Tote Biber schlafen nicht. Olaf Müller

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Tote Biber schlafen nicht - Olaf Müller

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den kurzen Weg zum Polizeipräsidium, ohne ein Wort zu wechseln. Den Samstag hatten sie sich anders vorgestellt. Schmelzer wollte mit Sohn und Frau einkaufen. Fett hatte sich auf ausgedehnte Zeitungslektüre und ein zweites Frühstück im »Café zum Mohren« gefreut. Jetzt hockten sie vor einer Filterkaffeemaschine im Büro und trugen die Fakten zusammen.

      »Keine Spuren in Vogelsang. Niemand hat etwas mitbekommen. Keine Kamerabilder. Wir prüfen alle Radaranlagen auf dem Weg von Aachen nach Vogelsang. In Roetgen blitzt es an allen Ecken. Frühschwimmer haben nichts gesehen. Irgendwann nach 23 Uhr ist Brauers vom Bäckerball verschwunden. Ob alleine oder in Begleitung, wissen wir nicht. Wir checken alle vom Promitisch. Kümmern Sie sich drum, Schmelzer. Rufen Sie den Bäckerballpräsidenten an oder wen auch immer. Wir müssen wissen, mit wem Brauers am Tisch saß. Wer hat ihn zuletzt gesehen? Da gibt es auch Kellner, die für die Tische zuständig sind. Auch die müssen wir überprüfen. Ich brauch jetzt ’nen Kaffee.«

      »Ich auch.«

      Schmelzer telefonierte und trug langsam die Sitzordnung am Prominententisch zusammen. So verging sein Samstagnachmittag. Sechs Personen saßen am Promitisch beim Bäckerball am Freitagabend. Vom Vorstand der Sparkasse Aachen das Ehepaar Rosenstern, aus dem Festkomitee des Bäckerballs der stellvertretende Vorsitzende und Erfinder der Rundprinte, Bäckermeister Ludwig Krützen, die Vorsitzende des Sozialwerks christliche Nächstenliebe, Frau Dr. Roswitha Sänger-Hagelschlag, der Geschäftsführer von Aachen Aix-Port-Import, Herbert Johnen, und eben Dr. Brauers selig.

      Schmelzer zeichnete die Sitzordnung nach. Der überaus hilfsbereite Geschäftsführer des Vereins Bäckerball e.V. konnte die Platzierung rekonstruieren. Nun galt es, Verbindungen zu checken und die Tischnachbarn zu befragen.

      Export/Import

      Für Herbert Johnen, den alten Junggesellen, standen Export und Import im Mittelpunkt des Lebens, seit er von seinem Vater einen kleinen Kolonialwarenladen geerbt hatte. Er wohnte irgendwo im Südviertel. Nach 20 Minuten traf er mit seinem alten Daimler am Präsidium ein. Johnen schob seine Wampe ungefähr einen halben Meter vor seinem Kopf auf Fett zu. Ganz merkwürdige Gestalt, dachte Fett. Blaues Sakko, goldene Knöpfe, altes Einstecktuch, Schuppen auf den Schultern.

      »Tag, die Herren, was ist denn los?«

      »Herr Johnen, danke, dass Sie direkt kommen konnten. Am Tag nach dem Bäckerball.«

      »Sie sagten etwas von Brauers und Unfall. Also bitte.«

      »Letal. Ja, ein Todesfall. Sie haben ihn zuletzt gesehen.«

      »Todesfall, zuletzt gesehen? Meine Herren, bin ich schon angeklagt? Habe ich ihn in die Pau gestoßen?« Er lachte trocken, leicht kränklich, alter, abgestandener Atem.

      »Sie können uns vielleicht sehr helfen, Herr Johnen. Wann haben Sie Dr. Brauers zuletzt gesehen?«

      »Tee hab ich gestern nicht getrunken. Um Mitternacht oder so. Kurz vor Programmschluss. Ja, genau. Ich erinnere mich. Er sagte, dass er mal an die frische Luft müsse. Konnte ich gut verstehen. Wissen Sie, die Luft, ja die Luft. Die ist immer so schlecht. Alle schwitzen. Dann die Musik. Also ich konnte das gut verstehen.«

      »Und dann?«

      »Was und dann? Dann ist er nicht mehr gekommen.«

      »Haben Sie sich nicht gewundert?«

      »Nein, nein, es ging dem Ende zu. Man konnte kaum ein Wort wechseln. Und Brauers, der war eh eigen. Also er ging und kam. Das war so seine Art. Was ist denn überhaupt passiert?«

      »Brauers hing heute Morgen an einer Brücke in der Eifel.«

      »An einer Brücke in der Eifel! Mit so etwas scherzt man nicht.« Die Neugier konnte er kaum zügeln. Er stand auf und kam so nah an Fett heran, dass die Intimzone Alarmsignale abgab. Viel zu nahe stand er vor Fett. Leicht feuchte Lippen. Dreckige Brillengläser. Eine Landschaft von Schuppen auf den Schultern.

      »Selbstmord? Mord?«

      »Wir untersuchen noch. Danke. Sie können gehen. Wenn wir noch Fragen haben, dann melden wir uns.«

      Die Gespräche mit den anderen Tischnachbarn waren ähnlich ergiebig. Irgendwann war Dr. Brauers verschwunden. Herr Rosenstern glaubte, Brauers habe eine Nachricht auf dem Handy erhalten, danach sei er aufgebrochen. Keiner der anderen hatte etwas mitbekommen.

      Von Bibern und Erbsensuppe

      Der Samstag endete ergebnislos. Ein Unternehmerleben hatte in der Nacht oder am frühen Morgen sein Ende gefunden. Fett traf spät in seiner Wohnung am Templergraben ein. Der Kühlschrank starrte ihn an: leer. Keine Einkäufe, keine Vorräte. Doch. In der Abstellkammer: Hering in Tomatensoße, Pumpernickel, eine Flasche Cola light. Irgendwo musste noch eine stille Reserve von seinem Lieblingssport liegen: Ritter Sport. Vollmilch oder Marzipan. Er war sich nicht sicher. Mittlerweile besaß er sogar dank der Hilfe von Schmelzer Streamdienste, wie er sie nannte. Netflix und Amazon Prime. Hatte ihm Schmelzer zu geraten. Der verbrachte das Wochenende mit seiner Familie. Fett überlegte, wen er anrufen könnte. Junggeselle am Wochenende sucht Anschluss. Iska wieder im Dienst. Im Kino kein Film, der ihn interessierte. Er ging zum Buchregal. Die letzten Empfehlungen der Buchhändlerinnen. Zuerst Ritter Sport. Dann kam Martenstein, dann doch ein Film: »Blue Steel« von Kathryn Bigelow auf Netflix. Die Reihenfolge stand. Er schlief nach Ritter Sport ein.

      Fett träumte. Er träumte von der Beerdigung seiner Mutter, von den Verwandten, die stets Blumen auf das Grab legten, die schauten, ob er eine Kerze auf das Grab gestellt hatte. Dann war er im Hallenbad. In Düren. Im alten Hallenbad an der Bismarckstraße. Die Uhr lief. Nur eine Stunde schwimmen. Die Bademeister achteten auf die Farbe der Bändchen. Keine Strafe riskieren. Schnell unter die Dusche. Das Fahrrad war platt. Immer wurden die Fahrräder demoliert. Immer am Hallenbad an der Bismarckstraße. Sein Vater zog die Runden. Drei Löcher im Rücken. Vom Krieg. Drei Trichter oben auf der Schulter. Er lachte trotzdem. Er hatte Fett das Schwimmen beigebracht. Mit den Löchern im Rücken. Im Hallenbad an der Bismarckstraße. Dann war wieder die Beerdigung der Mutter. Alle waren in Schwarz gekleidet. Der Wind rauschte über den Dürener Friedhof. Äste brachen ab. Das Kreuz schwankte in den Händen des Messdieners. Vorne die kleine Urne. Das Grab. Die Lichter. Das große Kreuz für die Opfer des Bombenangriffs. Die Gräber der Patriarchen. Der hinkende Fahrradwächter in der Josef-Schregel-Straße. Dort, wo einst ein jüdischer Friedhof war. Der Birnbaum. Fett saß auf dem alten Birnbaum und pflückte Birnen. Er saß auf der Planke, die vom Bau des Hauses übrig geblieben war, in drei Metern Höhe. Er sprang von Ast zu Ast. Einen Eimer in der Hand. Die besten Birnen im Viertel. Seine Mutter kochte sie ein. Fett verkaufte den Eimer Birnen für eine Mark an der Eisenbahnbrücke, da konnten die Autos halten. Der Wecker klingelte, bevor er vom Birnbaum herunterfallen konnte.

      Nach dem Lauf über den Lousberg telefonierte Fett am Sonntagmorgen mit Iska. Sie war nicht in Bonn. Immer noch Einsatzbereitschaft nahe Hambach. Der Forst kam nicht zur Ruhe. Die neue Landesregierung verschärfte den Kurs und verhängte Urlaubssperren.

      Frustriert fuhr Fett am Vormittag über Heimbach und Mariawald nach Vogelsang. Der Himmel war blau und wolkenlos, die Straßen nicht gefroren. Er wollte sich ein eigenes Bild von der ehemaligen Ordensburg machen. Heimbach, die kleine Stadt unterhalb der Rurtalsperre, hatte er als Kind oft besucht. Ein Tagesausflug mit den Eltern, ein Stück Kuchen, Kakao für den Sohn, Kännchen Kaffee für die Erwachsenen. Die Zeit schien stehen geblieben. Allein die Kunstakademie in der Burg war neu. Er brummte mit seinem alten Alfa Romeo nach Mariawald. Zum Glück hatte Luigi gute Winterreifen besorgt. Er schnurrte die Serpentinen hoch. Im Sommer bei Motorradfahrern aus ganz Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden

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