Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes

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Ostfriesische Verhältnisse - Peter Gerdes

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Zimmertür platzte so abrupt auf, dass Stahnke die verdrängte Luft kühl auf seiner Wange spürte. Der hochgewachsene Mann, der in den Raum stürmte, trug einen grauen, teuer aussehenden Anzug unter einem auswehenden, ebenso kostspieligen Mantel. Der Hals dieses Mannes war ungewöhnlich lang, das Kinn klein, aber vorstehend und in zwei Halbkugeln gespalten, die Lippen wirkten ständig gespitzt. Ein langer Nasenrücken führte hinauf zu einer hohen, in Falten gelegten Stirn. Ein honorig wirkender Mann, das musste Stahnke sich eingestehen. Und doch – sah er nicht aus wie ein Gockel?

      »Wer sind Sie denn?«, schnauzte der Mann. »Etwa der Bodyguard? Dann sollten Sie wohl draußen auf dem Flur stehen. Mensch, hier kann ja jeder reinspazieren, wie er gerade möchte! Sie haben ja wohl gar keine Ahnung.«

      Wenn der Hauptkommissar noch Zweifel gehegt hätte, dass es sich hier um den prominenten Vater des Verwundeten handelte, dann wären die nunmehr ausgeräumt gewesen. Lag diese Art zu schnauzen eigentlich in den Genen, oder bekam jede neue Eickhoff-Generation die in die Wiege gelegt, quasi als Ausweis der Zugehörigkeit zu einer privilegierten Kaste?

      Stahnke tat, was er selten tun musste: Er zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn dem großen Gockel unter die Nase. »Kriminalpolizei«, fügte er erläuternd hinzu. »Wir untersuchen den Anschlag auf Ihren Sohn. Womit hatten Sie denn gerechnet?«

      »Mit Personenschutz selbstverständlich«, erwiderte Eickhoff, jetzt in normalem Ton, aber ohne eine Spur von Verlegenheit. »Offensichtlich hat ein Mordanschlag stattgefunden, und sowie der Täter feststellt, dass er nicht erfolgreich war, wird er doch wohl den nächsten Versuch starten. Sehen Sie das etwa nicht so?«

      »Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen und sind noch dabei, uns ein Bild zu machen.« Die Forderung nach Personenschutz entbehrte natürlich nicht der Logik. Wieso hatte Kramer das denn noch nicht geregelt? Aber darüber würde er sich ganz bestimmt nicht mit diesem Power-Papa hier streiten. »Haben Sie denn eine Vermutung, wer hinter dieser Tat stecken könnte?«, fragte er stattdessen. »Gab es vielleicht Drohungen oder haben Sie andere Beobachtungen in dieser Richtung gemacht?«

      Karl-Friedrich Eickhoff blickte zu seinem Sohn hinüber, zum ersten Mal, seit er das Krankenzimmer betreten hatte. »Natürlich wurden und werden wir bedroht«, konstatierte der Senior. »Seit dem Streit um das große Center in der oberen Mühlenstraße hat das nicht wieder aufgehört. Das richtet sich gegen mich, das richtet sich natürlich auch gegen Oliver. Gegen unsere ganze Familie und alles, was wir uns aufgebaut haben! Man hat uns gesagt, das wäre alles nur Getöse, so sei das nun einmal in der Politik, und Bebauungspläne sind nun eben ein Politikum. Alles nur Gebell, da würde schon nicht gebissen. Aber jetzt sehen wir ja mit eigenen Augen, dass eben doch etwas dahintergesteckt hat. Dass Hunde, die bellen, manchmal auch beißen. Nicht wahr, Oliver?«

      Sein Sohn schlug die Augen nieder und nickte.

      »Sie meinen also, der Anschlag hätte gar nicht Ihrem Sohn persönlich gegolten, sondern Ihrer ganzen Familie? Sozusagen, äh, einer für alle?« Stahnke mochte selbst kaum glauben, was er da fragte.

      Karl-Friedrich Eickhoff nahm wieder den Hauptkommissar ins Visier, und wenn man seine Physiognomie auch belächeln mochte, so hatte sein Blick doch Kraft. »Jawohl, das meine ich! Wie sollte es auch anders sein? Schließlich habe ich – und damit auch meine gesamte Familie – in den letzten Monaten und Jahren eine Menge Feindseligkeit erfahren! Vieles davon ging unter die Gürtellinie. Und glauben Sie mir, so etwas bleibt nicht in den Kleidern hängen! Ich bin mir sicher, da ist einer dabei gewesen, dem es irgendwann nicht mehr gereicht hat, uns nur zu beschimpfen und zu beleidigen. Den müssen Sie finden, dann haben Sie den Täter!«

      Mit ausgestreckter Hand wies Eickhoff senior auf seinen Sohn Oliver, diesmal ohne ihn anzuschauen. »Mein Sohn dagegen hatte doch noch gar keine Gelegenheit, sich Feinde zu machen! In der Schule und auf der Uni war er überall beliebt, das wird Ihnen jeder bestätigen. Und seit er unter mir ins Management eingerückt ist, ist er quasi in meinem Fahrwasser gesegelt. Wer hätte denn einen Grund, ihm nach dem Leben zu trachten, wenn nicht deshalb, weil sein Nachname Eickhoff ist?«

      Bisschen früh für solch ein Plädoyer, dachte Stahnke; komm lieber mit Informationen rüber! Wen genau hast du im Auge? Aber noch ehe er den Mund öffnen konnte, walzte eine imposante Frau in Weiß ins Zimmer. »So, meine Herren, wenn ich Sie dann mal hinausbitten dürfte«, rief sie laut; ihr Ton duldete keinen Widerspruch. »Ich muss dem jungen Mann an den Podex gehen, dabei möchten wir doch keine Zeugen, nicht wahr, mein Lieber?« Sie klatschte auffordernd in die Hände.

      Oliver Eickhoff lief wieder an, diesmal dunkelrot.

      »Ich muss sowieso gehen. Meine Zeit ist begrenzt.« Eickhoff senior winkte seinem Sohn flüchtig zu und wandte sich zum Gehen. Wobei er gleich wieder stoppen musste, denn Stahnkes massiger Körper verstellte ihm den Weg.

      »Ich hätte gerne ein paar konkretere Angaben zu Ihren Ausführungen«, sagte der Hauptkommissar. »Würden Sie mich vielleicht in die Polizeiinspektion begleiten?«

      »Unmöglich!« Eickhoff hob abwehrend die Hände. »Der Vorstand der Werbegemeinschaft tagt jetzt mit der Bürgermeisterin, die warten sicher schon auf mich. Mit denen habe ich mir schon den größten Teil der letzten Nacht um die Ohren geschlagen. Verstehen Sie, da geht es um viel Geld.«

      »Hier geht es um Leben und Gesundheit Ihres Sohnes.« Stahnke machte keine Anstalten, seine Wegblockade aufzugeben. »Und, falls Sie mit Ihren Vermutungen recht haben sollten, um Ihre gesamte übrige Familie einschließlich Ihrer eigenen Person. Also, es liegt in Ihrem eigenen Interesse, dass Sie kooperieren.«

      Karl-Friedrich Eickhoff schnaufte tief durch, fand aber offenbar kein stichhaltiges Gegenargument. »Natürlich, es stimmt, was Sie sagen«, lenkte er ein. »Trotzdem, die Sitzung ist enorm wichtig und meine Mitwirkung unverzichtbar. Aber länger als eine Stunde wird das alles wohl nicht dauern. Was meinen Sie, in neunzig Minuten bei Ihnen im Präsidium? Maximal in zwei Stunden?«

      Ihr guckt alle zu viel Tatort, dachte der Hauptkommissar, während er nickte und beiseitetrat. Von wegen Präsidium! Eickhoff rauschte ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei.

      »So, jetzt aber auch raus mit Ihnen«, ertönte hinter ihm das Organ der resoluten Krankenschwester. »Ich kann doch die Intimität unseres Jünglings hier nicht freilegen, solange es hier zugeht wie im Taubenschlag! Am besten fange ich erst einmal mit dem Druckverband an. Der ist ja auch schon länger dran, was?«

      Beim Zuziehen der Tür erhaschte Stahnke noch einen Blick auf das schmerzverzerrte Gesicht von Oliver Eickhoff und das breite Gesäß der Schwester, die sich an dessen Oberkörper zu schaffen machte. Schnell wandte er sich ab. Er hasste Krankenhäuser – genau genommen hasste er jeden Gedanken an körperliche Beeinträchtigungen, wohl wissend, dass auch er nicht dagegen gefeit war, und das umso weniger, je älter er wurde. Vielleicht hasste er Krankenhäuser gerade deshalb so sehr.

      Und das, obwohl seine Freundin in einer Klinik arbeitete. Ein Widerspruch? Darüber mochte er nun überhaupt nicht nachdenken. Eher schon darüber, wie er die nächste Stunde sinnvoll nutzen konnte, mindestens so sinnvoll wie Eickhoff senior. Darüber aber brauchte er nicht lange zu grübeln.

      4.

      »Einen kleinen Augenblick, ich komme sofort!« Die Stimme kam aus dem hinteren Bereich des Ladens. Woher genau, ließ sich nicht ausmachen, denn der weitläufige Raum war zugestellt mit Regalen, Vitrinen und Kleiderständern. Auch draußen auf dem Bürgersteig und dem Parkstreifen flatterten ausgestellte Jacken und Blusen. Die haben es gut, dachte Stahnke, die sind wenigstens an der frischen Luft. Daran nämlich mangelte es hier drinnen. Licht war dafür überreichlich vorhanden, grelles, gleißendes Licht aus langen Neonröhren,

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