Überall ist Asgard. Ulf Angerer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Überall ist Asgard - Ulf Angerer страница 6

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Überall ist Asgard - Ulf Angerer

Скачать книгу

Kaum jemand an den großen Feuern gedachte noch ihrer in der Tiefe seines Herzens. Die Köpfe waren voll – doch die Herzen waren leer. Wo sich alles dem Verstand erschließt, verliert das Leben seinen Zauber. Alles scheint erklärbar. Nichts ist noch rätselhaft – nichts ist magisch. Doch will mir scheinen, gerade der Glaube an die Allmacht des Verstandes ist der Trugschluss, ist ein Selbstbetrug, und führt in die Verzweiflung durch den Irrtum, das eigene Schicksal lenken zu können.

      Die Erkenntnis, dass wir den großen Belangen des Lebens gegenüber vollkommen machtlos sind, gebiert den Glauben an eine höhere Macht – egal, wie wir sie nennen: Götter, Schicksal oder Zufall. So wundert es nicht, dass tief in unseren Seelen die Suche nach dem großen Zauber nie endet.

      ~

      So erging es mir, als ich mit dem Apfel in die Siedlung kam. In der Öffentlichkeit erklärten die Ältesten das Vorhandensein dieser reifen Frucht mit allerlei klugen Worten. Sie sprachen von der Kühle des vergangenen Winters, von der Lagerung im Sumpf und vom zufälligen Zusammentreffen günstiger Umstände. Hinter verschlossenen Türen jedoch murmelten sie die alten Texte, baten Odin und Freyja um Rat. Das Volk Midgards sah sich bestätigt im alten Glauben. Jene, welche die Götter zur Sonnenwende am lautesten verhöhnt hatten, lagen nun als erste auf den Knien. Nur zu gern ließen sie die alten Riten auferstehen – sprachen vom Zeichen der Götter. Und ich war der Überbringer, der Wanderer zwischen den Welten.

      Diese Entwicklung ängstigte mich. Zu tief wäre der Fall nach schnellem Aufstieg. Doch all meine Erklärungsversuche verebbten erfolglos. So fügte ich mich in mein Schicksal, und auch, wenn ich im Herzen um meine Einfachheit wusste, gefiel mir der Gedanke, von den anderen Welten berichten zu dürfen.

      ~

      Der Abend war still, an dem ein Mann namens Rieger nach mir rufen ließ. Ich kannte ihn leidlich. Er war lange Zeit berühmt gewesen für seine Weisheit und hatte den Ältesten als Ratgeber gedient. Ich wusste nicht mehr, wann er aus dem Bild der Siedlung verschwunden war. Schweigend hatte er sich in sein Langhaus zurückgezogen. Schweigend erwartete er, auf seinem Lager aus Stroh, das Ende. Nun schien es nah, und er wünschte ein letztes erleichterndes Gespräch.

      „Lange Jahre habe ich gekämpft. Ich war Sieger in unzähligen Schlachten, und nicht ein einziges Mal drehte ich dem Feind den Rücken zu – außer, um ihm meinen entblößten Hintern zu zeigen.“ Rieger lachte. „Doch Odin war das wohl nicht genug. Er verweigerte mir den Ehrentot auf dem Schlachtfeld. Er lässt mich nicht nach Walhalla. All meine Gefährten sitzen nun an den langen Tischen. Sie fressen und saufen und genießen die Weiber. Was mir bleibt, ist der schmähliche Tod auf dem Lager. Was mir bleibt, ist der Strohtod!“ Er sah mich an. „Du aber, Ulan, warst bei Iduna. Hast mit der Göttin gesprochen. Sage mir nun, was wird Hel mit mir machen? Ist sie so grausam und unnachgiebig, wie man sagt?“

      „Ich weiß es nicht, Rieger. Ich bin ein einfacher Mann“, sagte ich leise. „Auch, wie ich zu Iduna gelangte, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihr wirklich begegnet bin.“

      Rieger hob die Hand in meine Richtung. „Ich bin alt, und viele Jahre lobte man mich für meine Weisheit. Ich weiß nicht, ob ich weise bin, aber eines weiß ich ganz gewiss: ob ein Mann ein Wanderer ist oder nicht, darauf hat er keinen Einfluss. Die Götter berufen dich, und es ist ihnen gleich, ob du damit einverstanden bist oder nicht. Dir widerfuhr diese Ehre, als dich Iduna rief. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, du hättest sie gefunden, wenn sie es nicht gewollt hätte!“

      So hatte ich die Sache noch nicht betrachtet. Langsam erkannte ich die Last meines Weges. „Aber, wie kann ich dir helfen?“

      „Nimm mir die Angst vor Hel … und mach schnell! Meine Zeit rinnt davon …“

      Als ich Riegers Langhaus verließ, war es Nacht. Die Sterne standen hoch am Himmel und der Mond erhellte meinen Weg. Weg? Welchen Weg? Wo geht es hier zu Hel?, dachte ich mutlos. ‚Oh, Odin! Hilf!‘, bat ich.

      ~

      War es Odin, war es Verzweiflung – irgendeine Macht lenkte meine Schritte zum heiligen Steinkreis. Ich legte mich flach auf den Rücken und schaute in den Himmel. Langsam begann das Firmament sich zu drehen. Unmerklich wurde es bunt. Es waren die Farben des Regenbogens, und je schneller der Himmel sich drehte, desto mehr verschwammen diese Farben – und der Himmel wurde weiß!

      Selbstvergessen ergab ich mich dem unheimlichen Zauber. Dann wurde das Weiß zunehmend dunkler – grau erst, dann braun. Es nahm die Farbe der Erde an. Vorsichtig setzte ich mich auf und sah, dass ich mich in einer geräumigen Höhle befand. Die Höhle bildete einen Saal, der von unzähligen Säulen getragen wurde. Direkt unter der Mitte der Kuppel standen drei Spinnräder, an denen jedoch niemand spann. Ein wundersamer Schein gab dem Raum einen unwirklichen Glanz. Es war angenehm warm, und die gesamte Szenerie ließ in mir eine nicht erklärbare Geborgenheit aufkommen. Wieso kam ich mir so behütet vor, hier, an diesem finsteren Ort?

      „Du befindest dich im Schoß der Erde“, hörte ich eine weibliche Stimme sagen.

      Auf einem steinernen Thron am Rande des Saals saß eine blasse Frau. Sie schaute mich nicht an, sondern wandte mir ihre rechte Seite zu. Sie blickte nach oben, zu einem Punkt an der Höhlenkuppel. Das Gesicht der Frau war fast weiß. Ebenmäßige Züge umgaben ihr strahlend blaues Auge. Ich war nicht in der Lage, den Blick von ihr zu wenden. Noch nie hatte ich in ein Antlitz geschaut, von dem eine solche Faszination ausging. In Wellen durchflutete eine nie gekannte Wärme meinen Körper.

      ‚Das also ist Liebe auf den ersten Blick!‘, dachte ich.

      In diesem Augenblick änderte die weiße Schönheit ihre Blickrichtung. Sie drehte mir ihre linke Seite zu und sah nun auf einen Punkt links von mir. Ich erschrak! Ein unangenehmer Fäulnisgeruch streifte meine Nase in dem Moment, als sie den Kopf wendete. Der Gestank musste von ihrer linken Gesichtshälfte ausgehen.

      An der Stelle, an der einmal ein Auge gewesen sein musste, klaffte eine blutunterlaufene Höhle. Die Lippen waren großflächig verwest und gaben in unregelmäßigen Reihen gelbe Zähne frei. Die Teile der Haut, die noch übrig waren, zeigten sich übersät mit unzähligen Wunden. Blut, Eiter und Grind wechselten einander ab.

      Dann sah die Frau mich direkt an und sofort senkte ich den Blick.

      „Die Tatsache, dass jedes Ding zwei Seiten hat, hat mein Vater zuweilen etwas übertrieben gesehen“, sagte sie, nicht ohne Bitterkeit. Während ihre rechte Gesichtshälfte lächelte, verzog sich der linke Teil zu einer schaurigen Grimasse.

      Aus der Liebe Lokis zu der Riesin Angrboda waren drei Kinder entstanden: der Fenriswolf, die Mitgardschlange und … dies hier war ganz eindeutig Hel.

      „Sind wir in Helheim?“ Mir schauderte. Nirgends wollte ich weniger sein als in Helheim, der letzten Heimat der Toten, die nicht als Helden auf dem Schlachtfeld gestorben waren.

      Sie zeigte auf die Spinnräder. „Nein! Die Nornen haben mir ihren Palast geliehen, um dich treffen zu können.“

      „Die Nornen?“, fragte ich ungläubig. „Ich glaube, von ihnen gehört zu haben, aber um ehrlich zu sein, weiß ich gerade nicht mehr, wo und was.“ Entschuldigend hob ich meine Schultern.

      Hel sah nachdenklich zu mir herüber. Dann hob sie an und sang mit rauchiger Stimme, in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, in der ich aber jedes Wort verstand, eine alte, längst vergessene Weise:

       Urd – du hast uns erdacht!

       Verdandi – du hast uns gemacht! Skuld – du nimmst uns wieder fort!

Скачать книгу