Goldmarie auf Wolke 7. Gabriella Engelmann

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Goldmarie auf Wolke 7 - Gabriella Engelmann

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Mal hin, weil ich es kaum glauben konnte. Noch nie hatte ich einen solchen Farbenteppich gesehen: Zartrosa, Pink, Flieder, Rubinrot, Orange – all diese Töne mischten sich zu einem flirrenden Lichterspiel. »Wenn Frau Holle Brot backt, flammt der Himmel rot«, sagte ein alter Mann mit Augenklappe, den ein strenger Geruch von Whiskey, Zigaretten und schmutziger Wäsche umwehte. Er stellte sich dicht neben mich, um das Schauspiel zu betrachten. Ich zuckte zusammen, denn der Alte sah etwas Furcht einflößend aus. Um diese Uhrzeit wankten zwar noch einige Nachtschwärmer über die Reeperbahn, aber insgesamt war es trotzdem ziemlich leer. Hilfe suchend schaute ich mich um. »Brauchst keine Angst vor mir zu haben, Mädchen«, lachte der Mann und rückte wieder von mir ab. »Ich gehe gerade mit Herrn Hund Gassi und hatte Lust, mich mal wieder mit einem jungen Menschen wie dir zu unterhalten. Du scheinst anders zu sein als die anderen, die gar nicht mitbekommen, wenn der Himmel ihnen ein so schönes Geschenk macht. Dazu sind sie viel zu sehr mit diesen Dingern im Ohr beschäftigt oder mit dem Kaffee, den sie mit sich herumschleppen. Oder sie tippen auf ihren Telefonen herum, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Also nichts für ungut, ich geh dann mal wieder.« Zusammen mit dem Schäferhund, dessen Schnauze bereits ergraut war, schlurfte er davon und war kurz darauf aus meinem Blickfeld verschwunden. Sofort überfiel mich ein schlechtes Gewissen. Hatte Papa nicht immer gesagt, dass ich mich nicht an Äußerlichkeiten orientieren und stattdessen den Menschen in die Augen – und damit in ihre Seelen – schauen sollte? Aber hatte er nicht ebenfalls betont, dass neben Vertrauen auch ein gesundes Misstrauen wichtig sei?!

      Gedankenverloren ging ich weiter und musste schließlich lachen: Herr Hund, was für ein großartiger Name für dieses wolfsähnliche Tier …

      In der Schule lief alles wie immer. Julia war aufgedreht und schaute andauernd in ihren Taschenspiegel. »Du siehst super aus, André wird deinen Look lieben«, versicherte ich ihr wie beinahe jeden Tag, seit André Derrain aus Paris aufgetaucht war, um der Reihe nach die Herzen aller Mädels unseres Gymnasiums in Flammen zu setzen. Bislang hatte noch keine das Vergnügen gehabt, mit dem französischen Neuzugang verabredet zu sein. Jede noch so smarte Flirtoffensive prallte an ihm ab. Nur Julia war im Besitz seiner Handynummer und hatte ein Date für Freitagabend. »Oder sehe ich doch zu kindlich aus?«, fragte sie jetzt und schaute verunsichert an ihren bestrumpften Beinen und dem ultrakurzen Schottenrock herunter. Obenrum trug sie eine weiße Bluse und eine knallrote Krawatte, an den Füßen College-Schuhe. Ein energisches »Guten Morgen!« aus Herrn Schneiders Mund beendete das Thema und ab da waren wir beide vollauf damit beschäftigt, uns auf Sozialkunde zu konzentrieren. Oder beziehungsweise ich war damit beschäftigt. Julia zubbelte so lange an ihrer schwarzen Wollstrumpfhose herum, bis sie eine Laufmasche hatte. »Na toll. Jetzt kann ich direkt heimgehen«, murmelte sie und ich grinste still in mich hinein. Jeder, der Julia kannte, wusste, dass sie nie das Haus verließ, ohne ein Paar Reservestrümpfe und andere Notfallutensilien dabeizuhaben. Weshalb ihre Taschen auch immer die Größe eines Kleiderschranks hatten.

      »Frau von Menkwitz, alles in Ordnung bei Ihnen? Sitzt das Haar heute nicht, oder haben Sie versehentlich den falschen Lippenstift aufgetragen?«, fragte Herr Schneider in eisigem Tonfall.

      Unser Sozialkundelehrer hatte Julia auf dem Kieker, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, und ließ keine Gelegenheit aus, um sie das spüren zu lassen.

      »Herr Schneider …«, begann Julia und setzte sich kerzengerade hin. OMG – was hatte sie denn jetzt vor?! »Sie unterrichten doch Sozialkunde, nicht wahr?« Der Lehrer nickte irritiert, alle Mitschüler hielten den Atem an. Es war so still im Klassenraum, dass man eine Fliege surren hörte. »Finden Sie es denn besonders sozial, wenn Sie mich hier auf eine so persönliche Weise vorführen?«

      Krabummm lag meine Federtasche auf dem Boden und ich wurde feuerrot. Auch Herr Schneider mutierte augenblicklich zum Feuerlöscher und ich sah seine Halsschlagader pochen. Die Sekunden, die nun folgten, erschienen mir wie Minuten – wenn nicht gar Stunden. Noch immer war es totenstill und ich wagte nicht, das Täschchen aufzuheben. In meiner Fantasie wurde Julia zum Direktor zitiert, flog von der Schule, bekam daraufhin keinen Ausbildungsplatz, demzufolge auch keinen Job und endete in kläglicher Armu. . . »Sehr gut gekontert, liebe Julia, Hut ab«, lachte da Herr Schneider plötzlich schallend los. Er kriegte sich gar nicht wieder ein, sodass wir alle mit einfielen. Alle, außer Julia, die jetzt guckte wie ein Auto. Nur wer sie so gut kannte wie ich, nahm den feinen Schweißfilm wahr, der sich auf ihrer Oberlippe gebildet hatte, ein untrügliches Zeichen für Angst.

      »Da hast du ja noch mal Glück gehabt«, wisperte ich, als die Stunde zu Ende war, und wir unsere Sachen packten, um zum Chemielabor zu gehen. »Das kannst du laut sagen«, japste Julia und folgte mir. »Einen kurzen Moment lang dachte ich, das war’s – jetzt gibt’s richtig Ärger. Aber andererseits fand ich, dass es an der Zeit war, dem Schneider mal zu zeigen, was Sache ist. Schließlich habe ich weder den Unterricht gestört noch sonst was Schlimmes gemacht. Das bisschen Quatschen kann er mir nun echt nicht vorwerfen! Und ich habe nicht vor, den Rest meiner Schulzeit dafür zu büßen, dass er irgendeinen Komplex gegenüber Leuten hat, die besser gestellt sind als er.«

      »Klingt gut!«, ertönte es auf einmal neben uns.

      »André, da bist du ja«, säuselte Julia und schenkte ihm ihr bezauberndstes Lächeln. Ich ging ein paar Schritte schneller, um die beiden alleine zu lassen. »Du musst nicht davonlaufen, Marie«, grinste André und sah dabei so umwerfend aus, dass ich Julia einen Moment lang verstehen konnte, auch wenn der Franzose an sich nicht mein Typ war. Er war mir eine Spur zu glatt, zu gut angezogen, zu sehr Pariser Charmeur, zu sehr Klischee. Ich mochte es lieber, wenn jemand durch und durch echt war, ein bisschen edgy. Lieber Ecken und Kanten als langweilige Perfektion.

      Ich war deshalb leider auch sehr wählerisch und überlegte es mir immer dreimal, ob ich mich in irgendetwas hineinstürzte oder nicht.

      »Halt, stopp, warte auf mich!«, rief Julia lautstark über den Gang, ihr Tête-à-tête war an unterschiedlichen Unterrichtsplänen gescheitert. André war zwei Jahrgänge über uns und ging demzufolge nicht in unsere Kurse.

      »Ich bin ja so was von aufgeregt«, zwitscherte Julia, offenbar war der Zwischenfall mit Schneider bereits Schnee von gestern.

      Im Augenblick gab es nichts Wichtigeres als das, was André gesagt, oder nicht gesagt hatte. Jede noch so kleine Silbe wurde gedreht, gewendet, aufwendig analysiert und kommentiert. Julias ganzes Glück hing von dem morgigen Date ab. Ich hoffte und betete, dass am Freitag auch wirklich alles glattging und ihre Wünsche sich erfüllten, denn so verknallt hatte ich sie noch nie erlebt.

      Ob ich mich wohl auch endlich mal verlieben würde?

      Oder gab es diesen einen, von dem ich manchmal heimlich träumte, am Ende gar nicht?

      7.

      Die Feenkönigin schüttelte ungläubig den Kopf, als Delba, eine der Holden, ihr zuflüsterte, Meteorologen hätten gerade den härtesten Winter seit über hundert Jahren prophezeit. »Ach was wissen die denn schon?«, rief sie aus und blickte über die schneebedeckten Bergkuppen, die unter ihrem Blick zu schmelzen begannen. Jetzt sah es so aus, als würden die Berge weinen. »Die Menschen und ihre statistischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Hat denn keiner von ihnen mehr ein Gespür für die Natur? Haben die denn alle verlernt, die Zeichen zu lesen, die ich ihnen schicke?«

      Müde sah sie den Zugvögeln hinterher, die ihre lange Reise in den Süden antraten. Sie lauschte dem Lied des Herbstwindes, der energisch an den Ästen der Bäume rüttelte und rot-goldenes Laub auf den Boden regnen ließ. Sie beobachtete Spinnen, die emsig ihre Netze woben, so zart und fein wie seidene Schleier. Schmetterlinge versuchten, sich vor den sinkenden Temperaturen ins Warme zu flüchten. Spät blühende Rosen reckten ihre Blütenköpfe nach den letzten Sonnenstrahlen, die der Herbst über das Land schickte.

      Delba beobachtete die Königin mit Sorge.

      Schon

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