Tote Biber schlafen nicht. Olaf Müller

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Tote Biber schlafen nicht - Olaf Müller

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oder ohne?«

      »Suppe?«

      »Nein, Bockwurst.«

      »Mit, bitte.«

      »Sechs Euro.«

      »Ah, ja.«

      »Guten Appetit.«

      Die Stimmung war getrübt. Gerüchte machten bereits in den Zeitungen die Runde, dass Mariawald vom Papst, vom Vatikan, vom Bischof und allen himmlischen Heerscharen aufgegeben worden sei. Schließung und Verkauf stünden bevor. So hatte Fett es dem Regionalteil der Tageszeitung entnommen. Ein Investor stünde bereit: Dr. Brauers. Auch hier hatte er sofort mitgeboten oder ein Angebot abgegeben, dem die kirchlichen Behörden nicht widerstehen konnten. Pecunia non olet. Geld stinkt nicht. Die Suppe roch gut. Die Wurst stammte aus einer Metzgerei in Heimbach. Die Dreifaltigkeit in Form von Salz- und Pfefferstreuer mit einer Flasche Maggi stand in liebevoll geschnitzten Holzbehältnissen auf jedem Tisch. Fett verschlang die Suppe. Suppen mochte er. Seine Mutter war eine begnadete Suppenköchin gewesen: Bohnensuppe, Linsensuppe, Erbsensuppe, Graupensuppe. Alles selbst gemacht. Samstags gab es oft Erbsensuppe mit Bockwurst und danach noch Pfannkuchen. Manchmal mit Äpfeln, Kirschen oder Pflaumen. Das waren seine schönsten Samstagsgerichte. Sein Vater lobte die Kochkunst, auch wenn er Suppen als 17-jähriger Wehrmachtssoldat tagein, tagaus in sein Kochgeschirr bekam. Bis am 24. Dezember 1944 kurz vor Budapest die Garbe einer Kalaschnikow seinen Rücken durchlöcherte. Das Kochgeschirr war schrott. Er wurde von Sanitätern gerade noch gerettet und durfte zur Belohnung an den Kämpfen um Prag teilnehmen. Erbsensuppe. Ja, auch die Suppe bei der Bundeswehr war gut. »Blaue Donau«, so hieß das Manöver. Fett lag als Gefreiter irgendwo in den Wäldern von Unterfranken oder Oberfranken und wartete auf die Essensträger. Familien stolperten in die »Klosterstube«. Alle nahmen Suppe. Kurzes Gespräch mit der Kassiererin. Immer drehte es sich um den Verkauf von Mariawald. Leise hörte er das Murmeln der Stimmen über den Suppenterrinen. Mariawald war mehr als ein Kloster. Mariawald war für viele der erste Ausflug in der Zeit des Wirtschaftswunders, Besinnung, Einkehr, Blick in die Eifel und eben Erbsensuppe. Mariawald war die kongeniale Mischung aus Trost, Weihrauch, bürgerlicher Ernährung, Ablass, kurzem Ausflug in die Natur und frischer Luft. Mariawald war für viele Urlaub. Ein Moment der Einkehr und Abkehr vom Alltag in ihrer Heimat.

      Fett stellte das Geschirr in den Rollwagen und warf einen Blick in den Klostershop. Gut sortierte Buchhandlung. Bücher über Papst Franziskus, Papst Benedikt, den lieben Gott und katholische Eheführung. Daneben Weihwasserbecken und Kerzen, Rosenkränze und Wanderkarten, Klosterlikör und Erbsensuppe in Dosen. Der deutsche Soldatenfriedhof am Ende des Parkplatzes wurde kaum beachtet. Von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 befand sich in Mariawald ein Hauptverbandsplatz. Gefallene und ihren Verwundungen erlegene Soldaten wurden an dem Hang oberhalb des Klosters von der Ordensgemeinschaft beigesetzt. 414 Gräber. Sie wurden oft übersehen. Fett las die Tafeln mit den Erklärungen. Dann startete er seinen Alfa und fuhr über Gemünd nach Vogelsang. Mit den Klängen von »Adagio for Strings« im Ohr erreichte er den Parkplatz vor dem belgischen Truppenkino.

      Das Besucherzentrum war gut gefüllt. Alle Kassen besetzt. Links die Ausstellung über die Ordensburg, rechts über den Nationalpark. Fett wusste nicht genau, was er hier eigentlich suchte. Warum die Victor-Neels-Brücke? Warum nicht irgendeine andere Brücke an der Urft, der Rur, dem Wehebach, der Inde? Mit einem Kaffee aus dem Selbstbedienungsrestaurant suchte er einen Platz mit Weitsicht. Am Ende des großzügigen Raumes fand er einen Fensterplatz und schaute auf die Urfttalsperre, die geheimnisvoll unter ihm lag. In der Ferne war die Talsperre zu sehen. Windräder zierten die Höhen. Wolken jagten einander aus Westen kommend in Richtung Köln-Aachener Bucht. Die Erbsensuppe arbeitete. Ein Ranger führte eine Besuchergruppe an die Fenster. Er erklärte die Geschichte der Urfttalsperre, die Sprengung des Kermeterstollens durch die Wehrmacht Anfang 1945, die zu einer Überschwemmung der Rur führte und den Vormarsch der Alliierten kurz verzögerte. Dann folgten die betagten Männer und Frauen dem guten Mann in die Natur. Fett blieb alleine zurück. Zögernd wanderte er schließlich hinunter zur Brücke. Die Treppen über den Sportplatz und vorbei am Schwimmbad waren gesperrt. Rutschgefahr. Das Gefälle war enorm. Heute schien die Sonne ein wenig.

      Er stolperte die Stufen zu den Hundertschaftshäusern hinunter. Salz war nur spärlich gestreut. Links sah er die Kirchturmspitze von Wollseifen. Halb rechts die Urfttalsperre. Wollseifen. Er nahm sich vor, bis Wollseifen zu gehen. Im Gehen wandern die Gedanken. Er machte kurz halt am Hinweisschild für den Nationalpark. Über Schneereste wanderte er los. Der kleine Bach rauschte ins Tal. Anstieg nach Wollseifen. Der Weg war steiler als gedacht. Das jahrelange Radfahren hatte Fetts Kondition gestärkt. Ruhig machte er Schritt für Schritt. Rechts standen Schilder. Betreten verboten! Immer schön auf dem Weg bleiben. Der Weg machte eine leichte Biegung. Fett hielt auf das Trafohäuschen zu. Er las die Erklärung, den Hinweis, dass die Wollseifener Strom für Teufelszeug hielten. Weiter. Links die Schule, vom Landschaftsverband Rheinland restauriert. Rechts die Kirche. Kalt, grau. Dann die Rohbauten. Zugemauert. Trainingsgebiet für SEK und Militär. Häuserkampf. Geiselbefreiung. Zuletzt für den Kosovoeinsatz. Die Sonne schien aus dem Westen auf Wollseifen, die Wüstung. Auch eine Heimatgeschichte, eine Geschichte von Heimatverlust. Und Luftlinie von hier in rund vier Kilometern Abstand hing Brauers gestern Morgen. Wanderer grüßten ihn. Niederländer. Fett hatte sich an das »Hallo« oder »He« gewöhnt. Mehr Niederländer als Deutsche begegneten ihm in Wollseifen. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, da entschied sich Fett für eine Wanderung in Richtung Urfttalsperre und von dort aus zurück zur Ordensburg. Das feste Schuhwerk und die Funktionskleidung verleiteten ihn dazu. Außerdem kamen ihm beim Wandern stets neue Gedanken. So schritt er aus. Es ging bergab, dann in den Wald hinein. Links und rechts immer wieder Schilder, die das Weitergehen untersagten. Munitionsreste vom Truppenübungsplatz. Überall. Er erreichte das Ausflugslokal »Urfttalsperre« kurz vor der Schließung. Ernst Heiliger, der Wirt, grüßte ihn freundlich und empfahl ein paar Wiener, die habe er für verspätete Wanderer immer noch zur Hand.

      »Gerne«, sagte Fett, suchte einen Fensterplatz und staunte über die Dimensionen der Talsperre, vom Aachener Professor Otto Intze zu Beginn des 20. Jahrhunderts als größte Talsperre Europas gebaut.

      »Wie läuft es?«, fragte er den Wirt, als die Wiener vor ihm lagen.

      »Wird schon. Rureifeltourismus zieht die Nachbarn aus den Niederlanden an. Merke ich hier«, sagte Ernst Heiliger und nahm am Nachbartisch Platz. »Wenn alles da unten in Heimbach mit der Feriensiedlung klappt, dazu noch Vogelsang, dann können die bald ein Traumschiff in Einruhr vom Stapel lassen.« Er lachte und fragte, ob es denn schmecke.

      »Prima Wurst. Hört sich gut an. Aufschwung für die Region.«

      »Ja, können wir gebrauchen. Mein Opa fuhr noch mit Pferdefuhrwerk nach Simmerath. Die Böden sind karg und Waldwirtschaft ist teuer. Dazu noch die Biber.«

      »Biber?«

      »Schauen Sie mal genau hin. Direkt am Ufer. Die Biber putzen die Bäume weg, als ob es Grashalme wären. Schon blöd für die Rurseeschifffahrt. Dauernd dümpeln Baumstämme im Obersee und in der Rurtalsperre. Naturschutz. Tierschutz. Jedenfalls kracht es hier nachts ordentlich. Manchmal muss ich hier oben übernachten. Dann höre ich, wie die Bäume ins Wasser plumpsen. Ich hab nichts gegen die Biber. Aber das, na, wie heißt es noch, dieses ökomenische, ach, ökologische Gleichgewicht ist futschikato.«

      »Tja«, sagte Fett, »dann lassen Sie sich mal zum Biberberater ausbilden. Nebenerwerb.«

      Heiliger lachte herzhaft. »So weit kommt es noch. Sollen sich Ranger drum kümmern. Ich mach jetzt Schluss. Noch einen Kaffee?«

      Fett verneinte dankend, zahlte und wünschte dem Pächter eine gute Woche. Dann schritt er zügig aus. Die Dunkelheit schlich zusammen mit einer nasskalten Feuchte heran. Auf den ersten Kilometern war es noch hell

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