Tote Biber schlafen nicht. Olaf Müller
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»Klar. Der Tote hat seine Papiere in der Tasche. Brauers, 62, geschieden, wohnte am Lousberg in Aachen. Selbstständig. Macht in Immobilien, Tourismus, Projektentwicklung. Mitglied zahlreicher Vereine. Außerplanmäßiger Professor an der Fachhochschule Aachen für Betriebswirtschaft.«
»Zeugen?«
»Keine. Mann, das sind ja Serpentinen hier in der Eifel. Zuletzt waren wir vor Jahren in Einruhr. Und all die Badewannen auf den Feldern. Sollen die Kühe darin plantschen?«
»Wieder Vogelsang. Hab keine guten Erinnerungen. Badewannen. Die Felder sind voll mit alten Badewannen. Viehtränken oder für die Bauern, können die im Sommer während der Arbeit mal ein Entspannungsbad nehmen«, Fett sprach mehr zu sich.
Über die Himmelsleiter ging es Richtung Lammersdorf, Kesternich, runter nach Einruhr, hoch zum Kreisverkehr vor Camp Vogelsang. Die Schranke war geöffnet. Sie bretterten über die breite Panzerstraße zur Ordensburg. Alle Straßen waren gut geräumt. Die Straßenmeistereien waren bereits seit vier Uhr im Einsatz. Eifel, da ist es immer einen Schlag kälter als im reflexiven Talkessel von Aachen, dachte Fett.
Malakoff
Sie steuerten auf das Wachgebäude zu. Die belgischen Streitkräfte hatten hier ihr Militärgefängnis und einen kleinen Shop eingerichtet. In großen weißen Buchstaben stand links auf dem Gebäude neben der Durchfahrt »Malakoff«. Das belgische Wappen hing noch an alter Stelle. Schritttempo.
»Was heißt denn Malakoff?«, wollte Schmelzer wissen.
»Gute Frage. Wohl kaum ein Vorort von Brüssel. Hat was mit einer Befestigungsanlage zu tun. Ich glaube auf der Krim«, Fett dachte an die belgischen Panzereinheiten, die ihm als Kind auf dem Schulweg begegnet waren. In Düren wurden sie verladen, um ins Manöver zu fahren. Er stand damals mit seinem Schulranzen auf dem Bürgersteig der Schulstraße, die heute Eisenbahnstraße heißt, und bestaunte die Stahlkolosse, die quer durch Düren von der Kaserne zur Verladerampe am Bahnhof donnerten. Amerikanische M41Walker Bulldog der belgischen Garnison. In Vogelsang trainierten sie. Manchmal winkten die Panzerkommandanten. Er winkte zurück, während der Boden von den Ketten vibrierte, die Luft nach Diesel roch. Sonntags radelte er mit seinem Vater an der Kaserne vorbei. Sie hielten an, wenn sie die Panzer sahen. Oft M113 Mannschaftstransportpanzer, die sah der kleine Fett auch abends in der Tagesschau, wenn aus Vietnam berichtet wurde. Amerikanische Soldaten mit Zigaretten im Mundwinkel winkten in die Kamera. Der Sprecher verkündete allerdings Bad News. Tet-Offensive, völlig überraschend. Am nächsten Tag tauchten B 52 Bomber auf dem Bildschirm auf. Sollte die Überlegenheit der Amerikaner zeigen. Phosphorblitze zuckten durch Reisfelder, ein nacktes Mädchen rannte schreiend auf einer Straße den Soldaten und der Kamera entgegen. Hubschrauber landeten auf dem Dach der US-Botschaft in Saigon, wurden vom Deck eines Flugzeugträgers ins Meer gekippt. »Agent Orange«, auch so ein Name. Entlaubte Wälder, verkrüppelte Kinder. Er dachte an das feurige Rauschen der Starfighter F 104, die in Nörvenich mit Nachbrenner starteten. Silberne Raketen mit Stummelflügeln am Himmel über Düren. Vier F 104 F bohrten sich im Juni 1962 in eine Braunkohlengrube bei Frechen. Zusammenstoß beim Kunstflugtraining. Kein Pilot überlebte. Geschichten, die immer wieder erzählt wurden.
Alles schoss in Sekundenschnelle durch Fetts Synapsen, als sie über Malakoff sprachen. Dunkel erinnerte sich Fett an den Krimkrieg des 19. Jahrhunderts im Geschichte-Leistungskurs. Festungsanlagen bei Sewastopol, die hatten irgendetwas mit dem Namen Malakoff zu schaffen.
Links hinter dem Wachgebäude ragten Rampen empor, auf denen zuletzt Leopard 2 aufgebockt wurden. Schmelzer steuerte in Richtung Schwimmhalle, rechts stand der kastrierte Fackelträger der Nazis, dem die Männlichkeit durch Dauerfeuer abhandengekommen war. Sie fuhren Schritttempo Richtung Brücke. Hier oben war es fünf Grad kälter als in Aachen, der Boden fast gefroren, die Kiesel knirschten, das Gras auf dem Sportplatz mit Reif überzogen. Rot ging im Osten die Sonne auf. Die Kombis der Kriminaltechnik parkten vor der Brücke, hinter ihnen ein Leichenwagen aus Gemünd. Leichter Schneeregen fiel langsam auf die grau-braune Landschaft.
Brauers lag auf der Brücke. Die Spuren des Stricks waren deutlich am Hals zu sehen.
»Morgen. Was haben wir?«, Fett wandte sich an den Kollegen Dietzel, der das Team leitete.
»Tod muss irgendwann nach Mitternacht eingetreten sein. Handelsübliches Seil, drei Meter lang. Ich vermute Genickbruch, als er fiel. Wird die Obduktion zeigen. Keine Anzeichen von Kampf. Auf der Brücke die üblichen Spuren von Wanderern, aber der Schneeregen hat viel unbrauchbar gemacht. Der Tote kann aus drei Richtungen auf die Brücke gekommen sein. Erstens der Weg, den Sie genommen haben. Zweitens aus Richtung Urfttalsperre, für Mountainbiker geeignet. Schmaler PKW schafft das auch. Drittens der Urftseerandweg aus Richtung Gemünd. Gleiche Qualität. Ein Wanderweg aus Richtung Kloster Mariawald scheidet meines Erachtens aus. Schnellster Zugang ist euer Weg. Der Jäger Klaus Vogt hat ihn entdeckt. Ihm ist nichts aufgefallen. Könnte Selbstmord sein. Dann müsste Brauers in der Nacht hierhergefahren sein. Seinen Jaguar haben wir nirgends gefunden. Er ist nicht angezogen für einen Ausflug nach Preußisch Sibirien. Eher Tanzveranstaltung oder Abendessen.«
»Selbstmord? Erfolgreicher Unternehmer hängt sich so spektakulär auf? Schon möglich.« Fett schritt über die Brücke. Eine moderne Stahlkonstruktion mit einem riesigen Pylonen.
»Das Seil werden wir genau untersuchen. Knoten sieht einfach aus. Kein Seemannsknoten.«
»Könnte irgendwas ins Wasser gefallen sein?«
»Klar. Die Strömung ist nicht stark, die Urft nicht zugefroren. Wir können da unten alles absuchen.«
»Machen Sie das. Warum so spektakulär? Sowohl Mord als auch Selbstmord. Warum diese Brücke? Wer hat sie gebaut? Wer war Victor Neels? Gibt es Überwachungskameras für das Gelände? Gibt es Frühschwimmer im NS-Hallenbad? Wann fuhr der erste Bus? Wir müssen die Ausgangspunkte der beiden Wanderwege prüfen. Hat dort jemand etwas gesehen? Wo war er gestern? Karneval tobt noch zehn Tage. War er in Aachen auf dem Bäckerball oder im Theater? Wer hat ihn zuletzt gesehen? Lassen Sie die Kollegen die Befragung hier vor Ort machen. Die sollen zum Schwimmbad gehen und fragen, ob jemand etwas bemerkt hat.«
Das Auge des Führers
Die Frühschwimmer drehten ihre Runden im Hallenbad des Führernachwuchses. Alles bestens erhalten. An der Wand die starken Germanen, im Becken eine Mischung aus durchtrainierten Körpern und den Ergebnissen ungesunder Ernährung mit Lust auf Tattoo. Niemand hatte etwas bemerkt. Die Frühschwimmer, eine eingeschworene Gemeinschaft, halfen nicht weiter.
Es war neun Uhr, und Fett nahm von der Brücke aus den steilen Weg in Richtung Ordensburg. Der Turm überragte alles. Wie ein dunkles Auge blickte er über die kahlen Hügel und auf die Urfttalsperre, in der der Wasserpegel niedrig war. Das Auge des Führers, dachte Fett. Vor über 80 Jahren erschallten hier die Morgenbefehle. Eine monströse Anlage für den Nachwuchs der NSDAP. Hitler war hier oben, Reichsarbeitsführer Robert Ley baute diese Trutzburg. Arbeit für Preußisch Sibirien, für die arme Eifel. Führernachwuchs für den Lebensraum im Osten. Aus Lebensraum wurde Totenraum. Handlanger des Todes, ideologisch fest verankert, erfüllten sie den Willen des Führers: Tod und Vernichtung für Lebensraum im Osten. Langsam schritt Fett bergan, vorbei am Schwimmbad, über den Sportplatz und an den Hundertschaftshäusern entlang in Richtung Turm. Die Anlage war nun ein Erinnerungsort mit Ausstellung, Seminarräumen, Gastronomie, Buchshop, Führungen und Akademie. Sein Handy klingelte. Schmelzer.
»Wo stecken Sie?«
»Unter dem Auge des Führers.«
»Wo?«