Steirerland. Claudia Rossbacher
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Sandra erhob sich aus der Hocke und suchte den Graben mit ihren Blicken ab. Oberflächlich war auch hier kein Blut zu entdecken. Sich weiter durch das Laub zu wühlen, um auf mögliche Spuren zu stoßen, überließ sie liebend gern der Tatortgruppe, die dafür zuständig war. Allen voran deren Leiter, Manfred Siebenbrunner. Die Tatsache, dass jemand anders als er und seine Leute zuerst in der Nähe der Leiche gewesen war, würde ihm bestimmt miserable Laune bescheren, wusste Sandra aus leidvoller Erfahrung. Ein Schauer jagte über ihren Rücken. Den Leiter der Kriminaltechnik hatte sie während ihrer Auszeit am allerwenigsten vermisst. Der Gedanke an den überheblichen Forensiker bereitete ihr beinahe noch größeres Unbehagen als die Gesellschaft der verstümmelten, verwesenden Leiche neben ihr.
Sandra stieg aus dem Graben, um die nähere Umgebung genauer zu begutachten. Nichts deutete darauf hin, dass sie sich am Tatort befand. Vielmehr sah alles danach aus, als wären sowohl der Mord als auch die Amputation der Hände woanders durchgeführt und die Leiche erst später hier abgelegt worden. Warum schnitt man jemandem die Hände ab, fragte sie sich. Um einen Diebstahl zu bestrafen, wie es im Mittelalter und gegenwärtig in einigen islamischen Staaten noch immer praktiziert wurde? Oder um die Identifizierung der Leiche zu erschweren, da keine Fingerabdrücke mehr genommen werden konnten? Der Tote hatte keine Papiere und keine persönlichen Gegenstände bei sich. Hatte der Täter diese vielleicht aus demselben Grund verschwinden lassen? Oder hatte man ihn beraubt? Was war mit den Zähnen des Opfers? Sandra hatte es verabsäumt nachzusehen, ob das Gebiss erhalten war. Der Abgleich des Zahnstatus würde ohnehin im Gerichtsmedizinischen Institut erfolgen. Sofern der Mann zu Lebzeiten einen Zahnarzt in Österreich oder Ungarn, dem Zahnmekka vieler Österreicher, konsultiert hatte, würden sie seine Identität mehr oder weniger rasch feststellen können.
Noch einmal betrachtete Sandra das Mordopfer im Graben, diesmal von weiter oben. Wo waren seine Hände geblieben, fragte sie sich. Entweder der Täter hatte sie – aus welchen Gründen auch immer – mitgenommen, oder ein Tier hatte sie als willkommene Beute angesehen und verschleppt. Falls die fehlenden Gliedmaßen nicht doch noch unter dem Laub verborgen waren, was Sandra aufgrund der augenscheinlichen Spurenlage bezweifelte.
»Sandra! Griaß di!«, unterbrach eine Frauenstimme ihre Überlegungen. Sie wandte sich um und sah Miriam Seifert winkend auf sich zukommen. Im Schatten der jungen groß gewachsenen Kollegin folgte Sascha Bergmann, die obligate Sonnenbrille auf der Nase. Den schwarzgerahmten Klassiker hatte Sandra allerdings noch nie an ihm gesehen. Zuletzt hatte er eine verspiegelte Pilotenbrille getragen, die sie immer mit Pornodarstellern assoziierte. Dabei konnte sie sich nicht einmal erinnern, wann sie zuletzt einen solchen Film gesehen hatte.
»Voll schön, dass du wieder da bist«, fügte Miriam, strahlend wie eh und je, hinzu. Fehlte nur noch, dass sie ihr gleich um den Hals fiel. Angesichts der Leiche, die Miriam aus ihrer Perspektive noch nicht sehen konnte, wäre diese Geste völlig fehl am Platz gewesen. Immerhin musste die junge LKA-Ermittlerin doch am Polizeiabsperrband erkennen, dass sie sich dem Leichenfundort näherte. Sandra konnte nicht umhin, über die herzliche Art der Kollegin zu schmunzeln. Genau wie die beiden Provinzpolizisten, die sich über die Blondine mit Modelmaßen sichtlich amüsierten. Nur Bergmann blieb todernst.
Beim Anblick der Leiche wich der fröhliche Ausdruck schlagartig aus dem hübschen Gesicht der Kollegin. Ihr überschwänglicher Auftritt schien ihr nun doch ein wenig peinlich zu sein. Vor allem vor den ihr unbekannten Männern, deren Blicke noch immer an ihr klebten. Was mehr an ihrem attraktiven Äußeren lag als an ihrem ungestümen Verhalten, vermutete Sandra.
Bergmann half Miriam prompt aus der Verlegenheit, indem er die Aufmerksamkeit der Uniformierten auf sich zog. »Was gibt’s denn hier so blöd zu grinsen?«, schnauzte er die beiden an. Dann wandte er sich Sandra zu. »Servus«, begrüßte er sie knapp, aber immerhin. Mehr hatte sie auch gar nicht von ihm erwartet.
»Hallo, Sascha. Griaß di, Miriam.« Sandra schenkte der Kollegin ein Lächeln, das diese nunmehr zögerlich erwiderte.
»Und?«, erkundigte sich Bergmann, den Blick auf die Leiche gerichtet. »Schon was herausgefunden?«
Er hatte sich kein bisschen verändert, stellte Sandra fest. Weder sparte er mit schlechten Scherzen, wie vorhin in ihrem ersten Telefongespräch seit Monaten, noch nahm er sich sonst ein Blatt vor den Mund. Selbst Fremden gegenüber nicht. Dass der drahtige, bald 40-Jährige stets unrasiert und unfrisiert in löchrigen Jeans und Sportschuhen daherkam, war auch nichts Neues. Dennoch freute sich Sandra, ihn wiederzusehen. Wenngleich sie ihm das bestimmt nicht auf die Nase binden würde.
Besonders viel hatte sie dem Chefinspektor noch nicht zu berichten, außer ihren Schlüssen, die sie aufgrund der ersten Eindrücke vor Ort gezogen hatte.
Bergmann und Miriam hörten ihr aufmerksam zu, verzichteten jedoch darauf, den Toten selbst aus der Nähe zu betrachten. Die Gerichtsmedizinerin würde ohnehin jeden Augenblick hier eintreffen, meinte Bergmann, der unterwegs mit Doktor Jutta Kehrer telefoniert hatte.
Dass die Tatortgruppe soeben im Anmarsch war, war nicht zu überhören. Siebenbrunner schimpfte wie ein Rohrspatz, kaum, dass er die Kollegen ohne Schutzoveralls und Schuhüberzüge im abgesperrten Bereich erblickte.
Das konnte ja heiter werden, dachte Sandra. Ihre kurze Erläuterung der Fakten verschlimmerte die Laune des Chefforensikers nur noch. Wobei ihr Anblick allein vermutlich schon ausreichte, um Siebenbrunner den Tag zu verderben. Umgekehrt war auch ihr Ärger über ihn ziemlich rasch so weit gediehen, dass sie kurz davor stand, zu explodieren. Wie gut, dass Bergmann darauf drängte, den Fundort der Spurensicherung zu überlassen und die Zeugin einzuvernehmen.
Sandra atmete erst einmal tief ein und aus, während sie zu dritt die direkte Route zum Feldweg einschlugen. »Was für ein Grantscherbn«, murmelte sie.
»Einmal