Überall ist Asgard. Ulf Angerer

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Überall ist Asgard - Ulf Angerer

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ist es, was Loki euch sagen will: Odin ist weise, aber du kannst nicht immer weise sein. Thor ist stark, aber du kannst nicht immer stark sein. Tyr ist gerecht, aber du kannst nicht immer gerecht sein. So kann die lange Reihe der Götter aufgezählt werden, und da ist keiner, dem ihr gleicht. Doch Loki? Alle in Asgard vertrauen ihm und lieben ihn, verzeihen ihm seine Tricksereien. Er ist der Schalk, der uns zum Lachen bringt, und der Narr, der uns den Spiegel vor Augen hält – ebenso seid ihr, Menschen von Midgard. Mit eurer Narretei zeigt ihr uns unsere Unzulänglichkeiten. Ihr seid der Maßstab, an dem wir gemessen werden, und da sieht es nicht immer gut für uns aus.“ Iduna sah mich großherzig an. „Wenn eines Tages alle Götter sterben“, sagte sie leise, fast flüsternd, „wird Loki leben, denn er lebt in euren Taten, in Liebe und Hass.“

      „Ihr?“, fragte ich mit leichtem Entsetzen. „Was sollte Euch denn geschehen? Seid Ihr doch unsterblich. Selbst die Sage von der Götterdämmerung scheint mir ein Märchen zu sein. Stehe ich doch jetzt hier, vor Euch.“

      „Weil du an mich glaubst“, antwortete Iduna mit mildem Blick. „Götter sterben, wenn niemand mehr an sie glaubt. Sie leben von der Kraft der Gedanken und des Gedenkens – Humin und Munin. Das ist nicht besonders göttlich. Glaubt niemand mehr an dich – Wanderer – sehen die Freunde durch dich hindurch, fragen die Kinder dich nicht um Rat, bitten die Alten dich nicht um Hilfe, bist auch du tot!

      Du glaubst, meine Aufgabe sei es, diese Äpfel zu hüten? Doch sei gewiss, dass es um viel mehr geht: Diese Früchte bergen eine wundersame Kraft, in der die Gesundheit der Asen gründet – doch diese Gesundheit versiegt, wenn man sie nicht hütet. Ihr Verlust ist die einzige Gefahr, der sogar die Götter ausgeliefert sind. Höre! Die Äpfel sind der Jungbrunnen der Asen. Wir müssen sie essen, um nicht zu altern. Aber es gab eine Zeit, da war ihre Art in Gefahr. Vor unsagbar langer Zeit hatte sich der Riese Thaizi in einen riesigen Adler verwandelt. Mit einer List näherte er sich Loki, packte den Ahnungslosen und schleppte ihn über Stock und Stein. Tiefe Wunden übersäten Lokis Leib. Seine Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein.

      ‚Laß mich los!‘, flehte Loki. Doch nichts half.

      ‚Ich lass dich los, wenn du schwörst, mir Iduna und ihre Äpfel zu bringen‘, sprach der Riesenadler.

      ‚Ich verspreche es!‘, versicherte der geschundene Gott. Da ließ Thaizi den zerschlagenen Loki fallen.

      Loki erwachte aus seiner Ohnmacht in Bilskirnir, Thors Palast, wo er von Frey, Sygn und mir gepflegt wurde. Die Tage vergingen und Loki gewann an Kraft und Gesundheit. Doch, als würde der grausame Adler noch immer seine Kreise über ihm ziehen, schwebte sein unsägliches Versprechen in der Luft.

      ‚Weißt du eigentlich, dass vor den Toren Asgards Äpfel reifen, die größer und schmackhafter sind als die deinen?‘, säuselte er honigsüß.

      Ich war sofort erfüllt von brennender Neugier. Loki musste gar nicht lange bitten, bis ich mit ihm ging.

      ‚Nimm deine eigenen Äpfel mit‘, sprach er weiter, ‚dann kannst du sie sofort mit den Äpfeln vor dem Tor vergleichen.‘

      Das leuchtete mir ein. Doch kaum hatten wir, mit einem Korb voller Früchte, die schützenden Mauern Asgards verlassen, senkte sich ein riesiger Schatten auf das Land. Es war Thaizi, der als Adler auf mich herabschoss und mich mit wildem Schrei in das Wolkenmeer entführte. Lange Tage blieb ich in seiner Burg, und die Götter litten unter dem Verlust der Äpfel. Sie begannen zu altern, sodass das ganze Geschlecht der Asen in Gefahr war … Loki wanderte durch Asgard und erkannte den schlimmen Verrat, den er begangen hatte, in jedem Gesicht. Der Frevel lag schwer auf seinen Schultern. Halb wahnsinnig von der Last seiner Lüge, stellte er sich eines Tages Odin und gestand ihm seine Tat. Außer sich vor Wut und Enttäuschung rief Odin den Hohen Rat ein. Es wurde beschlossen, Loki zu ächten.

      Doch die Enthüllung seiner Schandtat hatte Loki gleichsam darin bestärkt, und so erbot er sich, mich aus Thaizis Gewalt zu befreien. Er bat Freyja um ihr Falkengewand, um als Falke verwandelt zu Thaizis Burg zu fliegen. Hier fand er mich in meinem Kerker. Ich war unversehrt, aber traurig. Wie staunte ich, als ein Falke durch die Gitterstäbe meines Kerkerfensters hereingeflogen kam. Er landete genau vor meinen Füßen, und langsam erwuchs aus dem Federkleid des Greifes Loki.

      ‚Geht es Dir gut?‘, fragte er. Sein Mitgefühl schien echt, allein der unsäglich besorgte Klang seiner Stimme ließ mich seinen Verrat vergessen.

      Ja. Aber ich muss nach Asgard zurückkehren, denn die Asen sterben ohne mich.‘

      ‚Ich weiß. Gestatte mir einen Zauber!‘, schlug Loki vor.

      Natürlich war ich einverstanden. ‚Was muss ich tun?‘, fragte ich ihn.

      ‚Setz dich auf deinen Stuhl und nimm den Korb mit den Äpfeln auf deinen Schoß‘, wies er mich an, und ich folgte.

      Loki sprach, oder besser flüsterte, einen Seidhr. Den Rest der Geschichte kenne ich selbst nur aus Erzählungen. Er verwandelte mich in einen Haselzweig mit Blatt und Nuss, und als Falke trug er mich über die Wolken Richtung Asgard. Doch Thaizi bemerkte den Raub und folgte uns in Adlergestalt mit wildem Flug. Der Falke jedoch war schnell und gewandt. Kurz vor dem Ar erreichte er die Mauern Asgards und ließ mich auf das Idafeld fallen. Die Asen hatten den heranstürmenden Adler längst bemerkt. Sie spannten ihre Bögen und töteten den wilden Greif in vollem Flug. Der Seidhr verließ mich, sobald ich den geheiligten Boden Asgards berührte, und ich nahm meine wahre Gestalt wieder an.

      So war das damals …“, schloss Iduna versonnen. Deutlich konnte ich ihr die Last der Erinnerung ansehen.

      ‚Und Loki? Was geschah mit ihm?‘, wollte ich wissen.

      ‚Loki ist Loki!‘, antwortete die Göttin, während eine leichte Röte ihr wunderschönes Antlitz überzog.

      ‚Sie liebt ihn!‘, dachte ich erstaunt, doch ich hatte schon wieder vergessen, dass Göttinnen Gedanken lesen konnten.

      „Zügle deine Fantasie, Wanderer!“ Die Asin schimpfte, doch es klang nicht böse. Sie zeigte auf einen der Bäume. „Nimm dir nun einen Apfel. Du wirst ihn für den Heimweg brauchen.“

      Dankbar ging ich die wenigen Schritte und pflückte eine Frucht, dann drehte ich mich zu Iduna um. Die Wiese war leer – kein Tier, kein Mensch und schon gar keine Göttin war zu sehen. Wieder verließen mich die Sinne, denn das war eindeutig zu viel für einen einfachen Wandersmann.

      Ich erwachte erfrischt und ausgeruht in Sichtweite unserer Siedlung. Über mir stand die Sonne hoch am Himmel. Da erkannte ich, dass ich nur geträumt hatte. Ich war wohl den Folgen meiner Fastenzeit erlegen und hatte, derart geschwächt, das Bewusstsein verloren. Das Laub der Maibäume war hellgrün und noch nicht ganz aus den schützenden Hüllen der Zweige gesprossen. Blumen blühten am nahen Weiher. Es war Frühling. Wunderbarer, hoffnungsschwangerer Frühling.

      In der Hand hielt ich einen reifen Apfel.

      2. Strohtod

      Sommersonnenwende.

      Ich schwelge in Erinnerungen – ich bin vielleicht elf oder zwölf Jahre alt.

      Der heilige Platz ist nach genau festgelegten Maßen gebaut. Unsere Ahnen haben vor vielen, vielen Sonnenumläufen diesen Kreis aus Pfählen errichtet. Sie sind so hoch, dass auch unser größter Kämpfer ihre Spitze nicht mit den Händen erreichen kann. An ihrem oberen Ende laufen

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