Schönbrunner Finale. Gerhard Loibelsberger

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Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger

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ein Krüppelg’spiel neben dem anderen. Von fahler, geschundener Haut überzogene Skelette. Haut, die von Wanzen- und Flohbissen, Schrunden und Krätze gepeinigt wurde. Nervös begann sich Zach zwischen den Arschbacken zu kratzen. Dort hatte er seit Wochen eine Entzündung, die der Bataillonsarzt als »Wolf« diagnostiziert hatte. Wortlos schlüpfte er in passende Uniformteile und schnallte sich den Leibriemen um. Mit vor Freude zitternden Fingern schnürte er die funkelnagelneuen, blitzblank geputzten Stiefel zu. Kaum war er adjustiert, war von Ferne das Geräusch herannahender Automobile zu vernehmen.

      »Kompanien, antreten!«

      Der Oberst hatte einen blutroten Schädel und brüllte, was das Zeug hielt.

      »Marsch, marsch, ihr faules Pack! Bagasch! Gsindl miteinander!«

      Just in dem Augenblick, als die Kompanien des Bataillons Aufstellung genommen hatten, erschien die Wagenkolonne des Kaisers. Die Automobile hielten, Generalstabsoffiziere, Adjutanten, Chauffeure wuselten diensteifrig umher. Kaiser Karl stieg aus seinem Wagen. Schlank und rank, in tadellos gebügelter Uniform, an den Händen elegante Lederhandschuhe, an den Füßen blitzblank gewienerte Stiefel. Seine Backen schimmerten rosig, der schmale Oberlippenbart war sorgfältig gestutzt. Der Oberst salutierte und meldete, dass das Bataillon vollständig angetreten sei. Des Kaisers Blick schweifte über die Mannschaft. Er nickte und bemerkte anerkennend:

      »Sehr gut. Wie ich sehe, hat das Bataillon während der letzten Gefechte kaum Verluste erlitten. Sehr brav. Weiter so.«

      In der kommenden Stunde schritt der Kaiser das Bataillon Zug um Zug ab, blieb vor jedem Mann einige Sekunden stehen und brabbelte in einem fort Floskeln wie:

      »Sehr gut! Aha! Sehr brav! Nur weiter so!«

      Als er vor Zach stehen blieb und ihn für einen Sekundenbruchteil ansah, hatte Zach das Bedürfnis, ihm ins Gesicht zu spucken. Aber es kam nicht dazu. Als er genügend Spucke in seinem ausgetrockneten Mund gesammelt hatte, war der Kaiser schon ein ganzes Stück weiter. Vor Zach stand gerade ein Generalleutnant mit schiefem Gesicht, geöltem Haar und neckisch auf dem Kopf sitzendem Tschako. Für den lohnt sich die Spucke nicht, dachte Zach und schluckte.

      Prolog II

      Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger wurde die Lage der Monarchie. Zur großen Sorge ob der wachsenden Feindseligkeit der slawischen Nationen gegen den Staat, kamen die kaum geringeren Besorgnisse über die Haltung der unterernährten, rechtlosen und deshalb immer unzufriedener werdenden Arbeiter in der Kriegsindustrie.

      Zitat aus: Julius Deutsch, Ein weiter Weg – Lebenserinnerungen, Amalthea Verlag, Zürich-Leipzig-Wien, 1960.

      Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Amalthea Verlages

      10. Jänner 1918

      Goldblatt war müde und fühlte sich gar nicht wohl. Im Kriegspressequartier hatte er den Tag damit zugebracht, Artikel zu redigieren, zu überarbeiten und umzuschreiben. Im Prinzip hatte er Schönfärberei des Kriegsverlaufs und der militärischen Erfolge der k. u. k. Armee und ihrer Verbündeten produziert. Eine Lüge nach der anderen, dachte Goldblatt, als er in den Ringwagen einstieg. In der Tramway herrschte ein unglaubliches Gedränge, die Scheiben waren angelaufen und es stank. Er fuhr den Ring vor bis zur Station Babenberger Straße, wo er ausstieg. Das letzte Stück zum Café Sperl legte er zu Fuß zurück. Als er eintrat, sah er sich nach dem Oberinspector um. Der saß nicht auf seinem Stammplatz, sondern einen Tisch weiter.

      »Nechyba, ich begrüße Sie!«

      Der Angesprochene sah kurz von der Zeitung auf und murmelte:

      »Grüß Sie, Goldblatt! Nehmen S’ Platz!«

      Goldblatt setzte sich und rief dem vorbeigehenden Ober zu:

      »Das Übliche, Herr Franz!«

      »Sehr wohl, Herr Leutnant!«

      Goldblatt holte seine Tabatiere heraus und zündete sich eine Zigarette an. Seitdem er Soldat war, rauchte er wieder. Nicht manisch, aber ab und zu, wenn er Gusto hatte. So wie jetzt zum Beispiel, um sich zu entspannen und um seine Arbeit, die ihm zutiefst zuwider war, zu vergessen. Das gelang aber nicht, denn Nechyba ließ die Zeitung, es war die ›Neue Freie Presse‹, sinken und klopfte mit dem Zeigefinger auf einen Artikel.

      »Ich hab’ mir gerade die 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson angesehen. Die Bedingungen, unter denen er Frieden schließen will. Hier ist genau definiert, wie er sich die Nachkriegsordnung vorstellt.«

      »Nechyba, ich bitt’ Sie! Hören S’ mir auf mit der Politik und dem Krieg! Können wir nicht über etwas Privates plaudern?«

      »Also gut, Goldblatt, erzählen S’ mir was Privates.«

      Der Leutnant machte einen langen Zug von der Zigarette und begann dann zu erzählen:

      »Da kann man ihn ja nur beglückwünschen. Aber was hat das mit Ihrer Lebensgefährtin zu tun?«

      »Nun, dank Egon Schiele wurde sie in die Gemeinschaft der Secessionisten aufgenommen und präsentiert bei dieser Ausstellung erstmals zwei ihrer Ölgemälde der Öffentlichkeit.«

      »Na, da gratuliere ich, lieber Goldblatt! Das ist übrigens die erste erfreuliche Nachricht heute.«

      »Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«

      »Lauter ungute Sachen im Bureau. Aber damit hab’ ich zu leben gelernt. Was mir allerdings wirklich an die Nieren geht, ist das da.«

      Neuerlich

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