke war wie vor den Kopf geschlagen. Mit vielem hatte sie gerechnet, auf manches gehofft. Dies aber hatte nicht auf ihrer Liste gestanden.

      Na ja, vielleicht hatte sie ein bisschen zu lang gezögert. Das war ja überhaupt ihre Art, das Zögerliche, in vielerlei Hinsicht. Den Besuch beim Gynäkologen hatte sie hinausgezögert, obwohl sie natürlich ahnte, warum ihre Regel ausgeblieben war. Den Termin bei der Beratungsstelle hatte sie zweimal verstreichen lassen. Und als es dann für eine Abtreibung endgültig zu spät gewesen war, da war sie richtig erleichtert gewesen.

      Ja, verdammt, sie wollte das Kind. Dieses Kind, das von Immo. Sie wollte es bekommen und haben und großziehen. Mit Immo.

      Nachdem ihr das klar geworden war, hätte sie es Immo wohl gleich sagen sollen. Aber es war nicht so einfach gewesen, sich dazu aufzuraffen, zumal sie schon länger nichts von ihm gehört hatte. Genau genommen seit dem Ende dieses gastronomischen Fortbildungslehrgangs in Cuxhaven nicht. Ein paar flotte Nächte, ein paar schnelle Schwüre – rückwirkend betrachtet, nahm sich die Sache mit Immo wie ein flüchtiges Abenteuer aus. Das war es natürlich nicht. Nicht mehr, denn ein Kind änderte ja alles.

      Am besten, hatte sie sich irgendwann gedacht, fahre ich einfach zu ihm hin. Nach Helgoland, wo er lebt und arbeitet und seine Wurzeln hat. Dann wird er ja sehen, dann wird er sich freuen, hoffentlich, dann wird alles gut werden.

      Tja, und da stand sie nun.

      »Natürlich will ich das!« Tomke konnte nicht verhindern, dass sie laut wurde. »Was denkst du denn, von wem sonst! Wofür hältst du mich?«

      Jetzt endlich begann Immo zu lächeln. Aber was sein markantes Gesicht da in die Breite zog, war nicht das glückliche Lächeln eines werdenden Vaters. Vielmehr war es eine gehässige Antwort auf ihre Frage. Ja, wofür hielt er sie wohl? Für ein neunzehnjähriges Hotelflittchen, dessen Tür leicht zu öffnen und deren Bett leicht zu entern war. Und das wohl Spaß machen durfte, so für ein Weilchen, aber mit Sicherheit keine Probleme, oh nein.

      Helgoland, dachte sie, ein harter Felsen im kalten Meer. Was hab ich mir bloß gedacht? Ihr fiel wieder ein, was sie in der Schule über die Engländer gehört hatte, die diese Insel nach dem Zweiten Weltkrieg hatten auslöschen wollen. Sie nannten sie »Hell-go-land«, das Land, das zur Hölle geht.

      Plötzlich waren Immos Hände doch auf ihren Schultern, ihren Armen, sein Gesicht war ganz nah, das gehässige Lächeln wie weggewischt. »Mensch, Mädchen, was denkst du dir denn«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Das ist jetzt alles anders bei mir! Ich bin jetzt Hotelier, weißt du, nicht mehr bloß Angestellter, ich leite das Haus Hallund, das mir mein Onkel vererbt hat! Ich bin jetzt zweiter Vorsitzender vom Museumsverein, und die Börteboot-Touren rüber zur Düne, die mache ich auch. Verstehst du?«

      Sie schaute hoch, ihm ins Gesicht, erkannte ihn kaum, vielleicht wegen des Tränenschleiers. Was wollte er ihr sagen? Wohl, dass er jetzt jemand war. Und sie und ihr Kind, waren sie denn niemand?

      »Und außerdem«, flüsterte er weiter, noch leiser und intensiver und drängender, »bin ich ja nicht mehr ungebunden.

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