Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger
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Читать онлайн книгу Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger страница 6
Schober nickte und warf ein:
»Nun ging es den Streikkomitees um die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk23.«
Schmerda fügte hinzu:
»In der Brigittenau forderten Kundgebungsteilnehmer, dass die Regierung einer Arbeiterdelegation Zutritt zu den Friedensverhandlungen gewähren sollte.«
Nechybas Magen grummelte laut und vernehmbar. Um diese Geräusche zu übertönen, fragte er:
»Und was sagt Unsere Allerhöchste Majestät dazu?«
Schmerda zog ein Stück Papier aus der Innentasche seines Sakkos und antwortete flüsternd:
»Er ist in höchstem Ausmaß besorgt. Ich zitiere aus einem Telegramm, das Seine Majestät gestern an unseren Außenminister, den Grafen Czernin, in Brest-Litowsk gesandt hat:
Ich muß nochmals eindringlichst versichern, daß das ganze Schicksal der Monarchie und der Dynastie von dem möglichst baldigen Friedensschluß in Brest-Litowsk abhängt …
und ich zitiere weiter:
Kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution, wenn auch noch so viel zu essen ist. Dies ist eine ernste Warnung in ernster Zeit …
Meine Herren, diese Information ist streng vertraulich und bleibt unter uns, gell?«
Nechyba und Schober nickten. Der Hofrat räusperte sich und fuhr mit dem Lagebericht fort:
»Im Laufe des Mittwochs konnte der Parteivorstand der Sozialdemokraten mit Müh und Not einen Streik der Eisenbahner verhindern. Trotzdem befanden sich in Wien und Niederösterreich am Ende des Tages gut und gerne 150.000 Arbeiter im Streik. Es gab unzählige Versammlungen in Arbeiterheimen und Gastwirtschaften, und es kam zu Demonstrationen auf den Straßen. Aus Favoriten sind einige Tausend Arbeiter in Richtung Stadtmitte marschiert und haben den Verkehr zum Stillstand gebracht. Diese Demonstration wurde von berittener Polizei aufgelöst.«
Nechyba bemühte sich, durch eine andere Sitzposition seinen unruhigen Magen zur Ruhe zu bringen. Gleichzeitig bemerkte er:
»Davon hab’ ich gehört. Mir ist auch zugetragen worden, dass sich in den Betrieben Arbeiterräte gebildet haben.«
Schmerda nickte und fuhr fort:
»Zum Glück haben die Funktionäre der Sozialdemokratischen Partei rasch reagiert und waren im Laufe des Donnerstags zu Hunderten von Versammlungen gegangen und haben dort die Situation so weit unter Kontrolle bekommen, dass Bezirksarbeiterräte gewählt wurden. In diesen Räten saßen als kooptierte Mitglieder wiederum gestandene Funktionäre der Sozialdemokraten. Damit wurde versucht, die linksradikale umstürzlerische Grundtendenz der Rätebewegung in den Griff zu bekommen. Am Donnerstagmorgen ist außerdem in der ›Arbeiter-Zeitung‹ eine Erklärung des Parteivorstandes veröffentlicht worden …«
Schober schaltete sich ein:
»… in der vier Forderungen formuliert wurden. Und zwar: Friede, Verbesserung der Ernährungssituation, Demokratisierung des Gemeindewahlrechts sowie Aufhebung der Militarisierung der Betriebe. Darüber will die Parteiführung der Sozialdemokraten mit der kaiserlichen Regierung verhandeln.«
Schmerda nickte und fuhr fort:
»Allerdings weitete sich am Donnerstag die Bewegung neuerlich aus, erstmals wurde auch in einem Kronland, nämlich in Krakau, gestreikt. Donnerstagabend befanden sich in Wien, Niederösterreich und der Steiermark über 200.000 Arbeiter im Ausstand. Gestern hat dann der österreichische Außenminister aus Brest-Litowsk eine Erklärung verlautbaren lassen …«
Schmerda kramte neuerlich in seinen Taschen und zog einen weiteren Zettel heraus, von dem er vorlas:
»Ich hafte und bürge … äh … dafür, daß der Friede unsererseits nicht an Eroberungsabsichten scheitern wird …
und weiter:
… Wir wollen von Rußland weder Gebietsabtretungen noch Kriegsentschädigungen. Wir wollen nur ein freundnachbarliches, auf sicherer Grundlage beruhendes Verhältnis, das von Dauer ist und auf gegenseitigem Vertrauen ruht.«
Nach einer kurzen Pause fuhr Schmerda fort:
»Trotzdem hat sich die Bewegung im Laufe des gestrigen Tages weiter ausgebreitet. Das betraf sowohl Betriebe im Mur- und Mürztal, in Linz und Steyr als auch in Brünn, Mährisch Ostrau, Triest und Budapest.«
Schober runzelte die Stirn und blätterte in den Unterlagen.
»Wir haben leider keine konkreten Zahlen mehr, weil das Ganze nicht mehr überschaubar ist. Unserer Schätzung nach befinden sich allein in Cisleithanien24 derzeit zwischen 700.000 und einer Million Arbeiter im Ausstand.«
Schmerda schnaufte und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirnglatze:
»In Wien hat sich gestern Abend ein 14-köpfiger zentraler Arbeiterrat konstituiert, der die bereits erwähnten vier Forderungen mit der Regierung verhandeln soll. Diese Verhandlungen laufen derzeit. Hoffen wir, dass dabei was Vernünftiges herauskommt.«
Nechybas Magen revoltierte neuerlich und er versuchte, ihn mit lauter Stimme zu übertönen:
»Ich danke recht schön für diesen informativen Überblick. Aber was hat das mit uns, mit dem Polizeiagenteninstitut, zu tun? Faktum ist, dass wir bemüht sind, unsere Leute in die größeren Streikversammlungen einzuschleusen und die linksradikalen Aufwiegler zu identifizieren und vorzumerken. Mehr können wir im Moment nicht tun.«
Schmerda nickte:
»Genau um diese Kräfte geht es. Um die linksextremen Aufwiegler. Ich habe da eine Liste der besonders gefährlichen Agitatoren …«
Er holte einen weiteren Zettel hervor und begann vorzulesen:
»Also, das wären die Herren Baral, Beer, Hexmann, Hübl, Kodanich, Kohn-Eber, Koritschoner, Kulcsar, Pjatiorski, Rothziegel und Wertheim.«
Schober sah Nechyba an und sagte in sanftem Befehlston:
»Diese Herrschaften, Nechyba, werden Sie und Ihre Leute am Montag verhaften. Ausnahmslos. Das ist unser Beitrag zur Deeskalation dieser unerfreulichen Geschichte. Sehen Sie zu, dass Ihre Agenten bei diesen Einsätzen bewaffnet sind. Falls nötig, sorgen Sie für ausreichend Unterstützung durch die Sicherheitswache.«
Nechybas Magen brummte und grummelte. Abrupt stand er auf und sagte laut und deutlich:
»Jawohl, Herr Doktor. Am Montag werden wir die Subversiven aus dem Verkehr ziehen. Herr Hofrat, darf ich Sie um die Liste bitten?«
Schmerda stand ebenfalls auf und übergab den Zettel. Schober erhob sich, schüttelte beiden Männern die Hand und