Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger
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Читать онлайн книгу Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger страница 9
»Mein Gott, wann werden wir wieder eine Schale Bohnenkaffee bekommen?«
»Als Mitglied des Kriegspressequartiers antworte ich Ihnen: Sobald unsere glorreiche Armee den Feind besiegt hat. Inoffiziell, als Ihr Freund, sag ich nur: Lang kann das nicht mehr so weitergehen. An allen Ecken und Enden merken wir es jetzt auch bei der Armee. Die Mangelwirtschaft gibt den Ton an. Es ist schrecklich. Einfach nur schrecklich.«
Nechyba rückte ganz nahe zu Goldblatt und murmelte:
»Der Scheißkrieg muss endlich aufhören und …«
Er wurde von einer lauten Stimme unterbrochen:
»Leutnant Goldblatt, na, so eine Überraschung!«
Goldblatt erschrak, stand auf und salutierte.
»Ist schon gut, lieber Freund. Setz’ dich, setz’ dich …«
»Darf ich vorstellen? Oberst Eisner-Bubna, Leiter des Kriegspressequartiers. Oberinspector Nechyba, er arbeitet im Polizeiagenteninstitut.«
»Charmant, charmant! Da sitzen Vertreter der zwei wichtigsten Säulen unseres Staates beisammen: Armee und Polizei. Da setz’ ich mich doch glatt dazu. Meine Herren, was trink ma?«
»Ich hab’ gerade ein Stamperl37 Trebern bestellt.«
»Genial, Goldblatt! Einfach genial. Herr Ober!«
»Der Herr Oberst wünschen?«
»Der Herr Leutnant hat einen Trebern bestellt. Das geht net. Bringen S’ uns die ganze Flasche … und drei Gläser … weil ma da so charmant beisammensitzen, Armee und Polizei.«
Zwei Piccolos38 stellten einen Zusatztisch auf. Darauf kam in einem Eiskübel die Flasche Trebern. Der Oberkellner schenkte den drei Herren mit eleganter Geste ein. Der Oberst erhob sein Glas.
»Also servus, gell. Auf unsere siegreiche Armee und unsere tüchtige Polizei!«
Die drei Herren schütteten den Schnaps hinunter und stellten die Gläser mit klirrendem Geräusch zurück auf die marmorne Platte des Kaffeehaustisches. Der Oberst räusperte sich und sagte:
»Also, wo war ma vorher stehen geblieben? Wo hab’ ich euer Gespräch unterbrochen, meine Herren?«
Nechyba verdrehte die Augen und bemühte sich, keinen roten Kopf zu bekommen. Goldblatt antwortete kühl:
»Bei Klimt. Der is’ nämlich g’storben.«
»Klimt? Muss man den kennen?«
»Er war Präsident der Secession und Star der Kunstausstellungen in den Jahren 1908 und 1909. Sein Bild ›Der Kuss‹ wurde sogar vom Ärar39 erworben.«
»Ich erinner’ mich dunkel … viel Gold … viel Gold, nicht wahr?«
»Touché, Herr Oberst. Klimt liebte es, Gold in seinen Gemälden zu verwenden.«
»Auf das Gold! Auf das Gold dieser Welt trink ma jetzt, prost, meine Herren!«
Wieder kippten Nechyba, Goldblatt und Eisner-Bubna ihre Stamperln hinunter. Danach herrschte ergriffene Stille. Plötzlich kniff der Oberst die Augen zusammen und fragte Goldblatt leise:
»Sag, Herr Leutnant, hat dieser Kimt oder Zimt oder wie er g’heißen hat, hat der nicht auch Nackerte g’malt? Nackerte mit viel Gold?«
»Herr Oberst, du hast ein exzellentes Gedächtnis und einen ausgezeichneten Kunstgeschmack.«
»Jaja … meine Frau Mama hat immer wollen, dass ich Künstler werd’. Aber mein Herr Papa hat mich in die Militärunterrealschule gesteckt. Na ja … fotografieren … nicht wahr … tu’ ich schon gern, da sagt man mir auch ein gewisses Talent nach. Aber dieser Zimt … alle Achtung! Der hat was können, der hat Nackerte gemalt à la bonne heure.«
Der Oberkellner schenkte neuerlich die Stamperln voll. Eisner-Bubna ergriff seines, erhob es und sagte feierlich:
»Auf den alten Zimt und auf die Hunderttausende Braven, die in unserer glorreichen Zeit für Gott, Kaiser und Vaterland ihr Leben geben …«
Er hielt inne und fügte leise hinzu:
»… und auf die feschen nackerten Madln von Wien!«
35 minderwertige Menschen
36 lautstark klopfen
37 Schnapsglas
38 Kellnerlehrlinge
39 Staat
Teil 1 / August 1918
Hätte auch die Monarchie als Ganzes ernährungswirtschaftlich eine Blockade des Auslandes aushalten können – Österreich für sich, dessen Produktion naturgemäß durch den Krieg mit seinen Folgeerscheinungen schwer gelitten hatte, konnte die Blockade des Auslandes und eine Absperrung der Zufuhren seitens Ungarns nicht ertragen. Es mußte in die allermißlichste Ernährungssituation geraten, denn der Ausfall der von Ungarn im Frieden gelieferten Mengen an Nahrungs- und Futtermitteln konnte im Kriege selbst bei bester Verwaltung durch Ersparungs- und Verteilungsmaßnahmen nicht wettgemacht werden.
Zitat aus: Dr. Hans Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege, Hölder-Pichler-Tempsky A.G., Wien 1926.
I/1
Am 9. August 1918 war der Morgen strahlend schön. Stanislaus Gotthelf hatte wie immer lange geschlafen. Er streckte und reckte sich. Dann gähnte er herzhaft. Schließlich tapste er zum Waschtisch, goss etwas Wasser in das Lavoir und wusch sich Gesicht, Hals und Oberkörper. Dann applizierte er Rasierseife auf Wangen, Oberlippe und Hals und begann mit der morgendlichen Rasur. Nachdem er die restliche Seife von den glatten Wangen mit kaltem Wasser abgespült hatte, fühlte er sich erfrischt und für den Tag bestens gerüstet. Er zog sich Hemd und Sakko an, riss den Vorhang zur Seite, hinter dem die beiden Bettgeher auf einem Matratzenlager schnarchten. Er stieß mehrmals mit dem Fuß gegen die Matratzen und weckte Zach und Husak mit folgenden Worten:
»Aufwachen, ihr Faulpelze!«
Husak streckte sich, rammte dabei Zach den Ellbogen in den Bauch, sodass dieser laut fluchte. Gotthelf kommandierte:
»Schaut’s, dass rauskommt’s! Als Bettgeher habt’s ihr tagsüber hier nix verloren.«
Langsam standen die beiden auf und streckten sich. Zach funkelte Gotthelf böse an:
»Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, hochwohlmögender Herr von Gotthelf!«
»Wennst