Überall ist Asgard. Ulf Angerer

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Überall ist Asgard - Ulf Angerer

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weben die Fäden, an denen wir hängen.

       Urd – das Schicksal liegt in deiner Hand. Legst deine Fäden über das Land. Legst die Fäden im Gewirr, webst die Leben von Mensch und Tier.

       Verdandi – der Moment ist dein, der Augenblick, das Jetzt, das Sein. Kein Gestern kennst du und kein Morgen. Der Augenblick kennt keine Sorgen.

       Skuld – kein Mensch kann leben, ohne dir die Hand zu geben.

       Nistest dich ein in zitternde Herzen, löschst das Licht auf unseren Kerzen.

       Urd – dein Blick geht so weit! Verdandi – in Raum und Zeit!

       Skuld – in Schatten und Licht!

       Sind wir – oder sind wir nicht?

      Hels Gesang verklang in der hohen Kuppel des Saales. Ich war wie gebannt. Nie hatte ich Ähnliches gehört. Wo mochte die Welt sein, in der solche Lieder gesungen wurden? Wie alt ihre Geschichten! Wie weise ihre Dichter!

      „Wie kann ich dir danken … und den Nornen?“, fragte ich zaghaft.

      Hel machte eine abweisende Geste. „Für heute reicht es, ihnen für ihre großzügige Gastfreundschaft zu danken. Würdest du auch nur einen Fuß auf den Boden Helheims setzen, könnte ich dich nicht wieder gehen lassen, und das möchtest du doch … wieder gehen, oder?“

      „Bitte, ja!“, rief ich. Mir war angst und bange.

      „Aber, du wolltest mich treffen? Oder habe ich das falsch verstanden, an Riegers Totenbett?“

      „Du weißt davon?“

      „Ich stand neben ihm.“

      „Er hat Angst vor seiner Zeit in Helheim,“ sagte ich wahrheitsgetreu. „Darum kann er nicht loslassen.“

      Hel lachte. „Der Tod wird überbewertet. Bevor du geboren wurdest, warst du doch schon einmal tot, oder?“

      „Wohl ja … aber …“

      „Und? War es schlimm?“ Jetzt lächelte sie, und diesmal achtete sie darauf, mir nur die gesunde Gesichtshälfte zu zeigen. „Schau mein Antlitz! Solange du nur eine Seite davon siehst, bist du dir sicher, Herr der Situation zu sein. Dabei ist es egal, welche der beiden. Aber dann, kaum siehst du mich ganz, zerfällt deine schöne heile Welt in tausend Scherben. Dann erkennst du, dass da etwas ist, von dem du nichts weißt. Und weil du nicht weißt, was du nicht weißt, bleibt nur die Erkenntnis, dass du nicht weißt, was du weißt. Wenn du das verstanden hast, bist du wahrlich frei!

      Auch der Tod hat nicht nur eine Seite. Er ist nicht nur Qual und Ende. Er ist auch Erlösung und Neubeginn. Es ist nicht besonders klug, zu glauben, das ewige Glück lasse sich in einem frühen Tod finden, möglichst in einer Schlacht.“ Sie sah mich prüfend an. „Wo wären all die tapferen Krieger ohne den Rat der Alten, die auf die Erfahrung eines vergangenen, langen Lebens zurückgreifen können? Wer spricht zu den Kindern an den Feuern? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wem der Tod auf dem Schlachtfeld nützt? Glaub mir, der Leiche nicht!

      Alt zu werden, bedarf eines hohen Maßes an Mut. Während man auf dem Schlachtfeld bis zuletzt hoffen kann, unverletzt zu bleiben, darf man der Schmerzen des Alters durchaus sicher sein. Rieger hat nichts zu bereuen! Er kann kommen! Ich werde ihm ein angenehmes Willkommen bereiten.

      Ist dir einmal aufgefallen, dass ihr in Midgard irgendeinen Ort ‚Heimat‘ nennt, gerade da, wo ihr seid? Eine einfache Hütte kann mehr Heimat sein als ein prächtiger Palast. Vielleicht ist Heimat eher in euch. So gesehen, ist es egal, wo ihr seid, wichtiger ist, mit wem. Rieger wird Freunde und Bekannte hier treffen.“

      Hel lachte hell auf. „Bedenke ich es recht, sind fast alle seine Ahnen hier – nicht in Walhalla. Es ist wohl ein echter Fluch, wenn die Kriege knapp werden.“ Während ihrer langen Rede hatte ich zu Boden gesehen. All ihre Worte berührten mich tief – und doch da war immer noch eine große Angst vor dem Tod, die nicht so schnell weichen wollte. Langsam hob ich meinen Kopf, um ihr erneut ins Gesicht zu blicken. Ich wagte kaum zu atmen, bereitete mich auf den Anblick vor und hielt die Luft an – doch nun hatte sich etwas verändert. Sie hatte sich verändert. Ich konnte sie ansehen – das Leben und den Tod. Mir dämmerte, dass beides zusammengehörte, dass beides zum Dasein gehört, untrennbar, und zaghaft wich meine Angst. Ich öffnete meine Augen vollends und blickte in zwei blaue Augen, in ein Gesicht, dessen zwei Hälften wunderschön waren…

      „Da staunst du, was!“, lachte sie schallend. „Wenn der Tod seinen Schrecken verliert, ist er nicht mehr hässlich. Glaub mir, der weise Witz meines Vaters ist wahrhaft göttlich.“ Sie wurde schlagartig wieder ernst. „Geh! Geh nun zu Rieger, er kann nicht mehr warten.“

      Als ich ging, brach der neue Tag an. Hels letzte Worte hallten in meinen Ohren nach: „Sorge dich nicht, wir sehen uns wieder – ob du willst oder nicht!“

      ~

      Die Morgendämmerung stieg über die Siedlungsmauer und ich stand wieder am Strohbett des Sterbenden. In leisen, aber sicher gesetzten Worten, berichtete in von meinem Besuch bei Hel. Rieger hörte geduldig zu. Mit jedem Satz, den ich sprach, kehrte mehr Klarheit in seinen Blick zurück. Seine leidgeplagten Züge entspannten sich und der Hauch eines Lächelns zeichnete sein Gesicht.

      „Vor unendlich vielen Jahren“, begann er ein letztes Mal zu sprechen, „kam ein Fremder in unser Dorf. Es war Krieg ringsum, und Not, Hunger und Elend überzogen das Land mit grenzenlosem Schrecken. Ich war Ältester in diesen Tagen. Auf mein Geheiß hin gewährten wir ihm Schutz. Er hing dem alten Glauben an – ein Diar-Gode, ein Gode höheren Ranges der großen Göttin Freyja. Die umliegenden Stämme verfielen zu dieser Zeit allmählich den Versprechungen eines neuen Gottes. In blindem Eifer erschlugen sie alles und jeden, der den neuen Weg nicht mit ihnen beschreiten wollte. Der Fremde war in großer Gefahr. Er war vielleicht vier oder fünf Tage bei uns, da umstellten sie unser Dorf.

      Unsere Siedlung galt als unbezwingbar, und auch diese Belagerung würden wir mit Leichtigkeit überstehen. Doch sie hatten ihre Frauen und Kinder dabei, und keiner von uns konnte sich erklären, warum. Dann zeigte sich der neue Glaube in seiner ganzen Bosheit. Wir hatten immer Göttinnen und Götter verehrt. So nahm es nicht Wunder, dass Frauen und Männer den gleichen Stand im Stamm und in der Familie hatten. Der neue Gott lehrte jedoch die Unreinheit des Weibes und stellte es dem Manne nach. Dies begründete die Grausamkeit unserer Belagerer. Sie wussten, dass wir niemals auf wehrlose Frauen und Kinder schießen würden. So trieb jeder ihrer Krieger eine Frau oder ein Kind vor sich her auf die Siedlungsmauer zu. Je näher sie kamen, je deutlicher sahen wir die Gesichter ihrer lebenden Schilde – Angst, Verzweiflung und stille Bitte lag in jedem. Keiner von uns brachte es über das Herz, seinen Bogen zu spannen, den Tod durch die Luft zu tragen – bis die Feinde die Mauer erreichten.

      Der Fremde kam zu mir. In der Hand hielt er einige dünne, in Leder gebundene Runenstäbe. „Dies sind die letzten Lieder der alten Dichtung“, sprach er. „Eines Tages wird ein Mann kommen. Frag nicht – du wirst ihn erkennen! Gib ihm die Stäbe.“ Dann stellte er sich auf den Wall und sang einen Runenzauber.

      Ein erster Pfeil traf seine Brust, ein zweiter seinen Bauch, weitere folgten. Ein dünnes Rinnsal aus Blut sickerte aus seinem Mund, wuchs an zu einem breiten, dunkelroten Band, doch er sang sein Lied. Sang es bis zum letzten Ton. Dann starb er – aufrecht!

      Die Jahre vergingen, und aus dem jungen Mann, der ich einmal war, wurde

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