Absender Ost-Berlin. Thomas Pohl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Absender Ost-Berlin - Thomas Pohl страница 7
„Herr Wiesner?“ Michael hob leicht erschrocken seinen Kopf. Vor ihm stand in der halb offenen Tür sein Professor. Die altmodische Kleidung und sein vernachlässigter Haarschnitt verrieten die innere Immigration, in die sich der ehemals engagierte Politologe geflüchtet hatte. Zumindest bildete sich Michael ein, dies daraus ableiten zu können. Mit einem offensichtlich wohlwollenden Blick streckte er seine Hand mit einer einladenden Geste in Richtung des offenstehenden Büros. Michael erwiderte das höfliche Lächeln, erhob sich und folgte der freundlichen Aufforderung. Die Tür noch hinter sich schließend, begann der Professor bereits mit seinem Wortschwall.
„Herr Wiesner. Normalerweise lade ich aufgrund einer gewöhnlichen Hausarbeit keinen Studenten in mein Büro.“
Während der Professor den Stuhl an seinen Schreibtisch heranzog, griff er bereits Michaels Hausarbeit und hielt sie nahezu drohend über die Tischplatte.
„Aber das hier ist etwas anderes.“
Trotz Michaels Selbstbewusstsein beschlichen ihn plötzlich Zweifel. Und auch der nächste Satz des Professors verwirrte Michael zunehmend.
„Und da Sie diesbezüglich auch noch Wiederholungstäter sind, habe ich Sie zu diesem Gespräch gebeten.“
Michael war selten sprachlos. Doch dieser war einer dieser wenigen Momente.
„Herr Wiesner. Sie machen den zweiten vor dem ersten Schritt. Genau genommen machen Sie sogar den fünften vor dem ersten.“
Michael ahnte worauf das Ganze hinauslaufen würde.
„Herr Wiesner. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, sie wären dabei gewesen.“
„Wobei?“
„Also bitte! Bei dem Treffen zwischen Franz-Josef Strauß und Erich Honecker. Ihre Analyse dieses Besuches ist in jedem Punkt substantiiert, scharfsinnig und absolut nachvollziehbar. Ich habe zwar keine Ahnung, was das mit meiner eigentlichen Aufgabenstellung zu tun hat — aber Ihre Kombinatorik ist in diesem Zusammenhang herausragend. Ich sage so etwas nicht häufig. Glauben Sie mir.“
„Vielen Dank.“
Der Professor schaute Michael für einen kurzen Moment schweigend an, bevor er zu einer Reaktion ansetzte. Michael spürte in seinem Blick so etwas wie Wehmut und Traurigkeit. Das Gefühl vertaner Chancen und ein daraus resultierendes Wohlwollen ihm gegenüber. Trotz des väterlichen Ausdrucks in den Augen des Professors setzte er mit scharfem Ton seinen Vortrag fort.
„Danken? Danken Sie mir nicht für Ihre Qualitäten. Danken können Sie mir für das Telefonat, das ich gerade mit dem Chef der Nachrichtenredaktion des 1. Programmes geführt habe. Dr. Dieter Plank. Ich habe ihm von Ihnen erzählt. Er will Sie kennenlernen. Hier ist seine Telefonnummer.“
Der Professor schob einen handschriftlichen Zettel über den Tisch.
„Sehen Sie zu, dass Sie so schnell wie möglich von hier wegkommen. Sie müssen raus hier. Die Uni ist nichts für Sie.“
8. Im Einstein
Es waren nur wenige Stufen, die in das Hochparterre des Café Einsteins in der Kurfürstenstraße führten. Michael war sie schon einige Male emporgestiegen. Immer zwei auf einmal. Und dieser kurze Aufstieg führte ihn in sein journalistisch-politisches Paradies. Bereits am ersten Tag seines Umzuges von Frankfurt nach Berlin trieb es ihn hierher. Es fühlte sich wichtig, seinem Studium angemessen und ungeheuer aufregend an. Michael öffnete die schwere Tür in das Foyer der Jugendstilvilla. Sein Blick folgte kurz der hölzernen Treppe zu der über dem Café befindlichen Bar. Doch die Ablenkung währte nur einen kurzen Moment und seine Schritte führten ihn zielstrebig in Richtung des Gastraumes. Die hölzerne Täfelung an den Wänden und das Ambiente erinnerten mehr an ein Kaffeehaus in Wien — eben nur in Berlin. Bereits die Kellner mit ihren langen weißen Schürzen versprühten eine Autorität, die in Sekundenbruchteil wichtige von belanglosen Gästen unterschied. Sie trugen ihre Livrees wie die Orden über den Sieg der Gestapo, die einst die Intellektuellen aus diesen Räumen jagten. Als müsse man sich seinen Status als Gast im Einstein durch sie erst legitimieren, durch sie an Wichtigkeit gewinnen.
Nur heute fühlte sich Michael entgegen der anderen Male weitaus wichtiger als sonst. Heute wurde er hierher bestellt. Heute war er mehr als nur ein Zaungast, der mit verstohlenen Blicken auf die Meinungsführer aus Politik, Gesellschaft und Medien schielte. Genau beobachtete, was sie aßen, tranken und vor allem wie sie sich hier verhielten. Das Kalbsschnitzel mit warmen Kartoffelsalat galt als die Wahl des Insiders. Dazu Grauburgunder. Michael hatte überhaupt nichts übrig für lauwarmen Kartoffelsalat. Im Café Einstein aß er ihn trotzdem. So fühlte er sich dem bedeutsamen Journalismus einfach näher.
„Sie haben reserviert?“
Der Tonfall des Kellners am Eingang war wie üblich unterkühlt und abschätzig. Als wäre er hier selbst einer der bedeutendsten politischen Akteure. Doch wahrscheinlich las er noch nicht einmal die F.A.Z.. Umso selbstbewusster raunzte Michael zurück:
„Nein!“
Michaels autoritärer Bass in seiner Stimme verfehlte nicht seine Wirkung. Zugleich tat ihm sein überlegenes Getue leid. Bewusst vermied er den Blickkontakt mit dem Concierge und schaute suchend zu den Gästen im Saal.
„Ist Dr. Plank schon da?“
Der Kellner wechselte seinen Tonfall.
„Ja gewiss.“
Mit einer professionellen Drehbewegung veränderte sich zudem seine Körperhaltung.
„Bitte folgen Sie mir. Bitte hier entlang.“
Michael folgte dem Mann, nicht ohne über die devote Dopplung des Wortes „Bitte“ lächeln zu müssen. Im Gänsemarsch schritten sie zwischen den Tischen hindurch, bis die beiden vor einem Vierertisch mit einem einzelnen Gast zum Stehen kam.
„Herr Dr. Plank, Ihre Verabredung.“
Es folgte zunächst eine Verbeugung gegenüber der Zielperson und kurz darauf in Michaels Richtung, der den Gesinnungswandel des Kellners innerlich tief genoss, bevor dieser sich diskret entfernte.
Vor Michael saß ein grauhaariger Mann Mitte Fünfzig. Die flinken stahlblauen Augen verrieten bereits seinen Scharfsinn, bevor er noch ein einziges Wort an Michael gerichtet hatte. Er deutete ein begrüßendes Aufstehen an und reckte Michael seine Hand entgegen.
„Ich bin der ohne Nelke im Knopfloch. Guten Abend Herr Wiesner, nehmen Sie Platz.“
„Guten Abend Herr Plank. Ich bin der, der keinen lauwarmen Kartoffelsalat mag.“
„Sehr sympathisch. Was trinken wir?“