Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg

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schließlich. Und dann sprudelte alles aus ihr hervor: die lang gehegte Sehnsucht nach Laurenz’ Rückkehr; die Freude und Aufregung, als ihr Wunsch endlich erhört worden war; der Besuch des Marktes und das Gefühl der Leere, als er sie im Hof allein gelassen hatte. »Bitte, Yiayia«, flehte sie erneut und drückte die Hand ihrer Großmutter so fest, dass diese mit einem Keuchen protestierte. »Bitte!« Oliveras Stimme klang heiser. »Wenn ich ihn nicht heiraten kann, dann will ich keinen!« Ihr Blick suchte den der alten Frau.

      Diese betrachtete ihre Enkelin einige Momente lang forschend, ehe sie einen tiefen Seufzer ausstieß. »Ist dir klar, was es bedeutet, wenn du seine Gemahlin wirst?«, fragte sie schließlich.

      Olivera nickte eifrig. »Ja«, erwiderte sie.

      »Er wird dich mit in die Fremde nehmen.« Ihre Yiayia hob warnend den Zeigefinger. »Du wirst weit, weit fort sein von allen, die dich lieben. Die Reise birgt viele Gefahren und du wirst deinen Vater und deine Brüder vielleicht niemals wiedersehen.« Sie befreite sich vom Griff ihrer Enkelin und strich ihr sanft über die Wange. »Und mich auch nicht«, fügte sie hinzu.

      Die Tränen, die Olivera so tapfer zurückgehalten hatte, brachten ihre Augen erneut zum Schwimmen. »Ich weiß, Yiayia«, sagte sie erstickt. »Aber ich liebe ihn mehr als alles andere auf der Welt. Wenn ich ohne ihn leben muss, will ich lieber gar nicht mehr leben!« Die Vorstellung, Laurenz nie wiederzusehen, ihn ziehen zu lassen und für immer zu verlieren, war wie ein Dolch, der ihr das Herz aus der Brust schnitt. Ein Schluchzen raubte ihr die Stimme.

      »Es ist eine Sünde, so zu reden«, schalt ihre Großmutter lahm. Doch dann zog sie ihre Enkelin an sich und presste das tränennasse Gesicht der jungen Frau an ihre Brust.

      Als Oliveras Weinen nach beinahe zehn Minuten endlich abebbte, trocknete sie ihr die Wangen. »Du solltest noch ein wenig schlafen«, versetzte sie bedrückt. »Der Schlaf reinigt die Seele.«

      Obgleich Olivera vom Weinen erschöpft war, griff sie erneut nach der Hand ihrer Großmutter. »Versprich mir, dass du mir hilfst«, flehte sie. »Versprich es mir.« Die Hoffnung, dass alles gut sein würde, wenn sie wieder erwachte, war wie eine süße Droge.

      Eine scheinbare Ewigkeit verstrich, ohne dass die alte Frau etwas sagte. Dann ließ sie vernehmbar die Luft durch die Nase entweichen und entgegnete: »Ich verspreche, dass ich mit deinem Vater reden werde. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Und jetzt schlaf und sammle Kräfte. Wenn du wirklich die Frau dieses Laurenz werden willst, wirst du schon bald zu einer sehr anstrengenden Reise aufbrechen.« Trauer schwang in ihren Worten mit.

      Olivera spürte den Stachel der Reue. Dieser verlor jedoch an Schärfe, als ihre Yiayia sich erhob und Anstalten machte, die Kammer zu verlassen. Vielleicht würde ihr sehnlichster Wunsch schon bald in Erfüllung gehen!

      *

      Als ihre Yiayia am nächsten Tag zu ihr kam, um ihre Wunde zu versorgen, schüttelte sie den Kopf, bevor Olivera in sie dringen konnte.

      »Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Er ist sehr beschäftigt.«

      Es kostete Olivera einige Mühe, ihre Enttäuschung zu schlucken. Doch ein Blick in die Augen ihrer Großmutter sagte ihr, dass diese ihr Versprechen nicht vergessen würde. Behutsam half die alte Frau Olivera, sich aufzusetzen und etwas zu essen. Dann trug sie eine kühlende Salbe auf den Hinterkopf ihrer Enkelin auf und bettete diese wieder in den Kissen. Eine Zeitlang saß sie schweigend auf der Bettkante, während Olivera ihre Hand hielt und gegen die überwältigende Müdigkeit ankämpfte. Es ist wie früher, dachte sie, während der Daumen ihrer Großmutter immer und immer wieder über ihren Handrücken strich. Die Geborgenheit, die sie allein durch die Gegenwart ihrer Yiayia empfand, sorgte dafür, dass sie sich unvermittelt in ihre Kindheit zurückversetzt fühlte; zu dem Tag, an dem ihre Mamá zu Gott gegangen war. Damals hatte sie nicht begreifen können, warum es nicht mehr ihre Mutter war, die sie abends zu Bett brachte. Aber irgendwann hatte sie aufgehört, sich in den Schlaf zu weinen und ihre Yiayia war an die Stelle der Frau getreten, an die sie sich kaum mehr erinnern konnte. Eine Weile ließ sie sich treiben und versuchte, in Gedanken zu längst vergessenen Tagen zurückzukehren.

      »Hast du Pappous geliebt, Yiayia?«, fragte sie plötzlich. Sie wusste nicht, wo die Frage herkam, nur dass sie ihr auf einmal durch den Kopf schoss.

      Ihre Großmutter wandte den Kopf und blickte versonnen auf sie hinab. »Ja«, gab sie nach einigen Momenten zurück. »Auf eine Art habe ich ihn geliebt.«

      Olivera runzelte die Stirn. Was meinte ihre Yiayia damit? Konnte man einen Mann anders lieben, als sie Laurenz liebte?

      »Wir waren einander seit unserer Kindheit versprochen«, fuhr ihre Großmutter fort. »Als ich mit ihm vor dem Altar stand, wusste ich nicht, was ich für ihn empfinden sollte.« Sie lächelte schwach. »Er war kein einfacher Mann. Aber irgendwann habe ich wohl angefangen, ihn zu lieben.«

      »Wie wusstest du, dass er dich auch liebt?«, fragte Olivera.

      »Das wusste ich erst, als er in meinen Armen gestorben ist«, war die rätselhafte Antwort. Die alte Griechin erhob sich und drückte Olivera einen Kuss auf die Handfläche. »Ich liebe dich, Kind. Du bist wie eine Tochter für mich.« Sie strich Olivera eine Strähne aus dem Gesicht. »Und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du glücklich wirst.«

      Oliveras Augen füllten sich mit Tränen.

      »Schlaf noch etwas«, sagte ihre Yiayia. »Ich sehe später noch einmal nach dir.« Mit diesen Worten ließ sie ihre Enkelin allein und verließ leise die Kammer.

      Kapitel 10

      Konstantinopel, Juli 1408

      Vier Tage später war Olivera wieder auf den Beinen. Ihr Kopf schmerzte nur noch gelegentlich, und der Medicus hatte erklärt, dass die Wunde gut verheilte. Zur Sicherheit trug ihre Großmutter täglich zweimal etwas Goldene Wundsalbe auf – damit sich keine Fäulnis bilden konnte. Am Vortag hatte eine der Mägde den wundersamen Vogel in Oliveras Kammer gebracht, damit sie sich an seinen Kunststücken ergötzen konnte. Wenngleich ihre Großmutter das Tier mit einem missfälligen Blick bedacht hatte, war ihm ein Platz auf Oliveras Fensterbank zuteil geworden. Im Augenblick kletterte der Vogel mithilfe seiner Krallen und seines Schnabels an den Stäben des Käfigs empor und beobachtete Olivera mit klugen Augen.

      »Was bist du doch für ein lustiger Kerl«, sagte sie mit einem Schmunzeln. Sie steckte vorsichtig den Finger durch die Gitterstäbe und strich über seinen grauen Kopf.

      »Kerl«, wiederholte das Tier. Es gab ein Geräusch von sich, das klang wie das Klappern von Geschirr.

      Olivera lachte. »Wie soll ich dich nennen?«, fragte sie ihn.

      Er rieb den Kopf an ihrem Finger. Doch bevor sie sich einen geeigneten Namen für ihn überlegen konnte, öffnete sich die Tür und ihre Großmutter erschien auf der Schwelle. Etwas an ihrer Haltung, an der Art, wie sie die Hände vor dem Bauch faltete, verriet Olivera, dass sie endlich mit ihrem Vater gesprochen hatte. Augenblicklich zog sich das Herz der jungen Frau zusammen. Wenngleich sie versucht hatte, die Aufregung zu verdrängen, kehrte diese mit ganzer Macht zurück. Plötzlich war der Vogel vergessen. Alles schien unwichtig außer dem, was ihre Großmutter ihr mitzuteilen hatte.

      »Was hat er gesagt?«, fragte sie atemlos. Ihre Beine fühlten sich mit einem Mal seltsam schwach an. Alles, ihre Zukunft, ihr ganzes Leben hing von der Antwort ihrer Yiayia ab. Sie spürte, wie sich ihr Innerstes verkrampfte.

      Das Gesicht der alten Frau wirkte traurig. Und es war diese Traurigkeit,

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