Mordsklamm. Mia C. Brunner

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Mordsklamm - Mia C. Brunner

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öffnete das Mannloch am Sudkessel, klappte den runden Deckel weit zur Seite und trat einen Schritt zurück, als heiße Dampfschwaden aus der Öffnung strömten und den Raum in einen nebligen und noch heißeren Hexenkessel verwandelten. Dann hob er den schweren nackten Körper an, der vor seinen Füßen lag, schob ihn Kopf voraus über die Kante und ließ ihn hineingleiten in die warme Maische. Das rotierende Rührwerk und die zischenden Heizkessel im Nebenraum übertönten das platschende Gluckern, als der Körper in die breiige Flüssigkeit tauchte. Lautes Rufen oder Hilfeschreie wären vermutlich ebenfalls in den Umgebungsgeräuschen untergegangen. Doch dazu war es gar nicht gekommen. Er hatte das Überraschungsmoment ausgenutzt, hatte einfach von hinten zugeschlagen, und sein Gegner war umgefallen wie ein schwerer Malzsack.

      Da alte Schmutzwäsche nicht in ein frisches Bier gehörte, hatte er sein Opfer entkleidet. Das war unangenehm, aber notwendig.

      Ob er letztendlich einen toten oder nur einen bewusstlosen Mann in die Maischepfanne geworfen hatte, wusste er nicht. Doch das machte keinen Unterschied. Jetzt war er auf jeden Fall tot. Und in ein paar Stunden würde er auch noch gut durchgegart sein, wenn der Treber ausgesiebt und die 80 Grad heiße Würze in diesem Gefäß zwei Stunden gekocht hatte.

      Was wohl von einem menschlichen Körper übrig bleibt nach dem Kochvorgang und der anschließenden Reinigung mit hochprozentiger heißer Lauge?

      Vermutlich nicht sehr viel.

      Er schloss zufrieden lächelnd die Luke, drehte den großen Schraubverschluss am Mannloch fest zu und sah noch einmal durch die Glasscheibe in die heiße Maische. Dampfschwaden stiegen auf und bildeten einen dichten, undurchdringbaren Nebel im Gefäß.

      Schade. Der Körper war nicht zu sehen.

      Vielleicht war er inzwischen untergegangen, vielleicht war er bereits ins Rührwerk geraten. Wer konnte das wissen.

      Also hob er die Eisenstange auf, an der Blut und Haare klebten, warf sie zu den anderen Edelstahlteilen in die große, mit Desinfektionsmittel gefüllte Wanne neben der Tür zum Kesselraum und verschüttete großzügig einen laugehaltigen Reiniger auf dem gesamten Boden des Sudhauses. Griffe, Hebel und Glasscheibe polierte er mit einem feuchten Tuch. Dann kontrollierte er zum letzten Mal den Verlauf des Sudprozesses am Computer, quittierte die Störmeldung weg, die sein manueller Eingriff in den Brauprozess ausgelöst hatte, schnappte sich die Kleidung seines Opfers und verließ schließlich zufrieden lächelnd die Brauerei.

      Jetzt würde endlich alles besser werden.

      Jetzt brach eine andere Zeit an.

      Jetzt hatte er endlich das Leben, das ihm schon immer zustand.

      Alles lief wieder in geordneten Bahnen.

      2

      »Ich habe dir doch gleich gesagt, ich gehöre nicht hierher«, bemerkte Paula mürrisch und fächerte sich mit dem kleinen Programmheft etwas Luft zu. Die Temperaturen waren heute fast unerträglich. Die Sonne schien – genau wie in den letzten fünf Tagen – unerbittlich vom wolkenlosen Himmel. Draußen zeigte das Thermometer fast 34 Grad an. Hier drinnen war es nur unwesentlich kühler.

      »Alle starren mich an«, jammerte Paula. »Ich sehe einfach nicht aus wie eine dieser Mütter, die zum Jahresabschlussfest ihres Kindes geht. Ich gehöre nicht dazu.«

      Jessica sah ihre Freundin zweifelnd an. »Könnte auch daran liegen, dass der Ausschnitt deines Sommerkleids fast bis zum Bauchnabel reicht. Hättest du nicht ausnahmsweise etwas Sittsameres anziehen können? Immerhin ist das hier eine Grundschulveranstaltung und keine Speeddating-Show.«

      »Aber dort hätte ich mit diesem Outfit sicher alle Typen bekommen, oder?«, lachte Paula und zwinkerte dem Mann eines entgegenkommenden Elternpaares ungeniert zu, der seinen Blick nicht von ihr lassen konnte, bis er von seiner Frau einen deftigen Hieb mit dem Ellenbogen in die Seite bekam. »Außerdem ist es verdammt heiß heute, da muss man so viel Haut zeigen wie möglich.« Ohne die Menschen in ihrer Umgebung zu beachten, fächerte sich Paula mit dem Programmheft der Theateraufführung wieder hektisch Luft zu, warf den Kopf zurück und seufzte zufrieden. »Ja, das tut gut.«

      Einige der umstehenden Gäste schauten etwas pikiert zu Paula hinüber. Eine ältere Lehrerin rümpfte missmutig die Nase und sah Jessicas Freundin tadelnd an.

      »Hoffentlich kommt Florian ausnahmsweise einmal rechtzeitig«, sagte Jessica jetzt mehr zu sich selbst. Sie sah sich suchend um. »Svenja hat sich so gewünscht, dass auch er ihren Auftritt sieht. Sie wäre sehr enttäuscht, wenn er es nicht schafft.«

      Es war Svenjas letztes Jahr auf der Gustav-Stresemann-Grundschule. Nach den Sommerferien würde sie das Gymnasium besuchen und ihr kleiner Bruder Tobias nach mehreren Jahren im Kindergarten hier in dieser Grundschule eingeschult werden.

      Wie die Zeit verging.

      Jetzt lebten sie alle schon drei Jahre im Allgäu. Aber waren sie wirklich hier angekommen? Für Svenja und Tobias – die zwei Kinder ihrer Schwester Susanne, die bei Jessica lebten – konnte sie die Frage eindeutig beantworten. Die beiden liebten Kempten, hatten viele Freunde gefunden und erinnerten sich kaum an ihr altes Leben in Hamburg. Jessica selbst allerdings vermisste ihre alte Heimat und ertappte sich in letzter Zeit immer häufiger bei dem Gedanken, wieder in den Norden zu ziehen. Zum Schulwechsel beziehungsweise Schuleintritt der Kinder wäre es eigentlich ideal. Wer weiß, wann es einen ähnlich perfekten Zeitpunkt geben würde.

      »Hi, Jessy.« Florian stand plötzlich hinter den beiden Frauen und legte den Arm um die Schultern seiner Freundin. »Hi, Paula. Himmelherrgott, Paula«, jetzt lachte er laut. »Bei deinem Anblick fällt es verdammt schwer, dir anständig in die Augen zu schauen.«

      »Danke für diese netten Worte«, trällerte Paula fröhlich. »Ich glaube, ich passe doch ganz gut hierher. Ich mische das prüde Pack ein bisschen auf. Dieses stocksteife Gehabe tut niemandem gut.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in der Menschenmenge vor dem großen Buffet.

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«, wandte sich Florian an Jessica. Diese antwortete nicht, und Florian spürte ein leichtes Unbehagen bei ihr. Deshalb hakte er vorerst nicht nach, sondern fragte stattdessen: »Wo sind die Kinder?«

      »Svenja ist hinter der Bühne und zieht sich für die Vorstellung um, Tobi ist mit meinem Vater draußen auf dem Schulhof.«

      Florian sah sie durchdringend an. »Irgendetwas ist mit dir.«

      »So ein Quatsch«, winkte Jessica gespielt fröhlich ab. »Svenja wird sich freuen, dass du es noch zu ihrer Aufführung geschafft hast. Wie war der Vortrag?«

      »Ich hab es überstanden«, sagte Florian und rieb sich den Nacken. »Ich glaube immer noch nicht daran, dass diese Präventionsveranstaltungen irgendetwas bringen.«

      Warum ausgerechnet er den Infovormittag in der 9. Klasse der Hauptschule leiten musste, war ihm ein Rätsel. Normalerweise wurden ältere Kollegen oder pensionierte Beamte geschickt. Außerdem hatte er den Glauben an den Erfolg solcher Veranstaltungen verloren, seit er vor Jahren einer Gruppe Jugendlicher die Auswirkungen von Alkohol und diversen Drogen zu verdeutlichen versucht hatte und nur zwei Jahre später einer dieser jungen Menschen an einer Überdosis gestorben war. Vorträge konnten rein gar nichts verhindern – davon war Florian seither überzeugt.

      »Man kann den jungen Menschen nie genug einbläuen, was passiert, wenn sie Straftaten begehen«, sagte Jessica, wirkte aber bereits wieder abwesend, denn sie sah sich suchend nach ihrem Vater um. In ein paar Minuten begann das Theaterstück.

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