Tote Biber schlafen nicht. Olaf Müller
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Im Café »Grammophon« schäkerte derweil Frau Professor Ines Wittstein-Olmütz mit dem jungen Inhaber, der ihr seine Geschichte aus Neuseeland erzählte. Endlich mal keine Biber, sondern das wahre Leben. Eine Auf- und Aussteigergeschichte. Ihre Latte wurde so kalt wie die Außentemperatur, die Marmelade tropfte vom Croissant, sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. In ihrem engen und figurbetonten Kostüm – der Pelzmantel, natürlich Kunstpelz, hing an der Garderobe – hatte sie nur Augen für den jungen Mann, der immer wieder von Gästen unterbrochen wurde. Zumeist Studentinnen, die bei ihm, nur bei ihm, einen Cappu oder ein stilles Wasser oder einen Darjeeling-Tee bestellten. Sie wurde eifersüchtig auf die jungen Madeln. In Wien, wo sie den Lehrstuhl innehatte, da war sie die Nummer eins. Frau Geheimrat, das sagten die Hausmeister zu ihr. Hier, in Halle an der Saale, wo der Sozialismus noch mit Händen greifbar war, hier in Halle, da war Essig mit Geheimrätin. Ob er denn wisse, wo die Biber an der Saale besonders und vor allem im Winter zutraulich seien? Genervt von der Biberprofessorin verzog der weitgereiste Gastronom keine Augenbraue, sondern den Gürtel seiner löchrigen Stonewashedjeans etwas enger.
»Unten, da bei der Moritzburg, wo der Park beginnt. Da sollten sie mal runtergehen oder runterrutschen«, sagte er freundlich und bestimmt, und noch freundlicher schaute er die blonde Yasmin an, die wie ein Sonnenschein durch die Tür schwebte, ihn anlächelte und sanft hauchte: »Wie immer, mein Lieber.« Da dachte er an die letzte Nacht in seiner alten Studentenbude. Was sie ihm ins Ohr geflüstert hatte zum Thema Latte macchiato brachte ihn so in Fahrt, dass sie und auch die Nachbarn kaum ein Auge zugemacht hatten. Das Futonbett war schließlich durchgebrochen. »Alte Latten«, hatte der Caféhausbetreiber Yasmin ins Ohr gestöhnt. Sie säuselte sanft: »Nur nicht deine. Du brauchst nicht zu flüstern. Die haben alles gehört, mein Weltmeister.«
»Also wie immer, gerne«, hauchte er nun zurück.
Das reicht, dachte die Geheimrätin, rutsch mir doch den Buckel runter, du Vorstadtgigolo. Der Zehner segelte auf die Theke. Sie verließ ohne Verabschiedung das moderne Café. Dann doch lieber Fachgespräche mit Haberstock, dem alten Schwerenöter. Immerhin kann er mit ihr etwas anfangen. Mit ihren etwas über 50 Jahren sah sie immer noch aus wie Anfang 40, Ende 30, und, ja, so war es, ihren Reizen konnte so mancher Doktorand nicht widerstehen. Still lächelte sie vor sich hin, als sie, warm eingemummelt, die ruhenden Löwen vor der Aula der Universität passierte. Biberspezialistin; hatte sie sich nie träumen lassen. Ihr Vater war einst Förster im Waldviertel. Und sie die Erste aus der Familie, die eine Universität von innen sah. Haberstock, den würde sie ein wenig anfixen. Der war empfänglich. Halle, wo muss ich hin, gibt’s denn hier keine Droschken? Scheiß Winter. Alles so kalt und glatt hier. Selbst im Winter ist Wien doch besser als alle anderen Städte auf der Welt. Fast alle anderen Städte, fügte sie rasch an, denn sie dachte an Barcelona, an Juan, den Tangotänzer, der ihr den Kriminaltango beigebracht hatte.
Retter der Vorkarpaten
Haberstock bekam Herzflattern. Nicht wegen der Geheimrätin. Die Biber machten ihm Sorgen. Genauer gesagt, die toten Biber. Nun gut, dachte er, noch ein Nachmittag und eine Nacht. Morgen geht es weiter. Vorträge und Gutachten. Die Biberfrage ist brandaktuell. Haberstock hatte die toten Biber aufmerksam betrachtet. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob die Biber eines natürlichen Todes gestorben seien. Die Blutspur kam später hinzu. Jemand musste sie angeritzt haben. Was hatte das alles zu bedeuten? Galt es ihm oder dem Symposium? Wer erlaubte sich solche makabren Scherze? Zum Glück hatte die Lokalpresse noch keinen Wind davon bekommen. Haberstock, notorischer Frühaufsteher, hatte die drei toten Biber jeweils zeitgleich mit dem Hausmeister entdeckt. Ein wenig Autorität – und zack lagen die Biber in der Biotonne unter verblichenen Blumensträußen der letzten Rednerpultverzierung. Modic hatte bereits zweimal einen Zehner kassiert für diese fachgerechte Entsorgung. Der wird doch wohl nicht, nein, ausgeschlossen, dachte Haberstock beim Aufklopfen des Frühstückseis. Unmöglich. Wer bringt denn Biber für zehn Euro um? Nein, nein. Er verdrängte den Gedanken, drosch auf das Ei ein, die Schale zersprang, und das Eigelb mäanderte die Schale hinunter auf die Tischdecke. Scheißdreck, dachte Haberstock. Hab extra ein Zehn-Minuten-Ei verlangt. Nichts klappt hier. Sapperlot!
Nachmittags rauschte die Geheimrätin in der Kaffeepause auf ihn zu. Ihre blonde Mähne erinnerte Haberstock entfernt an eine Kabarettistin – oder war es ein Kabarettist? Seine Erinnerungen spielten ihm einen Streich. Trixie Dörfel, so hieß die Schauspielerin. Hatte er doch beim Rumschalten entdeckt. Ja, so wie Trixie Dörfel sah die Geheimrätin aus, die ihm am Kaffeetisch Gesellschaft leistete. Trixie Dörfel, dieser blonde Traum aus der Welt der Prominenten. Ihre Lebensbeichte hatte den Professor angerührt. Dass all dies nur eine Parodie war, hatte der gute Haberstock nicht mitbekommen. Schließlich sagte ihm auch der Name Olli Dittrich nichts.
»Lieber Herr Haberstock, schade, dass das Symposium sich dem Ende nähert. Die Zusammenkünfte sind zu kurz. Und das, wo doch Natur- und Tierschutz immer höhere Priorität erlangen.«
Haberstock hatte keine Lust zu antworten. Er knurrte etwas, weil ihm die toten Biber wieder in den Sinn gekommen waren.
»Mit den toten Bibern, das ist ja eine merkwürdige Chose.« Als Ines Wittstein-Olmütz diesen Satz getan hatte, fiel dem guten Haberstock fast die Tasse aus der Hand.
»Tote Biber?«, fragte er leutselig.
»Ah, geh. Sie wissen schon. Blöde Sache. Der Modic, seine Vorfahren stammen ja aus der Nähe von Wien, alles noch k.u.k. Reich, der hat es mir erzählt. Und dann der Ärger mit der Entsorgung. Er sprach schon von ersten Anrufen. Da hab ich ihm schnell einen Fünfziger in die Hand gedrückt. Braucht ja keiner die Nase dran zu bekommen, nicht wahr, Herr Haberstock. Das fehlte noch. Bibersymposium mit toten Bibern. Da freut sich die Journaille.«
»50 Euro!« Haberstock rechnete. Wenn der Modic dreimal 50 Euro von der Wittstein-Olmütz kassiert haben sollte, dazu noch seine spärlichen Zehner, dann hätten ihm die drei toten Biber 180 Euro eingebracht. Na servus. Haberstock traute ihm alles zu.
»Tote Biber. Ja, der hat davon gebrummt, der Hausmeister. Bestimmt irgendwelche Umweltheinis, die denken, dass wir unsere Forschungsobjekte quälen. Sie entschuldigen mich, liebe Kollegin, Sie sehen wieder bezaubernd aus. Aber ich muss noch meine Abreise checken. Morgen geht es in die Vorkarpaten.«
»Vorkarpaten! Wie spannend. Achten Sie auf Vampire, lieber Haberstock. Denen reichen die Biber nicht aus. Die stehen auf weiße Männer.« Geh, du alter Angeber, dachte sie, alte weiße Männer, die werden auch von den Vampiren nicht mehr angepackt. Wird Zeit, dass diese emeritierten Altprofessoren mal das Feld räumen. Früher war er galanter. Sie stand auf, bevor Haberstock zu einer Antwort ansetzen konnte und entschwand in den Workshop »Vermehrung von Biberpopulation trotz Waldsterben und Klimawandel«.
Am nächsten Tag nahm Prof. Haberstock den Fernbus des Busunternehmens »Sindbad« nach Krakau. An der Jagiellonen-Universität war ein Folgekongress geplant. Die Biber wurden in Polen zu einem riesigen Problem. In den Vorkarpaten, der Dreiländerregion Polen, Ukraine, Slowakei waren bereits mehrere Flüsse über die Ufer getreten, weil die Biber das Holz der Vorkarpatenbäume verputzten wie Eis am Stiel. Der San, einer der großen Karpatenflüsse, wurde an der Quelle immer wieder gestaut. Felder standen unter Wasser, Baumstämme, die von Lesko aus bis nach Sanok trieben, verkeilten sich und bereiteten den Wasserbehörden große Schwierigkeiten. Sandsäcke wurden in Sanok vor Skansen, dem berühmten Freilichtmuseum, meterhoch geschichtet. Am riesigen Stausee von Solina blieben die Ausflugsboote am Steg vertäut. Schatten an den Ufern des Badeortes Polanczyk war kaum zu ergattern. Nachts krachte es, schattenspendende Bäume rauschten ins Wasser, und die Biber feierten wieder ein Fest. Immer öfter hörte man von den Gemeindevorstehern, den Förstern, den Hoteliers, den Bootsvermietern das aus tiefer Brust ausgesprochene polnische Schimpfwort »Kurwa!«. Alle Hoffnungen ruhten auf Prof. Haberstock aus Akwizgran,