Überall ist Asgard. Ulf Angerer

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Überall ist Asgard - Ulf Angerer

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      ULAN LOKISON

      ÜBERALL IST ASGARD

      EIN ROMAN VON ULF ANGERER

      Texte: © 2019 by Ulf Angerer

      Illustrationen: © 2019 by Christian Angerer

      Lektorat: Petra Roloff

      Verlag: Araki Verlag UG (haftungsbeschränkt), Theresienstraße 35, 04129 Leipzig

      Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      978-3-948863-00-5 (Paperback)

      978-3-948863-01-2 (Hardcover)

      978-3-948863-02-9 (e-Book)

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Für

      Amy & Hedi

      Karl & Kurt

      … möge ihre Reise glücklich sein!

       Danksagung:

      Ich danke meinen Eltern und meinen Großeltern für alles, was war.

      Ich danke meiner Frau und meinen Kindern für alles, was ist.

      Ich danke den Göttern für alles, was kommt.

      ULf ANgerer

      1. Die Reise beginnt

      2. Strohtod

      3. Golon

      4. Dagaz und Jera

      5. Das Lachen des Falken

      6. Gwenlyn

      7. Drei Nornen

      8. Ratatöskr

      9. Nordmänner

      10. Das Böse

      11. Mimir’s Haupt

      12. Loki

      13. Der Kreis schließt sich

      14. Epilog

      1. Die Reise beginnt

      Mein Name ist Ulan.

      Bis zu meinem zehnten Geburtstag hieß ich Jonn.

      In der Welt, in der ich lebe, ist es nichts Besonderes, im Laufe der ersten Lebensjahre einen zweiten Namen zu erhalten. Die neugeborenen Kinder bekommen den ersten Namen nur, damit man sie rufen kann. Er ist es lediglich von Bedeutung, um das Geschlecht zu bestimmen. Dann beginnt das große Spiel, das wir das Leben nennen, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Wir bilden Eigenschaften und Charakterzüge aus, die in ihrer Gänze unsere Persönlichkeit formen. In dieser Zeit zeichnen wir uns durch ganz individuelle Begabungen aus, und genau die führen die Eltern zu unserem Erwachsenennamen.

      In meiner Erinnerung bin ich zehn Jahre alt, als mein Vater entsetzlich unter der Frage leidet, ob er meine Schwester Liss mit Okdar Genrot, dem Yarl des Nachbarstammes, vermählen soll. Heute ist Genrot lange tot, aber meine Bilder von diesem selbstgerechten, feisten, alten Mann sind unauslöschlich: Fettiges Haar, das das runde schweinsäugige Gesicht über dem viel zu kurzen Hals schütter umrahmt. Ein Bauch wie ein Metfass und die Beine geformt, als wäre er ewig auf diesem Fass geritten. Vielleicht roch er gar nicht so streng, wie meine kindliche Erinnerung mich glauben machen will, aber der unangenehme Beigeschmack bleibt mir bis an das Ende meiner Tage.

      Liss, fünf Jahre älter als ich, ist nun fünfzehn und damit im heiratsfähigen Alter. Der Yarl hat einen Boten mit dem Antrag in unsere Siedlung geschickt. Okdars erste Frau ist seit über zwanzig Sonnenkreisen an seiner Seite und entspricht in ihrer äußeren Erscheinung und mit ihren körperlichen Fähigkeiten in keiner Weise mehr dem, was der Yarl unter einer standesgemäßen Gemahlin versteht. Mein Vater kennt die Beweggründe des Fürsten und, obwohl der mit einer solchen Verbindung einhergehende Standeswechsel ihn sehr verlockt, weigert sich das liebende Herz in seiner Brust, dem Wunsch des Yarl zu entsprechen. Er ist außer sich vor Sorge und kommt zu keiner Entscheidung. Ich sehe ihn abmagern, und nur noch selten huscht das so vertraute liebevolle Lächeln über sein Gesicht.

      In einer dieser sorgendurchtränkten Nächte habe ich einen Traum: Eine Eule kommt in die Schlafkammer geflogen. Sie setzt sich an das Fußende meines Lagers. Es ist ein wunderschöner Vogel, umgeben von einem geheimnisvollen Schein, der mich wohlig erschauern lässt. Noch nie habe ich eine Eule so nah gesehen. Doch kaum ist sie gelandet, nimmt sie die Gestalt meiner Großmutter, der Mutter meines Vaters, an.

      „Geh zu deinem Vater und stell‘ ihm folgendes Rätsel:“, spricht sie mit einer so angenehmen, warmen Stimme, dass das letzte bisschen Angst von mir abfällt. „Du hast es, und es wird immer weniger, wenn du es anwendest. Du hast es, und es wird immer mehr, wenn du es anwendest.“ Dann verwandelt sie sich wieder in die Eule. Anmutig und so geräuschlos, wie es Eulenart ist, fliegt sie zurück in das Mondlicht.

      Als ich am Morgen erwache, erinnere ich mich an den Traum, aber nicht an den genauen Wortlaut des Rätsels. Aufgeregt erzähle ich meinem Vater von dem Traum. Aber die ungeheure Last, die auf seinen Schultern liegt, verhindert sein Zuhören. In einem halbherzigen Versuch, mich zu beruhigen, streichelt er meine Wange und versinkt wieder in seinen angstvollen Gedanken. Heute wird er dem Yarl Liss‘ Hand zusprechen.

      „Dann wird unser Reichtum sich wie von allein vermehren“, sagt er – es ist ein hilfloser Versuch, sich selbst zu trösten.

      Bei diesen Worten fällt mir das Rätsel wieder ein. Ich stelle es ihm: „Du hast es, und es wird immer weniger, wenn du es anwendest. Du hast es, und es wird immer mehr, wenn du es anwendest.“

      Mein Vater wird blass. „Woher kennst du dieses Rätsel?“ Er zittert am ganzen Leib. Nun, seit Wochen zum ersten Mal, ist seine Aufmerksamkeit ganz bei mir, suchen seine klugen grünen Augen die meinen. „Meine Mutter hat es nur für mich erdacht. Kein Mensch hat je davon erfahren. Dieses Rätsel war unser Geheimnis. Sie war fest davon überzeugt, dass die Lösung dieses Rätsels mich eines fernen Tages von großer Last befreien würde. Du hast es, und es wird immer weniger, wenn du es anwendest – das ist das Geld! Du hast es, und es wird immer mehr, wenn du es anwendest – das ist die Liebe!“

      Er fasst allen Mut und macht sich auf den weiten Weg zum Yarl. Der tobt und gelobt Rache. Noch heute male ich mir gern aus, wie sein ganzer fetter Leib dabei bebt, und ich versuche mir vorzustellen, wie Wut und Zorn aus seinen Schweinsaugen sprühen. Aber das hilft ihm nichts, denn ohne Zustimmung der Eltern ist es auch einem Yarl nicht gestattet, ein Weib zu freien.

      Als mein Vater am folgenden Abend heimkehrt, ruft er mich zu sich. Er ist so ernst wie nie zuvor, und da ist noch etwas, das ich bisher nie an ihm bemerkt habe und das mir, einem zehnjährigen Milchbart, bis dahin auch noch nie jemand entgegengebracht hat: Respekt. Ich stehe ihm gegenüber. Er legt seine rechte Hand auf meine Schulter.

      „Jonn, was dir widerfahren ist, kann kein

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