Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg
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Читать онлайн книгу Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg страница 14
»Man muss schließlich von etwas leben«, sagte er mit einem Schulterzucken.
Einige scheinbar endlose Augenblicke verstrichen in argwöhnischem Schweigen. Dann schob der Befehlshaber die Waffe zurück in die Scheide und schüttelte den Kopf.
»Na dann«, knurrte er. »Mach, dass du nach Hause kommst!«
Mit weichen Knien tat er, wie geheißen. Als wenig später die Tür seines Hauses hinter ihm ins Schloss fiel, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Das war knapp gewesen! Noch einmal durfte ihm so etwas nicht passieren! Heftig atmend lauschte er in die Dunkelheit des Hauses und wartete, ob sich etwas regte. Erst, als alles ruhig blieb, stellte er den Beutel ab, griff mit zitternden Fingern in den Kienspanbehälter neben der Tür und entzündete eine Kerze. Heißer Schrecken durchzuckte ihn, sobald er sah, wie viel Blut durch die Sackleinwand gesickert war. Auf dem Lehmboden hatte sich bereits eine kleine Lache gebildet, die sich mit dem Wasser, das von seiner Kleidung tropfte, vermischte. Verdammt!, dachte er. Eines der Gefäße musste zerbrochen sein! Wenn der Regen nicht alles fortwusch und die Wächter die Spur zurückverfolgten, war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie die Tote finden würden. Und er verhaftet wurde! Auf unsicheren Beinen schaffte er den Sack dorthin, wo nie jemand nachsah, beseitigte alle Spuren und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag beruhigte. Dann warf er sich einen anderen Mantel über, verbarg das Gesicht unter einem Filzhut und trat wenig später zurück hinaus in die Nässe. Er hatte einen Fehler gemacht! Und diesen galt es nun zu beheben. Zum Glück regnete es immer noch heftig, aber er würde dennoch dafür sorgen, dass man die Leiche nicht allzu einfach entdecken konnte. Vorsichtig, um den Soldaten nicht ein zweites Mal in die Arme zu laufen, schlich er dahin zurück, woher er gekommen war.
Kapitel 9
Konstantinopel, Juli 1408
»Sie kommt zu sich.«
Die Worte klangen undeutlich – als ob ihr Sprecher meilenweit entfernt wäre. Zuerst dachte Olivera, dass sie träumte. Aber dann fand der Schmerz den Weg in ihr Bewusstsein und ließ sie aufstöhnen. Es war ein dumpfes Pochen an ihrem Hinterkopf. Ein Pochen, das sich anfühlte, als versuche jemand, mit einem riesigen Hammer zu ihrem Gehirn vorzudringen. Mit jedem Atemzug, den sie tat, schien der Schmerz sich weiter auszubreiten und sie einzuhüllen wie ein erstickender Mantel. Sie vernahm einen heiseren Laut, der einem Krächzen ähnelte. Und es dauerte einige Zeit, bis sie begriff, dass sie das Geräusch von sich gegeben hatte.
»Lieg still, Kind.« Etwas Kühles breitete sich über ihre Stirn aus. »Der Medicus muss die Wunde nähen«, hörte sie eine Stimme sagen, die sie als die ihrer Großmutter erkannte. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber ihre Lider waren bleischwer. Alles, was sie zustandebrachte, war ein kurzes Blinzeln.
»Flößt ihr etwas Mohnsaft ein«, dröhnte ein Bass. Kurz darauf schob sich eine Hand unter Oliveras Kopf und der Schmerz verwandelte sich in ein scharfes Stechen. Ehe sie den Mund zu einem Schrei öffnen konnte, setzte ihr jemand ein Gefäß an die Lippen. »Trink in kleinen Schlucken«, riet ihre Yiayia. »Dann geht es dir bald besser.«
Bitter und süß zugleich rann der Saft Oliveras Kehle hinab und um ein Haar hätte sie sich daran verschluckt. Hustend spuckte sie etwas davon wieder aus, dann sank sie ermattet zurück in die Kissen. Einige Augenblicke lang schien der Schmerz unerträglich, bis der Mohnsaft begann, Wirkung zu zeigen. Sie spürte kaum, wie man sie auf die Seite drehte. Auch der erste Stich der Nadel war nicht mehr als ein leichtes Zwicken. Das Gefühl, das sie einlullte und schläfrig machte, ähnelte der Benommenheit, welche sie nach dem Genuss von zu viel Wein empfunden hatte. Etwas wie Schwindel, nur angenehmer, legte sich über ihre Sinne. Während der Arzt sich an ihrem Kopf zu schaffen machte, merkte sie, wie sie zurück ins Reich der Träume abglitt.
Als sie das nächste Mal erwachte, fühlte sie sich besser. Zwar tat ihr Hinterkopf immer noch weh, aber das Pochen war abgeklungen. Allerdings quälte sie ein entsetzlicher Durst, der fast schlimmer war als die Schmerzen. Ihre Lippen, ihr Mund und ihr Rachen waren ausgedörrt, als ob sie tagelang die Wüste durchstreift hätte. Mühsam versuchte sie zu schlucken. Doch ihre Zunge klebte so fest an ihrem Gaumen, dass sie fürchtete, ein Stück Fleisch herauszureißen, wenn sie versuchte, sie zu lösen. Eine Gestalt saß an ihrem Bett, blickte auf sie hinab. Und nach einigen Lidschlägen erkannte Olivera, dass es sich um ihre Yiayia handelte.
»Wasser«, murmelte sie schwach. Die alte Frau griff nach einem Krug, füllte einen Becher und half Olivera, sich aufzurichten.
»Besser?«, fragte sie, nachdem sie den Becher wieder abgestellt und Olivera zurück in die Kissen gedrückt hatte. Olivera nickte. In der Tat kam es ihr vor, als kehrten mit dem Wasser all ihre Lebensgeister zurück. Auch das durch die Fenster hereinfallende Sonnenlicht stach nicht mehr wie ein Messer nach ihren Augen, wirkte viel eher golden und beruhigend. Sie sah sich suchend im Raum um. Doch sowohl der Medicus als auch die Mägde hatten ihre Kammer wieder verlassen. Nur ihre Yiayia war noch bei ihr – so wie früher, wenn sie als Kind an einem Fieber oder Bauchschmerzen erkrankt war. Die alte Frau betrachtete sie mit einer Mischung aus Sorge und … Olivera wandte hastig den Blick ab. War es Strenge? Oder Ärger? Sie drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Was war nur geschehen? Ganz offensichtlich war ihr Plan fehlgeschlagen. Aber warum? Alles, woran sie sich noch erinnern konnte, war der Geschmack des Süßholzes auf ihrer Zunge. Sie zog verstohlen die Wangen ein und suchte in ihrem Mund nach Überresten der Süße. Die nächsten Worte ihrer Großmutter ließen sie jedoch inmitten der Bewegung erstarren.
»Ich weiß, was du vorhattest«, sagte ihre Yiayia vorwurfsvoll. »Dachtest du denn ernsthaft, du könntest mir etwas vormachen?« Sie klang verletzt.
Olivera spürte Scham in sich aufsteigen. Am liebsten hätte sie sich in einem Mauseloch verkrochen und wäre nie wieder daraus hervorgekommen.
»Einen Hysterike-Anfall vorzutäuschen!« Die alte Frau schnaubte und erhob sich. »Was soll ich deinem Vater sagen?«, fragte sie, während sie ihre Röcke glatt strich. »Dass seine Tochter sofort verheiratet werden muss, weil ihr Uterus sonst austrocknet? Denkst du im Ernst, dass du ihn so dazu zwingen kannst, deinem Willen nachzugeben?«
Olivera schwieg, da genau dies ihr Ziel gewesen war.
»Hatte ich dir nicht gesagt, dass du dich gedulden sollst?« Ihre Yiayia trat ans Fenster und sah einige Zeit schweigend in die Ferne. Dann stieß sie hervor: »Das war unglaublich töricht von dir!« Sie fuhr sich mit der Hand über das silberne Haar. »Du hättest dich ernsthaft verletzen können.«
Olivera spürte Tränen in sich aufsteigen. »Yiayia«, bat sie kleinlaut. »Bitte schimpfe nicht.« Ihre Lippen bebten. »Du musst mir helfen!« Sie schob sich in eine sitzende Position. Augenblicklich wurde ihr schwindelig und sie hielt sich den Kopf – als könne sie so verhindern, dass der Raum sich weiter um sie drehte. »Yiayia«, wiederholte sie, sobald sich die Benommenheit etwas gelegt hatte. »Bitte!« Sie krallte die Finger in die Decke und wickelte diese um sich. »Ich kann mich doch nicht gedulden«, flüsterte sie.
»Warum kannst du dich nicht gedulden?«, fragte die alte Frau. Sie kehrt dem Fenster den Rücken und trat zurück an das Bett.
»Weil es schon bald zu spät ist«, murmelte Olivera.
Ihre Großmutter legte die Stirn in Falten, dann trat Verstehen in ihren Blick. »Der Vogel«, sagte sie. »Ich hätte es mir denken können.« Sie ließ sich wieder auf der Bettkante nieder.
Olivera