Mordsklamm. Mia C. Brunner
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So sehr er sich auch anstrengte, er konnte einfach nicht begreifen, warum manche Frauen ihre prügelnden Ehemänner schützten und damit riskierten, immer und immer wieder Opfer von Gewalt zu werden. Also beschloss er in diesem Moment, Frau Hildebrandt in der nächsten Woche erneut zu besuchen und dann hoffentlich auch ihren Mann anzutreffen. Wenn die Frau sich nicht selbst half, würde er es tun, indem er den Ehemann beiseitenahm und ihm verdeutlichte, was ihm drohte, wenn er weiterhin seine Frau halb totschlug. Prügelnde Männer waren meist leicht reizbar. Vielleicht gelang es ihm, Herrn Hildebrandt so zu provozieren, dass der Mann seine Hand gegen ihn erhob. Dann hätte er einen Grund, ihn aufs Revier mitzunehmen. Und wenn er ihn erst einmal im Verhörraum hatte, dann konnte er dem Kerl sagen, was er von Männern hielt, die Frauen verprügelten.
Florian dachte noch immer an seine Begegnung mit Ulrike Hildebrandt, als er bereits mit Jessica im Restaurant saß. Abwesend schaute er durch die große Panoramascheibe, ohne den atemberaubenden Blick über Kempten wahrzunehmen. Das Restaurant »Skylounge« im 13. Stock eines Geschäftshauses in der Innenstadt lieferte mit zwei komplett verglasten Seitenwänden die beste Aussicht über die Häuser der Alpenmetropole in ganz Kempten. Der wolkenlose Sommerhimmel, die strahlende Abendsonne, die üppig grünen Flächen um die Burgruine »Burghalde« im Stadtzentrum und der reflektierende Wasserspiegel der grünblauen Iller zeigten die Stadt heute von ihrer allerschönsten Seite. Doch die Gedanken ließen Florian nicht los.
»Erde an Florian«, witzelte Jessica, als er ihren dritten Versuch, ein Gespräch zu beginnen, erneut wortlos ignorierte. »Wo bist du denn? Kommst du heute noch zurück zu mir, oder soll ich mich zu anderen Gästen setzen? Ich würde mich gern unterhalten.«
»Entschuldige.« Er sah sie an und lächelte mechanisch. »Worüber willst du reden?«
»Keine Ahnung«, plapperte sie drauflos. »Egal worüber. Vorhin zum Beispiel habe ich dich gefragt, ob du nicht Lust hast, unseren Plan, das Wohnzimmer zu renovieren, endlich in die Tat umzusetzen. Vielleicht könnten wir morgen in den Baumarkt fahren und nach Wandfarbe schauen. Ein neues Sofa wäre auch super.«
Florian musterte sie durchdringend, doch sein Gesichtsausdruck war völlig unergründlich.
»Wozu?«, fragte er schließlich, ohne den starren Blick von ihr abzuwenden. »Solltest du dich nicht lieber um Wandfarbe für dein neues Wohnzimmer in Hamburg kümmern?«
Jetzt war es Jessica, deren Gesicht ausdruckslos wurde. Sie atmete mehrmals tief ein und aus, blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und fragte: »Sollte ich?«
Florian klopfte angespannt mit dem Zeigefinger der flachen Hand auf die weiße Tischdecke, bis er sich darüber bewusst wurde. Dann nahm er seine Hand vom Tisch, legte sie unter dem Tisch auf sein Bein und ballte sie zur Faust.
»Du kennst meine Antwort, Jessy«, sagte er leise und klang verzweifelt. »Aber ich habe eine weitere Frage an dich. Was mache ich falsch?«
»Ich habe nie gesagt, dass du etwas falsch machst«, polterte Jessica. Immer wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlte, wurde sie ungehalten und verlieh ihrer Stimme einen scharfen Unterton. Sie versteckte so ihre Unsicherheit.
»Jessy, bitte«, begann er erneut. »Wenn du mir nicht sagst, was ich ändern muss, damit du bei mir bleibst, dann werden wir uns verlieren. Ich komme allein einfach nicht darauf. Nenne es typisch männliche Engstirnigkeit, nenne es Allgäuer Machogehabe, aber ich dachte immer, du gehörst zu mir.« Er schüttelte lächelnd den Kopf, sah jedoch an ihrem Gesichtsausdruck, dass der Versuch, die Situation durch Selbstironie aufzulockern, absolut fehlschlug.
»Ich habe dir einen Heiratsantrag gemacht«, erinnerte Florian sie unnötigerweise an dieses Ereignis vor ein paar Monaten, als sie ihn wortlos hatte abblitzen lassen. »Vielleicht warst du noch nicht so weit, dann tut es mir leid. Da du nach dem schlimmen Vorfall mit deiner Schwester bei mir wohnen geblieben bist, hatte ich die Hoffnung, dass ich dir genauso viel bedeute wie du mir und du deine Zukunft mit mir teilen willst. Ich hab dich lieb, Jessy.« Als er über dem Tisch nach ihrer Hand griff, zog sie sie erschrocken weg.
»Ich würde alles dafür tun, damit du bei mir bleibst, Jessy. Aber ganz ehrlich«, Florian wurde mit jedem Wort leiser, »ich werde dich nicht aufhalten, wenn du unbedingt gehen willst.«
»Es bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als nach Hamburg zu gehen«, brachte sie schließlich heraus. Sie klang, als wäre sie nach einer großen körperlichen Anstrengung total außer Atem.
»Ich verstehe dich einfach nicht, Jessy. Was habe ich falsch gemacht?«, wiederholte er seine erste Frage.
Urplötzlich sprang sie auf, starrte ihn über den Tisch hinweg wütend an und verschränkte die Arme vor der Brust, vermutlich um zu verhindern, dass sie mit ihren Händen aus lauter Verzweiflung die Gläser vom Tisch fegte. »Einmal in deinem Leben«, rief sie laut, »hättest du doch dein verdammtes Ehrgefühl, deine ach so tief in deiner Seele verankerte Moral, deinen beinahe grotesken Gerechtigkeitssinn und dein dummes Heldspielen –«, sie brach ab und holte tief und hektisch Luft. »Warum meinst du immer, genau zu wissen, was gut ist für andere, für mich, für die Kinder? Einmal in deinem Leben hättest du all das außer Acht lassen können. Für mich, wenn du mich doch so sehr liebst, wie du immer behauptest«, fauchte sie verächtlich, drehte sich auf dem Absatz um und schickte sich an, das Lokal zu verlassen, ohne die durch ihren Wutausbruch aufgeschreckten und verwirrten Gäste an den anderen Tischen auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Verstehe ich das richtig, Jessy?«, rief er ihr hinterher. »Du wünschst dir, dass ich deine Schwester getötet hätte, anstatt ihr das Leben zu retten? Das wirfst du mir vor?«
»Genau das werfe ich dir vor«, schrie sie, blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Aber das wäre falsch gewesen, Jessy. Du weißt das. Ich glaube, dass hinter diesen Vorwürfen etwas anderes steckt. Den wahren Grund willst du mir nicht nennen. Wenn du dazu bereit bist, bin ich da«, bot er an. Seine grenzenlose Verzweiflung sah man ihm nicht an.
Sie verließ das Restaurant ohne ihn. Er bezahlte das Essen und die Getränke, spendierte den etwa 20 anderen Gästen als Wiedergutmachung ein Glas Sekt, fuhr mit dem Fahrstuhl zur Tiefgarage hinunter und fand Jessica in seinem Auto sitzend. Sie hatte den Zweitschlüssel benutzt, den sie immer in ihrer Handtasche bei sich trug, genau wie er einen Schlüssel für ihren Wagen besaß.
»Geht es dir besser?«, fragte er ohne den leisesten Vorwurf in seiner Stimme, als er auf der Fahrerseite einstieg und den Schlüssel ins Zündschloss steckte.
Jessica nickte nur stumm und starrte aus dem Fenster.
»Willst du nach Hause?« Er startete den Wagen und lenkte ihn Richtung Ausfahrt.
Dieses Mal schüttelte sie den Kopf.
Die ganze Fahrt über sagte er nichts, bis er nach guten zehn Minuten sein Auto auf den Schotterparkplatz am Bachtelweiher steuerte, den Wagen parkte und den Zündschlüssel aus dem Schloss zog. »Gehst du mit mir spazieren?«
»Gern«, antwortete sie leise. »Was hältst du von Sand?«
»Ähm …« Florian dachte angestrengt nach. »Ja, Sand ist …