Mordsklamm. Mia C. Brunner
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Doch Kern, der nach wie vor gebannt auf die Leiche starrte, hob erneut die Schultern.
»Vielleicht war sie es«, sagte er schließlich. »Vielleicht hat Frau Guggenmoos ihren Mann umgebracht und ist jetzt untergetaucht. Wir sollten sie zur Fahndung ausschreiben. Schau zusammen mit dem Hotelier, ob du im Handy des Toten ein Foto seiner Frau findest, das wir verwenden können. Er weiß, wie sie aussieht.« Jessica sah sich suchend um, fand aber kein Handy. Vielleicht war es in einer Schublade.
»Willst du behaupten, dass die Ehefrau die Mörderin ist, Detlef? Das ist doch unmöglich, oder Ewe?«, fragte Jessica und winkte einen Kollegen der Spurensicherung heran, der ihr die Schubladen der Anrichte unter dem Fenster öffnen sollte. Im Gegensatz zu ihr trug er Latexhandschuhe.
Der Rechtsmediziner Erwin Buchmann sah von dem toten Herrn Guggenmoos auf und Jessica direkt in die Augen. »Du meinst, weil das Festtackern am Bettgestell mehr Kraft benötigt, als eine schwache Frau aufbringen kann?« Er grinste. »Sie hätte einen Vorschlaghammer verwenden können, um den Dolch durch Kehle und Holz zu treiben. Die Klinge ist fast fünf Millimeter dick, die hätte sich dabei nicht verbogen. Im Übrigen hätte vermutlich auch ein männlicher Täter Hilfsmittel gebraucht. Das Bett ist aus tropischem Hartholz. Da braucht man viel Wumms, um etwas darin zu versenken.«
»Verstehe«, murmelte Jessica. »Ich glaube das trotzdem nicht!«
Die zwei Schubladen waren leer.
»Wenn wir die Frau gefunden haben, wissen wir mehr«, bemerkte Kern, drehte sich um und verließ das Hotelzimmer. »Ich befrage das Personal«, rief er noch aus dem Flur. »Du treibst ein Foto der Frau auf und leitest die Fahndung ein.«
»War das Durchstoßen der Kehle die Todesursache?«, wollte Jessica vom Rechtsmediziner wissen, während sie suchend durch das Zimmer streifte, ohne dabei die anwesenden Beamten der Spurensicherung zu stören. In der Brieftasche des Ermordeten hatte sie kein Foto der Ehefrau gefunden. Wenn kein Handy mit Fotos auftauchte, musste sie eine Personenabfrage in Hamburg machen, denn das Ehepaar lebte laut Personalausweis von Herrn Guggenmoos im schönen Stadtteil Blankenese am Hamburger Elbstrand.
»Der Dolchstoß hat dem Mann die Halsschlagader durchtrennt«, berichtete Ewe, legte seine Finger an die linke Halsseite des Opfers und sah sich die Wunde genauer an. »Aber er war schon vorher tot. Ansonsten hätten wir hier an den Wänden meterhohe Blutspritzer. Der Mann ist jedoch sehr langsam verblutet. Vermutlich ist die Wunde am Torso auf Höhe der rechten Niere diejenige, welche …« Der Rechtsmediziner deutete mit seiner Hand auf den dunklen, getrockneten Blutfleck im Laken neben dem Körper. »Allein das hier sind schätzungsweise fast zwei Liter.«
»Okay, dann schick mir den Bericht, sobald du fertig bist.« Jessica verließ ebenfalls den Raum und zog ihr Smartphone aus der Hosentasche. Wenn sie heute in Hamburg auf den Ämtern noch jemanden erreichen wollte, dann musste sie sich beeilen, denn es war Freitag und kurz vor Mittag. Außerdem wollte sie früh in den Feierabend gehen, um mit Florian etwas zu unternehmen. Ihr Vater verschaffte ihnen einen letzten kinderfreien Abend, bevor er morgen seine Heimreise nach Hamburg antrat.
*
»Haben Sie bei uns angerufen?«, rief Hauptkommissar Forster der jungen Krankenpflegerin entgegen, die ihnen auf dem langen Gang entgegeneilte.
Die Frau mit glänzend schwarzem Haar und dem typisch thailändischen Gesicht mit leicht dunklem Teint und mandelförmigen Augen nickte heftig, kam näher und blieb dann abrupt vor ihm und Kommissar Willig stehen.
»Sie sind aber leider zu spät«, verkündete sie, aber es klang nicht wie ein Vorwurf. »Die Frau, deretwegen ich Sie angerufen habe, ist verschwunden.«
»Okay.« Florian Forster schob beide Hände in die Taschen seiner Uniformhose und sah den Gang hinauf. Die Notaufnahme des Kemptener Krankenhauses befand sich im Erdgeschoss eines Nebengebäudes. Der fensterlose Gang mit den vielen Türen links und rechts schien durch die sich ständig wiederholenden Deckenleuchten, deren Licht den glänzenden Boden beschienen und sich dort spiegelten, beinahe unendlich. »Sie sagten, es handle sich um einen Verdacht auf häusliche Gewalt. Wie kommen Sie darauf?«
»Die Frau wurde vor einer Stunde in die Notaufnahme eingeliefert, mit einer tiefen Platzwunde an der Stirn, und behauptete, sie sei die Treppe runtergefallen.«
»Mhm«, brummte Forster und sah die Pflegerin durchdringend an. »Aber das wäre doch möglich, oder?«
»Vielleicht«, gab diese zu. »Zusätzlich zur Platzwunde hatte sie aber auf der gesamten rechten Gesichtshälfte blaue Flecken, außerdem Verletzungen an den Unterarmen und am Rücken. Glauben Sie mir, Herr Hauptkommissar. Ich kann Hämatome durch körperliche Gewalt inzwischen ganz gut von anderen unterscheiden. Die blauen Flecken zeigten unterschiedliche Stadien des Heilungsprozesses. Die Frau war völlig verängstigt und mager und wollte nicht, dass ihr Mann informiert wird. Außerdem gab sie falsche Personalien an. Eine Frau Gisela Mayer – wie sie sich nannte – gibt es nicht.«
»Das hört sich tatsächlich verdächtig an«, gab Hauptkommissar Forster zu, und sein Kollege Willig nickte heftig und machte dabei ein äußerst bedauerndes Gesicht. »Damit wir der Sache nachgehen können, brauchen wir aber mehr als einen falschen Namen.«
»Da hätte ich etwas«, sagte die Schwester und lächelte verlegen. »Die Dame hat so schnell die Flucht ergriffen – sie ließ ihre Handtasche im Untersuchungszimmer zurück. Warten Sie kurz, ich hole sie.«
Sie drehte sich um und lief schnellen Schrittes den Gang hinunter, bog nach links ab und war verschwunden.
Hauptkommissar Forster indes beobachtete belustigt seinen Kollegen Willig, der keinen Hehl daraus machte, dass er den leichten Hüftschwung der bildhübschen Krankenschwester äußerst sexy fand und ihr mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund hinterhergaffte. Als er den Blick seines Kollegen bemerkte, lächelte er etwas dämlich.
»Was hältst du davon, Berthold«, fragte Florian amüsiert und ging zwei Schritte zurück, »wenn du allein auf die Schwester wartest? Ich gehe schon zum Auto.«
»Ist gut, Chef, ähm, ähm …«, stotterte Berthold und schaute zu Boden.
»… Florian«, half der ihm weiter und grinste breit. »Nur tu mir bitte einen Gefallen: Ohne ihre Telefonnummer gehst du hier nicht weg. Und ich meine nicht diejenige der geflüchteten Frau, sondern die der süßen Krankenpflegerin. Haben wir uns da verstanden?«
Berthold nickte. Seine Wangen färbten sich dunkelrot. »Klar, Chef, ähm, Florian.«
*
»Du kommst spät«, begrüßte Jessica ihren Freund, als dieser erst nach 19 Uhr das Haus betrat und die Treppe zum ersten Stock hinauflief. »Den Tisch habe ich auf 19.30 Uhr bestellt. Schaffst du das? Oder soll ich anrufen, dass wir uns verspäten?«
»Bin in fünf Minuten fertig«, rief Florian im Vorbeilaufen, ohne Jessica anzusehen, und verschwand im Bad. Keine Minute später hörte man bereits das Wasser in der Dusche rauschen.
Der Besuch bei Ulrike Hildebrandt, der Frau, die aus dem Krankenhaus geflüchtet war, war frustrierend gewesen. Der dicke Verband um ihren Kopf war professionell angelegt, verdeckte jedoch nicht die zahlreichen alten, bereits gelb verfärbten Hämatome an ihrer Schläfe. Auch hatte sie Probleme, ihren linken Arm zu heben, und hielt ihn deshalb leicht gebeugt und dicht an ihrem viel zu dürren Körper. Ihre Stimme war leise und klang gebrochen. Auf ihren Mann, der heute nicht anwesend war, ließ sie aber nichts kommen. Er habe mit ihrem Treppensturz absolut