Goldmarie auf Wolke 7. Gabriella Engelmann
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»Ich bin Marie Goldt, aber Sie können mich sehr gern einfach nur Marie nennen und duzen«, antwortete ich, ganz überwältigt von dieser unverhofften Begegnung.
Honeypie und Nives waren ein seltsames Paar.
Aber ich hatte große, große Lust, die beiden näher kennenzulernen.
11. Lykke Pechstein
(Mittwoch, 16. November 2011)
Dear Diary,
halleluja, endlich haben sich die lahmen Schnecken vom Acker gemacht! Hab schon gedacht, ich müsste mich ewig an der Straßenecke rumdrücken und mir ’ne Lungenentzündung holen, bloß weil die sonst so überkorrekte Marie heute ausnahmsweise mal nicht in die Gänge gekommen ist. Und weil Ma heute beim Styling für das millionste Vorstellungsgespräch stundenlang im Bad rumtrödeln musste. Aber nun habe ich endlich sturmfreie Bude und kann mich gleich wieder ins Bett legen und Musik hören, anstatt sinnlos in der Schule abzuhängen. Ich könnte aber auch schlafen. Oder darüber nachdenken, warum Marie bei Ludmilla gekündigt und Ma jetzt die fixe Idee hat, ich sollte mich da bewerben. Ich hab echt gedacht, ich käme um einen Zusatzjob drum herum, aber es scheint ihr ernst zu sein. Sie hat mir eine Frist von zwei Wochen gesetzt, um mir etwas zu suchen. Mann ey, ich hab echt keine Lust, mich in diesem Billighöker von Bäcker zum Horst zu machen und den Kunden Puderzucker in den Hintern zu blasen. Da hängen teilweise so assige Leute rum, dass ich schon Anfälle bekomme, wenn ich bloß dran denke. Diesen Mist konnte auch nur unser ENGEL DER BARMHERZIGKEIT aushalten. Warum muss eigentlich in meinem Leben immer alles so kompliziert sein? Warum kann ich nicht wie andere auch in einer Familie leben, in der Dad bei seinen Freunden die Fotos auf den Tisch knallt, frei nach dem Motto ›Mein Haus, mein Auto, mein Labrador, meine Familie‹. Von mir aus auch in umgekehrter Reihenfolge. Aber nein, ich hab natürlich das Pech – nicht nur in meinem saublöden Nachnamen, nein, ich ziehe es auch noch an. Reingeboren in eine Loserfamilie ohne das klitzekleinste bisschen Aussicht auf Besserung. Boah, ich bin jetzt todmüde. Gute Nacht, liebes Tagebuch – ich hau mich hin.
Deine Lykke, die alles satthat.
12. Marie Goldt
(Mittwoch, 16. November 2011)
»Bist du Marie?«, fragte ein elfenhaftes Wesen, das über den dunklen Dielenboden von Traumzeit zu schweben schien. »Ja, genau«, antwortete ich und sah mich erwartungsvoll um. Der Laden wirkte gemütlich, aber gleichzeitig klar und aufgeräumt. »Nives ist noch in einer Sitzung, aber ich soll dir ausrichten, dass sie sich sehr auf deinen Besuch freut. Magst du schon einen Tee oder willst du dich lieber erst einmal umschauen? Ich heiße übrigens Niki.«
»Was für Sitzungen sind das denn?«, erkundigte ich mich neugierig. Traumzeit war auf den ersten Blick ein normales Fachgeschäft für alles rund um das Thema Bett, also Matratzen, Lattenroste, Gestelle, Bettwäsche.
Niki rollte ihre großen strahlend blauen Augen, die mit schwarzem Kajal umrandet waren. Unter den unteren Lidrand hatte sie sich eine extra Reihe Wimpern gemalt und eine silberne Perle angeklebt. »Nichts Besonderes, nur ein bisschen Leute verhexen«, antwortete Niki und legte beim Lächeln eine Reihe schneeweißer Zähne frei. Ihren oberen Schneidezahn zierte ein glitzernder Stein.
»Und das kann sie wirklich gut!«, bestätigte ein Typ, der gerade aus dem hinteren Teil des Raums auftauchte. Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, warf seine Lederjacke über die Schulter und verließ dann mit einem lässigen »Schönen Nachmittag, Ladys« den Laden. »Das war übrigens Dylan O’ Noonan«, erklärte Niki und schaute ihm versonnen hinterher. »Er ist Ire und Nives’ Hexenkünsten verfallen wie kein Zweiter.«
»Papperlapapp, Hexenkünste! Was redest du denn schon wieder für einen Unsinn, Niki? Du verschreckst Marie«, wies Nives Hulda, die nun ebenfalls zu uns getreten war, ihre Mitarbeiterin sanft, aber bestimmt zurecht. »Es tut mir leid, dass meine Sitzung länger gedauert hat, aber Veränderungen brauchen eben ihre Zeit. Alles dauert so lange es dauert!«
Ich verkniff mir ein Grinsen, weil der letzte Satz auch aus dem schier unerschöpflichen Zitaten-Schatzkästchen von Dr. Willibald Hahn hätte stammen können.
»Aber nun komm mal mit Marie, Niki schafft das hier auch allein, nicht wahr?«
»Aber klar doch, Boss, auch wenn ich nichts gegen ein bisschen Hilfe einzuwenden hätte. Die Biberwäsche-Muttis sind wieder im Anmarsch, und um dieser Invasion standhalten zu können, braucht man Nerven wie Drahtseile.« Nives hob ihre linke Augenbraue: »Halt dich mal ein wenig mit deinen bissigen Kommentaren zurück. Diese Muttis zahlen dir immerhin dein Gehalt«, entgegnete sie und dirigierte mich in Richtung Hintertür, aus der vorhin der Ire gekommen war.
Wir betraten ein Treppenhaus, das ich in dieser Form nicht erwartet hätte. Es stand in einem krassen Gegensatz zu dem rot geklinkerten Fabrik-Design, das den Charakter des Ladens ausmachte. Von einem Moment auf den anderen eröffnete sich mir eine vollkommen andere, verzauberte Welt, die sehr an eine Puppenstube erinnerte. Unter unseren Schritten knarzte das morsche Holz der Treppenstufen. Ein schmuckvolles Geländer aus angelaufenem Metall führte einen nach oben. Die Wände waren grob verputzt und mit hölzernen Ornamenten verziert, die wie Fachwerk-Architektur wirkten. Das hier ist wie eine dieser Matrjoschka-Puppen, in deren Bauch endlos viele andere versteckt sind, dachte ich und folgte meiner Gastgeberin zahllose Treppenstufen hinauf. Schließlich öffnete sie im dritten Stock eine schwere, schmiedeeiserne Tür und bat mich herein. Auch hier empfing mich eine Atmosphäre, die man niemals hinter einer modernen Großstadtfassade vermutet hätte. »Willkommen in meiner eigenen, kleinen Welt«, sagte Nives Hulda und deutete mit einladender Geste auf einen mit kostbarem Brokatstoff überzogenen Lehnsessel. »Möchtest du Himmelzauber-Tee oder hast du Lust auf heißen Holundersaft?«
Ich stutzte angesichts der Vorschläge.
Wer war diese Frau?
»Der Tee klingt gut«, antwortete ich und schaute mich im Wohnzimmer um, während Nives Richtung Küche verschwand.
Schräg gegenüber stand ein blank polierter pechschwarzer Flügel. An den Wänden hingen alte Ölbilder mit unterschiedlichen Wolken- und Berglandschaften. In einem antiken gusseisernen Ofen knisterte ein gemütliches Feuer, das dem ganzen Raum eine weihnachtliche Atmosphäre gab. »Sieht ein bisschen aus wie im Museum, nicht wahr?«, lachte Nives und stellte ein Tablett auf den flachen Couchtisch vor mir. Sie schenkte den Tee aus einer Kanne aus hauchdünnem chinesischem Porzellan ein, reichte mir braunen Kandis mit einer Zuckerzange und deutete auf die voll beladene silberne Etagere, auf der sich verschiedene Köstlichkeiten türmten. »Hattest du schon mal die Chance, einen richtigen Afternoon-Tea zu zelebrieren?«, fragte meine Gastgeberin schmunzelnd und setzte sich mir gegenüber. Ich beäugte die randlosen Sandwiches, Früchtekuchen und brötchenartigen Teilchen. Das meiste davon hatte ich noch nie gesehen.
»Das sind Scones«, erklärte Nives. »Man isst sie am besten mit clotted cream und meiner selbst gemachten Erdbeermarmelade.«
»Ich habe weder Scones gegessen, noch war ich jemals in England. Aber ich würde gerne mal hinfahren, besonders nach London. Die Tate Gallery würde ich gerne sehen – und Stonehenge!«
»Und was hindert dich daran, das zu tun?«, fragte Nives lächelnd, während sie einen Scone teilte und dick mit Rahm bestrich. »Meine Stiefmutter ist zurzeit leider arbeitslos und ich habe gestern im Affekt meinen Aushilfsjob in einer Bäckerei gekündigt. Wenn wir also nicht von der Schule aus so etwas unternehmen, wird das in nächster Zeit wohl eher nichts«, erklärte ich und griff nach einem Sandwich mit