Kornblumenjahre. Eva-Maria Bast

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Kornblumenjahre - Eva-Maria Bast

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auf die Schulter legte. Bisher hatte sie sich schrecklich unwohl gefühlt. Seit sie in diesem Lokal angekommen waren, in dem alle Bier aus riesigen Krügen tranken, seit Lisbeth ihren Verlobten und ihre anderen Freunde getroffen hatte, fühlte sie sich wie eine Außenseiterin. Und sie war es auch. Lisbeth bemühte sich zwar nach Kräften, sie immer wieder ins Gespräch zu ziehen, aber sie kam einfach aus einer anderen Welt. Sie wusste nichts von ihren Themen, ja, sie verstand nicht einmal ihren Dialekt. Und nun also die Hand auf ihrer Schulter. Die Stimme kam ihr entfernt bekannt vor. Sie wandte sich um und blickte in die Augen ihres Schwagers. Wie lange war es her, dass sie den Bruder des Mannes ihrer Schwester – war das überhaupt ein Schwager? – zum letzten Mal gesehen hatte? Zwei Jahre? Drei? Sie hatte nicht gewusst, dass er so gut aussah. So männlich und so markant. Marlene spürte, wie ihr Herz schneller schlug, merkte auch, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg. Zum Glück war Andreas schnell abgelenkt, er wurde von den anderen herzlich begrüßt, schien dazuzugehören zu ihrem Freundeskreis. Wie klein die Welt doch ist, dachte Marlene.

      Sie sprachen den ganzen Abend kein Wort mehr miteinander, aber ihre Blicke verfingen sich immer wieder, und Marlene kramte in ihrem Gedächtnis, was sie über diesen Schwager wusste. Johanna und ihr Mann Sebastian konnten ihn nicht leiden, das hatte sie noch ganz deutlich in Erinnerung. Aber warum nicht? So angestrengt sie auch überlegte, sie kam nicht darauf. Aber an eines erinnerte sich Marlene mit einem Mal: dass Andreas eigentlich auch am Bodensee lebte, verheiratet war und zwei Kinder hatte. Diese Erkenntnis traf sie mit ungeheurer Wucht, es fühlte sich an wie ein Schlag in den Magen. An der Faszination, die Andreas auf sie ausübte, änderte das nichts.

      Und als er am 28. Januar mit der SA auf dem Marsfeld aufmarschierte, stand Marlene am Wegesrand und warf ihm bewundernde Blicke zu.

      17. Kapitel

      Deauville, Frankreich, 26. Januar 1923

      Pierre Didier öffnete vorsichtig die Tür zur Küche und sah Michelle am Tisch sitzen. Er hatte Angst, denn er wusste: Was jetzt kam, würde über sein künftiges Leben entscheiden. Obwohl er nach dem letzten Gespräch entschlossen gewesen war, sich von ihr zu trennen, und das Gefühl gehabt hatte, sie nicht einen Tag länger ertragen zu können, hatte er sich doch entschieden, ihr einen Neuanfang anzubieten. Er hatte Hemmungen, einfach so fortzugehen, so sehr er sich auch nach Sophie sehnte und so sehr Michelle ihn anwiderte. Außerdem waren da noch die beiden Kinder …

      Zögernd stieß er die Tür ganz auf.

      Michelle blickte auf und musterte ihn kalt.

      Ich glaube, ich muss erfrieren neben dieser Frau, dachte Pierre, doch er zwang sich zu einem Lächeln.

      »Guten Morgen, Michelle«, sagte er höflich und beugte sich zu ihr herunter, um sie auf die Wange zu küssen.

      Michelle ließ es geschehen, erwiderte aber weder seinen Gruß noch seinen Kuss. Sie rührte sich nicht.

      »Wo sind die Kinder?«

      »Mit dem Kindermädchen im Park, wie jeden Morgen«, antwortete Michelle kühl.

      »Ach ja, richtig, wie dumm von mir.« Pierre fühlte sich immer unwohler in seiner Haut.

      »Michelle, ich muss etwas mit dir besprechen.«

      Michelle sah auf. Sie verzog noch immer keine Miene, aber an dem leisen Flackern in ihrem Blick bemerkte er, dass sie doch nicht ganz so gleichgültig war, wie sie sich gab. Dass sie nur eine Maske aufgesetzt hatte und hinter dieser immer noch die verzweifelte Frau war, die so leicht in Tränen ausbrach.

      »Ja?« Sie blätterte mit gelangweilter Miene und sorgsam manikürten Fingernägeln in der Zeitschrift, die vor ihr auf dem Küchentisch lag.

      »Ich bin wieder einberufen worden«, erklärte Pierre geradeheraus. »Ich muss mit den Besatzungstruppen nach Deutschland.«

      Michelle sagte kein Wort.

      Pierre starrte in ihr sorgfältig geschminktes Gesicht und suchte nach einer Regung. Er fand keine.

      »Michelle?«, fragte er. »Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«

      Michelle sah auf und ihm gerade in die Augen. Sie hatte sich bestens im Griff. Kein Zucken verriet ihre wahren Gefühle. »Natürlich habe ich dich verstanden.«

      »Und was sagst du dazu?«

      »Nun, ich gratuliere dir.« Es klang desinteressiert und gelangweilt.

      Pierre war fassungslos. »Du gratulierst mir? Aber warum? Du weißt doch genau, dass ich von dieser Ruhrbesetzung alles andere als begeistert bin. Ich freue mich keineswegs, in die Besatzungstruppe abkommandiert zu sein.«

      »Dann nehme ich meine Gratulation selbstverständlich wieder zurück.« Michelle wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu.

      Pierre spürte den wohlvertrauten Zorn in sich aufsteigen, der immer irgendwann durchbrach, wenn er länger mit seiner Frau sprach. »Michelle, was soll das alles?«, fragte er, mühsam beherrscht.

      »Was … alles?«, fragte Michelle scheinheilig.

      »Du weißt genau, was ich meine. Warum spielst du mir etwas vor und sagst mir nicht endlich, was du wirklich denkst?«

      »Ich glaube nicht, dass dich das interessieren würde«, erwiderte sie spitz. »Außerdem möchte ich dich nicht damit belasten, was ich denke oder fühle.«

      »Michelle!«

      »Nein, Pierre. Ich meine es ernst.« Zum ersten Mal ließ sie eine Regung erkennen und sah ihm in die Augen, wenn sie den Blick auch kurz darauf wieder senkte. »In den letzten Jahren hast du mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich dich nicht interessiere und dass du immer noch an diese Deutsche denkst. Und jetzt kannst du es nicht ertragen, dass ich mich von dir zurückziehe.«

      »Michelle …«

      Wieder unterbrach sie ihn. »Ich habe dir gratuliert, weil du nun endlich einen Grund hast, nach Deutschland zurückzukehren und das zu tun, was du schon immer wolltest: nach deiner Sophie suchen.«

      Pierre spürte, wie sein Herz bei der bloßen Erwähnung von Sophies Namen heftig zu schlagen begann. Aber er unterdrückte die Hoffnung, sie wiederzusehen.

      »Und ich gratuliere dir, dass du uns endlich los bist. Darauf hast du doch immer gehofft.«

      »Nein, Michelle, das ist nicht wahr.«

      »Dann geh doch!«, Michelle hatte nun vollkommen die Beherrschung verloren. »Geh, aber ich will dich nie, nie wiedersehen, und die Kinder wirst du auch nicht mehr zu sehen bekommen. Du kannst ja mit Sophie welche haben.«

      »Bitte, Michelle, lass uns doch vernünftig …«

      »Geh mir aus den Augen!«, schrie Michelle hysterisch. »Sofort!«

      Pierre erhob sich langsam.

      »Ich fahre heute noch zu meiner Mutter«, fuhr Michelle, jetzt ein wenig gefasster, fort. »Falls sie mich noch nimmt, denn deinetwegen habe ich ja auch sie beinahe verloren. Die Kinder nehme ich mit. Und wenn ich zurückkomme, dann erwarte ich von dir, dass du verschwunden bist.«

      »Michelle, das geht doch nicht so einfach. Wir sind verheiratet und ich möchte die Kinder nicht

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