Ostfriesen morden anders. Peter Gerdes

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Ostfriesen morden anders - Peter Gerdes

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unauffälliger, grauhaariger und grau gekleideter Mann mit dunkelbraun gegerbtem Gesicht erschien an der Schmalseite des Tisches wie aus dem Boden gewachsen. »Moin, Helmut«, grüßte er den Polizisten und nickte dann in die Runde. »Darf es noch etwas sein? Frischer Kaffee vielleicht?«

      »Das wäre nett«, erwiderte Stahnke, der seinen Brötchenbissen inzwischen hinuntergeschluckt hatte. Unauffällig schaute er auf seine Uhr – fast zwölf. »Überhaupt sehr nett von Ihnen, dass wir um diese Zeit noch frühstücken dürfen.«

      »Ich bitte Sie.« Der Grauhaarige hob abwehrend die Hände. »Das sind doch außergewöhnliche Umstände heute. Nach dieser schlimmen Sache mit Immo …« Er nickte noch einmal verbindlich und entfernte sich Richtung Küche.

      »Nette Bedienung«, sagte Sina. »Sehr verständnisvoll.«

      »Das ist Nummel Hamkens«, erklärte Battermann. »Immos Onkel. Ist freundlicherweise für Carla eingesprungen. Carla, das ist Immos Frau. Vielmehr Witwe. Sie kann derzeit nicht hier sein.«

      Stahnke wiegte den Kopf. »Vollauf verständlich. Nach solch einem Schock wäre ich wohl auch nicht dazu in der Lage, meinen Dienst ganz normal …« Er brach ab. Etwas in Battermanns Miene sagte ihm, dass er auf dem Holzweg war. »Oder hat sie etwa gar keinen Zusammenbruch erlitten? Was hält sie denn dann von ihrer Arbeit fern?«

      »Wetten, die Dame sitzt bei Ihren Kollegen auf der Polizeistation?«, warf Sina wie beiläufig ein. »Zur Vernehmung? Als Tatverdächtige?«

      »Also das … dazu kann ich gar nichts …« Battermann schien sich endlich seines Fahrradhelms zu entsinnen und zog ihn sich umständlich vom Kopf. Nach vorn, wie um sich dahinter zu verstecken.

      »Fangen Sie bloß nie das Pokern an, Herr Kollege. Bluffen liegt Ihnen nicht.« Auch bei Stahnke war jetzt der Groschen gefallen. »Hab mir gleich gedacht, dass das kein Unfall gewesen ist. Obwohl es natürlich auf den ersten Blick so ausgesehen hat. Absturz vom Oberland, die Steilküste runter und hinein in die dicken Felsbrocken und so. Aber was ein echter Insulaner ist, der kennt seine Insel, dem passiert das nicht. Da hat einer nachgeholfen. Stimmt’s?«

      Battermann wand sich auf seinem Stuhl. »Sie werden verstehen, dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gar keine Auskünfte geben kann. Die Ermittlungen laufen erst an. Unser Doktor ist ja gerade erst mit der Inaugenscheinnahme des Toten fertig.«

      »Das Blut am Hals«, warf Sina ein. »Alles andere – der zerschmetterte Schädel, die Knochenbrüche, die Verrenkungen – sind potentielle Sturzverletzungen, die auch Folgen eines unfallbedingten Absturzes gewesen sein könnten. Woher aber sollte das Blut am Hals gekommen sein? Vom Kopf her nicht, da war die andere Seite blutig, und so wie der Tote lag, ist nichts rübergetropft. Und aus der Nase kann es auch nicht gekommen sein.«

      »Vermutlich also eine Stichverletzung«, nahm Stahnke den Faden auf. »Linksseitig, das passt auf einen Rechtshänder. Oder?«

      Battermann seufzte. »Ach, wenn Sie sowieso schon alles wissen …« Er räusperte sich. »Jedenfalls fast.«

      »Wieso fast?«, fragte Sina.

      »Es war nicht eine Stichverletzung«, sagte Battermann.

      »Kein Stich?«, fragte Stahnke erstaunt.

      »Doch«, erwiderte Battermann.

      »Was denn nun?«

      »Nicht einer, sondern vier.«

      »Vier Stiche.« Stahnke pfiff durch die Zähne. »Das ist heftig.«

      »Wo ist es denn überhaupt passiert?«, fragte Sina.

      »Oben, in den Kleingärten«, antwortete der Inselpolizist.

      »Kleingärten? Sowas gibt es hier?« Stahnke staunte.

      »Oh ja!« Battermann lächelte. »Die Kleingartenanlage mit dem schönsten Ausblick Deutschlands! 75 Gärten gibt es da. Das sind begehrte Fleckchen Erde. Hier, wo es fast nur Sand und Felsen gibt, sind diese Parzellen natürlich etwas ganz Besonderes. Die Leute ziehen sich ihr Gemüse, ihre Kartoffeln und Mohrrüben selbst. Frisches Grünzeug ist hier sehr begehrt.«

      »Ist ja auch sehr gesund«, sagte Stahnke, ohne nachzudenken.

      »In diesem Fall aber tödlich«, murmelte Sina. »Vitamine am Abgrund …«

      Zwei weitere Männer betraten den Frühstücksraum, der eine ebenso uniformiert wie Battermann, der andere in legerer Sportkleidung. »Dr. Hinrichs, der Inselarzt«, stellte er sich vor, als er sich zu den anderen setzte. Der zweite Polizist beugte sich zu Battermann und flüsterte ihm ein paar Sätze ins Ohr, ehe er sich wieder entfernte.

      Battermann legte die Stirn in Falten. »Frau Hamkens leugnet nicht nur die Tat, sie bestreitet auch, heute früh überhaupt auf dem Oberland gewesen zu sein«, berichtete er. »Seit dem Aufstehen hätte sie durchgehend hier im Hotel zu tun gehabt. Und wie es aussieht, gibt es auch Zeugen, die das bestätigen können. Wir überprüfen das gerade.«

      »Was wäre denn überhaupt ihr Motiv gewesen?«, erkundigte sich Sina.

      Battermann lächelte fein. »Gestern soll ein junges Mädchen mit der Funny Girl hier eingetroffen sein. Ziemlich schwanger, wie es heißt. Von Immo Hamkens. Der wollte das Mädchen umgehend wieder loswerden. Frau Hamkens hat das Ganze mitbekommen und ihrem Gatten direkt am Kai eine Szene gemacht.«

      »Woher wissen Sie das alles?«, fragte Stahnke.

      Battermanns Lächeln verstärkte sich. »Wir haben hier nur etwa 1250 Einwohner. Aber Sie glauben ja gar nicht, wie viele Augen und Ohren die haben!«

      »Loswerden wollte er das Mädchen?«, schaltete Sina sich wieder ein. »Aber zurück an Bord gegangen ist sie nicht, daran kann ich mich noch erinnern; wir sind ja zur selben Zeit angekommen. Und wenn die Frau Hamkens es nun nicht gewesen sein kann …«

      Battermann nickte. »Dann haben wir eine neue Hauptverdächtige, ganz recht! Meine Kollegen klappern auch schon die Hotels nach ihr ab. Ich muss auch gleich zurück ins Büro. Eigentlich warte ich nur noch auf den versprochenen Kaffee.«

      Wie aufs Stichwort näherte sich der Grauhaarige, in jeder Hand eine Thermoskanne.

      Der Inselarzt hatte inzwischen ein paar Computerausdrucke vor sich auf dem Tischtuch ausgebreitet. Stahnke äugte hinüber. Der oberste Ausdruck war ein Foto vom inzwischen gesäuberten Hals des Toten. Die vier Einstiche waren deutlich zu erkennen. Sie waren rund, mit leicht ausgefransten Wundrändern, und bildeten zusammen ein fast exaktes Rechteck. Merkwürdig, dachte der Hauptkommissar. Ein Messer war das nicht.

      Versonnen schaute er auf Nummel Hamkens Hände, während der die Kaffeetassen füllte. Plötzlich hatte er eine Idee.

      »Immo Hamkens hatte dieses Hotel noch nicht lange, stimmt’s?«, fragte er Battermann.

      »Nee«, erwiderte der und rührte in seiner Tasse. »Letztes Jahr geerbt.«

      »Von seinem Vater?«

      »Nein, von seinem Onkel, dem älteren Bruder des Vaters. Sein Vater ist schon vor Jahren auf See geblieben. Der Onkel war kinderlos.«

      Stahnke fixierte Nummel Hamkens. »Sie sind der jüngere Bruder der beiden Verstorbenen?«

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