Absender Ost-Berlin. Thomas Pohl
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„Sie scheinen mir ein echter Bourgeoise zu sein. Suchen Sie sich was aus. Heute zahlt der zwangsverpflichtete GEZ-Zahler.“
„Dann esse ich sozusagen auf eigene Kosten.“
„Wenn Sie zehn Fernseher und fünf Autoradios in Ihrer Villa angemeldet haben, kommt das ja fast hin.“
Während Michael seinen Blick auf die Speisekarte richtete, musterte er heimlich sein Gegenüber. Die Ärmel des Sakkos waren dünn gewetzt. Der Rollkragenpullover ausgeleiert. Für den Nachrichtenchef des ersten Deutschen Fernsehens kam Michael die Kleidung alles andere als standesgemäß vor. Er selbst hatte seinen besten Anzug angezogen. Das einzige, auf das er verzichtet hatte, war eine Krawatte. Michael fühlte sich nicht wohl in seinem Aufzug. Trotzdem spürte er eine geistige Verwandtschaft mit dem älteren Mann, die sämtliche Aufregung verfliegen ließ.
„Sie kommen aus einem Journalisten-Elternhaus?“
Michael nickte, schob den leeren Teller zurück und tupfte sich den Mund.
„Ja, mein Vater war beim STERN.“
„Wiesner, der Grenzgänger?“
„Das war wohl unter Kollegen sein Spitzname.“
„Sie scheinen ja zu Hause mächtig die Ohren gespitzt zu haben.“
„Wie meinen Sie das?“
„Na ja — journalistischer Sachverstand fällt nicht vom Himmel. Ich habe Ihren Aufsatz über das Strauß-Honecker-Treffen gelesen. So etwas habe ich selbst von meinen langjährigen Kollegen noch nicht in die Finger bekommen. Auch Ihre Abhandlung über die Finanzierung der Transitautobahnen spricht Bände.“
„Dann sind Sie wohl der einzige, der das wirklich gelesen hat.“
„Herr Wiesner, dass was ich Ihnen gerade sage, ist bereits so etwas wie ein Eigentor.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich schwäche meine Position, bevor wir überhaupt die Verhandlungen begonnen haben.“
„Wir sind uns also handelseinig?“
„Ich denke nicht, Herr Wiesner.“
Der Gesichtsausdruck des Nachrichtenchefs gewann an Härte.
„Was wollen Sie im Fernsehen?“
„Verzeihen Sie, wenn ich auf ihre Frage nicht direkt antworte. Die Frage ist vielmehr, was braucht das öffentlichrechtliche Fernsehen?“
„Etwa Sie?“
Michael beantwortete die Reaktion des Nachrichtenchefs zunächst mit einer kurzen Pause und einem anschließenden selbstbewussten Augenaufschlag. Dann nahm er einen Schluck aus dem Weinglas und fuhr mit leisem Ton fort.
„Herr Dr. Plank, mir ist durchaus die Wertigkeit dieses Treffens mit Ihnen bewusst. Ich habe Ihnen kein Bewerbungsschreiben geschickt, ich habe noch nicht einmal ein Volontariat in Ihrem Sender absolviert, geschweige denn einen einzelnen Moderationsbeitrag geleistet. Und trotzdem sitze ich mit Ihnen hier. Ich werde nicht über Geld oder Positionen feilschen. Ich denke, wir wissen beide was wir voneinander haben können. Mit mir können Sie ihren Nachrichtenkanal nicht nur ein neues Gesicht geben. Zusammen können wir Ihr erfolgreiches Format ändern, bevor sie in die Verlegenheit kommen, dazu gezwungen zu werden.“
Es war, als würde der Nachrichtenchef die zuvor verwendete dramaturgische Pause von Michael aufgreifen. Er schaute Michael mit einem übertriebenen Atmer an.
„Die Herren, ein Dessert?“
Die zwei Männer am Tisch taten so, als hätten sie die Frage des Obers überhört. Hilflos wartend pendelte der Blick des Kellners zwischen den beiden, bevor er ohne Antwort wieder von dannen zog. Dieter Plank begann zu lächeln, griff nach seinem Glas und erhob es zum Anstoßen.
„Ich denke, Sie können mich ruhig duzen.“
Michael erhob ebenfalls sein Glas und prostete.
„Herr Dr. Plank, sehr gerne. Sie mich auch.“
Auf dem Gesicht des Nachrichtenchefs machte sich ein Grinsen breit. Die Ironie, die Eloquenz und Michaels Frechheit waren so ganz nach seinem Geschmack.
9. Der Führungsoffizier
„Dir ist schon klar, dass du gegen klare Anweisungen verstoßen hast?“
„Ging nicht anders.“
Anna vermied den Blick auf ihr Gegenüber. Ihre Hand umfasste ihr gekreuztes Knie.
„Nochmal! Das Betreten des Gebietes der DDR ist für dich streng untersagt.“
„Ich sagte doch bereits. Es ging nicht anders!“ Anna konnte ihre Genervtheit nicht mehr unterdrücken.
„Genossin Blaschke. Wenn du dich nicht an die Anweisungen hältst, ziehen wir dich von dem Fall ab. Derartiges …“
Sie fiel dem hageren Mann ins Wort. „Ich hab` ihn!“
Die linientreuen Augen des Mannes entspannten sich.
„Wie weit?“
„So weit, wie ich gehen sollte.“
Anna war froh, ihr Gegenüber endlich zum Schweigen gebracht zu haben. Die magere Figur stand von dem kleinen Küchentisch auf und schritt zum Fenster. Das Gegenlicht der einfallenden Sonne ließ seine Silhouette noch schmächtiger aussehen. Die Sonnenstrahlen trafen auf die vergilbte Tapete und warfen lange Schatten des einfachen Mobiliars auf den abgewetzten Holzboden. Eine verbeulte Kanne klapperte mit kochendem Wasser über der Flamme des altertümlichen Gasherds. Anna schob ihren Stuhl zurück und ging zu der Küchenzeile hinüber.
„Kamille oder Pfefferminz?“
„Wirst du bei ihm einziehen?“
„Wahrscheinlich in drei bis vier Wochen.“
Der dürre Mann drehte sich Anna zu und hob anerkennend seine Augenbrauen.
„Kamille.“
Sie begann die beiden einzigen Tassen der Küche unter dem dünnen Wasserstrahl zu spülen, kramte zwei Teebeutel aus einer orangfarbenen Plastikdose und übergoss den Tee.
„Immer noch der Magen?“
Ihr Gegenüber nickte unmerklich. Anna wusste um die Vorgeschichte des unterernährten Mannes. Obwohl schon längst im Pensionsalter, ließ Alfred nicht von seiner Position als Führungsoffizier ab. Zu tief waren die Wunden in seiner kommunistischen Seele. So viel gab es noch zu tun, um das große Ziel zu erreichen. Das Unrechtssystem des Kapitalismus durfte einfach nicht siegen. Alfred war ihr Protegé.
„Du musst ihn nach Bonn bringen.“
„Nach Bonn? Aber wie soll ich?“
„Du