Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes

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Ostfriesische Verhältnisse - Peter Gerdes

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ja mehr, als es einbringt! Unterm Strich machen wir kleinen Händler auf jeden Fall Verlust bei diesen Aktionen.«

      »Genau. Der Einzige, der profitiert, ist Eickhoff selber.« Der Rothaarige seufzte. All diese Argumente waren ihm wohlbekannt, benutzte er sie doch selbst bei jeder Gelegenheit.

      Gerade gingen die beiden an Eickhoffs leuchtendem Einkaufspalast vorbei, der alles in seiner Nachbarschaft überstrahlte, auch die kleineren Läden, die alle schon dicht hatten. Hier war tatsächlich einiges los; Gruppen mit prallen Tüten verließen das Gebäude, andere strebten den einladend geöffneten Glastüren zu. Es ging lebhaft und laut zu. Einige der späten Kunden machten einen angeheiterten Eindruck.

      »Solche Besuffskis möchte ich bei mir im Laden gar nicht haben«, schimpfte der Dicke halblaut.

      »Die wüssten ja auch gar nicht, was sie bei uns eigentlich sollten«, pflichtete der Rothaarige ihm bei. Sein bedauernder Unterton aber ließ vermuten, dass es ihm letztlich doch um jeden Kunden leid tat, der jetzt und hier einkaufte statt tagsüber in der Altstadt.

      »Jetzt guck dir das an!« Abrupt blieb der Rothaarige stehen und packte seinen Kollegen am Arm. »Die Einkaufswelt hat auch schon zu! Mann, das ist doch der Hammer.« Er rieb sich die Hände. »Wenn selbst dieses Kaufhaus nicht mehr bis Mitternacht offen hält, dann kann Eickhoff einpacken! Der Besitzer ist doch sonst sein treuester Mitstreiter, was Shopping-Events angeht. Wenn der ihm jetzt auch von der Fahne geht, dann gute Nacht. Aber ohne Shopping!«

      »Bist du sicher?«, wandte der Dicke ein. »Das Licht dort ist zwar aus, aber guck mal – die Tür ist noch offen.«

      »Stimmt. Merkwürdig.« Schon stürmte der Rothaarige los. »Wollen doch mal sehen, was es damit auf sich hat.«

      Tatsächlich stand nur noch der äußerste rechte Flügel der Glasfront offen, und gewiss wäre kein Kunde auf die Idee gekommen, das Halbdunkel dieses Verkaufslabyrinths zu betreten, so eindeutig sah es hier nach Geschäftsschluss aus. Trotzdem, je näher die beiden Flaneure kamen, desto deutlicher vernahmen sie Stimmen von drinnen, aus dem Kassenbereich, wo noch eine Lampe brannte. Laute und erregte Stimmen. Neugierig traten sie näher.

      »Absprachen sind das, feste Absprachen! Herrgott, du hast die Inserate doch selber mit abgesegnet!« Der Hochgewachsene im grauen Maßanzug verlor soeben seine Beherrschung; seine Gesichtshaut rötete sich bedenklich. »Das ist Verrat, was du hier machst, mein Lieber!«, brüllte er. »Verrat! Du weißt, das lasse ich mir nicht gefallen!«

      »Das ist ja Eickhoff«, flüsterte draußen der Rothaarige. Seine Stimme klang ergriffen, als gehe gerade ein lang gehegter Traum in Erfüllung. »Da, schau, zusammen mit seinem Junior! Mann, die geben aber Stoff.«

      Der Besitzer des verdunkelten Kaufhauses trat einen Schritt zurück, um dem Schauer von Speicheltröpfchen aus Eickhoffs Mund auszuweichen. Er war kaum kleiner als sein Mitbewerber und nicht weniger elegant gekleidet. »Führ dich hier nicht so auf!«, zischte er den Wütenden an. »Du bist hier immer noch in meinem Haus, verstehst du? Hier wird gemacht, was ich will, basta! Ist ja alles gut und schön mit deinen Ideen und Plänen, und ich unterstütze dich ja auch, solange sie funktionieren. Aber zu viel ist zu viel, verstanden? Und wenn es sich nicht mehr rechnet, dann ist Schluss mit lustig. Hast du etwa gedacht, ich riskiere deinetwegen Verluste? Das kannst du vergessen! Ich mache zu, egal was in der Zeitung stand, und daran wirst du mich nicht hindern.«

      »Das können Sie nicht machen! Sie hören doch, das ist Verrat!« Wie ein verspätetes Echo schaltete sich Eickhoff junior ein. Oliver Eickhoff war einen ganzen Kopf kleiner als sein Vater; mit seinem pausbackigen Gesicht und dem blonden Bubikopf sah er deutlich jünger aus als Mitte zwanzig, und obwohl er inzwischen zum stellvertretenden Geschäftsführer aufgerückt war, wirkte er doch immer noch ziemlich altklug.

      Der Kaufhausbesitzer würdigte ihn keiner Antwort. »Merk dir für die Zukunft«, knurrte er Eickhoff senior an, »du kannst auf mich zählen, wenn es etwas bringt, was du vorschlägst. Aber wenn nicht, dann nicht. Nibelungentreue gibt es für mich nicht. Spinnerei, sowas! So, und jetzt Schluss mit dem Theater. Raus mit euch beiden, ich will abschließen.«

      Die beiden Flaneure hatten mit glühenden Ohren gelauscht. Um bloß nicht zu verpassen, wie Eickhoff senior auf diesen Rauswurf reagieren würde, schob sich der Rothaarige näher und näher an die Türöffnung heran, drängelte schließlich den Dicken beiseite. Der verlor kurz das Gleichgewicht und rumpelte mit der Schulter gegen die offene Türscheibe, die zu scheppern begann.

      Drei Köpfe flogen herum, drei Augenpaare spähten ins Halbdunkel. Gegen das Streulicht der Straßenbeleuchtung waren nur die Silhouetten der beiden Lauschenden zu erkennen, aber Eickhoff genügte das. »Schau mal an, Asterix und Obelix auf Horchposten«, höhnte er laut. »Ihr kennt wohl überhaupt keinen Anstand mehr, was, ihr ewig Gestrigen? Schert euch bloß zurück in euer Freilichtmuseum! Bremser können wir hier nicht brauchen. Wenn wir Leer nach vorne bringen wollen, brauchen wir hellwache Köpfe, keine Penner.«

      »Genau, Penner!«, echote Eickhoff junior. Sein Kindergesicht, zunächst erschrocken, nahm einen trotzigen Ausdruck an. Er rückte näher an seinen Vater heran.

      »He, Moment mal, du … du Pöbelkasper!«, erwiderte der Dicke schwach. Der Rothaarige hakte ihn unter und zog in seitlich weg, so schnell wie möglich außer Sicht.

      »Ärgere dich nicht«, beschwichtigte er ihn. »Mann, was wir da gerade gesehen und gehört haben, ist doch Gold wert! Dafür dürfen die uns gerne ein bisschen anpöbeln.« Er zog seinen Begleiter mit sich in Richtung Denkmalsplatz. »Komm, darauf genehmigen wir uns einen!«

      Sie entschieden sich für den Außenbereich eines Cafés, wo der Dicke eine Zigarette rauchen konnte. Sonnenschirme schützten vor dem leichten Regen; obwohl es Anfang Oktober war und der Herbst sich unmissverständlich ankündigte, konnte man noch gut im Freien sitzen, wenn man die Jacken anbehielt. Die beiden prosteten sich zu.

      »Und inwiefern jetzt Gold wert?«, fragte der Dicke über seinen Bierschaum hinweg.

      Der Rothaarige nahm einen tiefen Schluck. »Erstens«, verkündete er dann, »weil die beiden mächtigsten Mitglieder der Werbegemeinschaft, die bislang allen möglichen Quatsch gemeinsam durchgedrückt haben, uneinig sind. Zerstritten! Und zweitens«, er trank wieder, »weil wir das jetzt wissen! Das können wir hervorragend verwenden, wenn die wieder ihre Riesenwelle machen und uns andere an die Wand drücken wollen. Das wird ihnen künftig nicht mehr so leicht gelingen!«

      Der Dicke zuckte die Achseln; er hatte sich wohl mehr erhofft. »Kurzfristig sehe ich noch keinen Nutzen. Unsere Hauptprobleme bleiben doch: die abgehängte Altstadt, die umgelenkten Käuferströme, die mangelnde Unterstützung durch die Verwaltung.« Er schüttete sein Bier in zwei großen Schlucken in sich hinein. »Werben tun sie ja gerne mit unserer malerischen Altstadt, aber wenn es drum geht, uns mal unter die Arme zu greifen, dann erhöhen die lieber noch die Gebühren.«

      Kichernd winkte der Rothaarige ab. »Du musst das langfristig sehen! Und da kommt drittens ins Spiel. Nämlich drittens, dass wir die nächste Generation des kaufmännischen Zweiges der Familie Eickhoff nicht fürchten müssen!« Er blies seine hohlen Wangen auf und imitierte den glotzenden Oliver Eickhoff so treffend, dass der Dicke laut lachen musste.

      Die gute Laune hielt sich, bis sich die beiden auf den Heimweg machten, zurück aus der wenig belebten Fußgängerzone in die gänzlich verödete Altstadt. Der Rothaarige, weil er direkt über seinem Geschäft in der Brunnenstraße wohnte, und der Dicke, weil sein Fahrrad in der Rathausstraße stand.

      Eingangs der Brunnenstraße blieben sie noch einen Augenblick stehen, um sich das bronzene Modell der Altstadt anzuschauen, das seit kurzem

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