Goldmarie auf Wolke 7. Gabriella Engelmann

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Goldmarie auf Wolke 7 - Gabriella Engelmann

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gurrte eine kleine Melodie - und verschwand schließlich aufgeregt flatternd in der Tiefe des Brunnens, auf dem Weg zur Anderswelt.

      Am Ende dieser magischen Reise ging erneut eine seltsame Verwandlung vor sich: Das glänzende Gefieder wich einem silbern schimmernden Kleid, seine Vogelkrallen wurden von purpurfarbenen Schnürstiefeln umhüllt, der feste Schnabel verwandelte sich in samtig rote Lippen.

      Die Feenkönigin legte den über alles geliebten schwarz-weiß gemusterten Schal um die Schultern und schaute sich um. Vor ihr lag eine Blumenwiese, wie sie schöner nicht hätte sein können. Vögel zwitscherten, Insekten surrten und Marienkäfer krabbelten über sattgrünes Blattwerk.

      Die Fee ließ ihren königlichen Blick über Bergkämme, Talmulden, sanft plätschernde Bächlein, Waldlichtungen und stolze Baumkronen schweifen, bis hin zu dem Berg im Tessin, von wo sie stammte.

      »Ich grüße euch, meine Lieblinge«, murmelte sie, raffte die Röcke und begann ihren täglichen Spaziergang. In der Hand hielt sie das goldene Bänkchen, das ihr wertvolle Hilfe leistete, wenn sie müde wurde. Wo auch immer ihre Füße den Boden berührten, wurde das Gras grüner, entfalteten die Blumen größere und schönere Blüten. An den Bäumen reiften Früchte, die nur darauf warteten, sie mit ihrer saftigen Süße zu verwöhnen. Schneefelder schmolzen, wenn der Schnürstiefel auf Eiskristalle traf, scharfer Nordwind wich im Handumdrehen einer milden Brise, die das Bukett von wilden Rosen mit sich trug. Die Königin pflückte einen rot glänzenden Apfel, und biss voller Genuss hinein. Angelockt vom Duft frisch gebackenen Brotes ging sie schließlich weiter und grüßte die Holden, bezaubernde Priesterinnen, die dafür sorgten, dass es den Menschen auf der Erde an nichts fehlte. Wenn zum Beispiel irgendwo auf der Welt Regen benötigt wurde, dann wuschen sie Wäsche – und die Menschen sagten: »Seht nur, heute hat Frau Holle Waschtag!«

      Wenn die Kinder voller Sehnsucht auf Weihnachten warteten und darauf, endlich einen Schneemann bauen zu können, befahl die Königin den Holden, die Betten kräftig aufzuschütteln, damit es auf der Erde schneie.

      Nur eines tat sie ausschließlich selbst – denn das war der größte Schatz, den sie zu geben hatte: Wenn die Menschen sich nach einem langen, harten Winter nach Wärme und Licht sehnten, öffnete die Feenkönigin mithilfe ihres schmiedeeisernen Schlüssels höchstpersönlich das Wolkentor und ließ die Sonne hinaus in die Welt. Dann sangen die Menschen wunderbare Lieder, lachten und tanzten und riefen trunken von Glückseligkeit: »Die Sonne scheint! Frau Holle trocknet heute ihre Wäsche …«

      1. Marie Goldt

      (Montag, 7. November 2011)

      »Kommst du nach der Schule noch mit zu mir?«, fragte Julia, während ich die Schnürsenkel meiner Turnschuhe auseinanderfriemelte und mich ärgerte.

      Sport gehörte ebenso wenig zu meinen Talenten wie Tontaubenschießen oder Bungeejumping – und war mindestens genauso widerlich! Gerade hatte ich wie ein schlaffer Mehlsack am unteren Drittel des Taus gehangen, unfähig, mich auch nur einen Millimeter weiter nach oben zu hangeln. »Geht heute leider nicht, muss doch arbeiten«, antwortete ich und stopfte die Schuhe in meinen Rucksack. »Ach stimmt, heute ist ja Montag!« Julia tippte sich mit einem ihrer langen, zartgliedrigen Finger gegen die Stirn. Wie immer bewunderte ich ihre perfekt manikürten Nägel, die sie in einem hellen Rosé-Ton lackiert hatte. »Ich bin nach diesem super Wochenende noch so auf Autopilot, dass ich heute irgendwie gar nichts auf die Reihe kriege.«

      »Am Seil sah das aber gerade ganz anders aus. Meine Bewunderung für deine sportlichen Fähigkeiten kennt keine Grenzen«, grinste ich und stand auf. Wenn ich mich nicht beeilte, würde ich zu spät zu meiner Schicht kommen. »Sollte es mit meiner Karriere als Anwältin nicht klappen, kann ich es immer noch mit Pole Dance versuchen«, lachte Julia und schnappte sich ebenfalls ihre Sachen. Im Gegensatz zu mir verstaute sie die in einem rosa-lila karierten Teil der Marke Billabong, weil bei Familie von Menkwitz das Surfen als Freizeitbeschäftigung gerade ganz hoch im Kurs war. Seite an Seite trabten wir über den Schulhof zu unseren Rädern, die nebeneinanderstanden. »Hast du Lust, heute Abend vorbeizukommen? Ma kocht ihre berühmte Kürbis-Ingwer-Suppe und danach gibt’s Dampfnudeln mit Vanillesoße.« Ich überlegte. Die Bäckerei schloss um sieben. Doch selbst wenn ich mich beeilte, würde ich nicht vor halb acht bei Julia sein können.

      »Tut mir leid, ich würde euch wirklich gern besuchen. Aber ich muss nachher unbedingt noch was für Latein machen. Ein anderes Mal, okay?« Julia zog einen Flunsch. »Finchen wird enttäuscht sein, sie hat dich schon so lange nicht mehr gesehen. Und Mama hat auch schon gefragt, ob wir uns gestritten haben.«

      Ein feiner Stich fuhr mir ins Herz. Im Gegensatz zu meiner Mutter interessierte sich Gesa von Menkwitz für ihre Tochter und somit auch für deren Freundinnen. Aber sie war ja auch Julias leibliche Mama, was bei Kathrin nicht der Fall war.

      Sie war nur meine Stiefmutter. Von meiner »echten« fehlte, seit ich drei war, jede Spur. »Gib Finchen einen Kuss und sag ihr, dass wir bald was zusammen unternehmen. Sorry, Jule, ich muss jetzt wirklich los, sonst flippt die Drachenlady aus.« Die Drachenlady hieß eigentlich Ludmilla Drach, sah aber so aus, als würde sie ihren Jahresurlaub vorzugsweise in Transsilvanien verbringen. Ihre spitzen, langen Eckzähne waren nicht nur unästhetisch, sondern konnten einem echt Angst machen. Dass ausgerechnet so jemand Bio-Backwaren produzierte, würde mir auf immer ein Rätsel bleiben.

      Eine halbe Stunde später parkte ich mein Rad im Hinterhof der Bäckerei, in der ich jobbte, seit Kathrin mich gebeten hatte, ein bisschen was zum gemeinsamen Haushalt beizutragen. Grundsätzlich hatte ich kein Problem damit – bis zu dem Zeitpunkt, als ich herausfand, dass diese Bitte sich nicht an Lykke gerichtet hatte. Lykke war meine Stiefschwester, die leibliche Tochter von Kathrin. Und für Lykke (von Jule nur die faule Socke genannt) galten grundsätzlich andere Regeln.

      Oder genauer gesagt: GAR KEINE.

      »Du bist zu spät«, stieß Ludmilla zwischen ihren vom vielen Rauchen vergilbten Zähnen hervor und kräuselte die überschminkten blutroten Lippen. Anstelle einer Antwort ging ich zum Backautomaten und befüllte ihn mit Bio-Franzbrötchen, Roggenbrot, Schrippen und was sonst noch gerade fehlte.

      Wie immer war ich zehn Minuten vor meiner Schicht da, wo also war das Problem?

      Ludmilla streifte die Einweghandschuhe ab und nahm ihren schwarzen, verfilzten Woll-Poncho vom Garderobenhaken. Mit den Worten »Dass du mir ja keine Sekunde früher als sieben Uhr abschließt« verließ sie den Laden. Eine Wolke von schwerem Billigparfüm hing in der Luft und drohte einen kurzen Moment lang, mich zu ersticken.

      »Moinsen«, schallte es da fröhlich durch den Raum und ich blickte erfreut in die blitzblauen Augen von Knud, der direkt nebenan seinen Kiosk hatte. »Na Knud, alles klar?«, fragte ich und nahm gewohnheitsmäßig seinen Becher mit dem Logo Hamburg, meine Perle entgegen. Dann stellte ich ihn unter unsere Kaffeemaschine. »Ja, alles klar. Es gibt allerdings eine kleine Planänderung: Heute nehme ich eine Zimtwecke anstelle der üblichen sechs Quarkbällchen.«

      »Huch? Was ist passiert? Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich, weil Knud, seit ich hier jobbte, jeden Tag dasselbe bestellte. »Man muss sich ab und an auch mal ’n büschn Abwechslung gönnen«, antwortete er und grinste. Zumindest nahm ich das an. Der silbergraue Vollbart verdeckte seine Lippen fast komplett, sodass ich mir nicht wirklich sicher sein konnte. »Ich dachte, es sei schon Aufregung genug für dich, dass St. Pauli abgestiegen ist und jetzt in der Zweiten Liga spielt«, rutschte es mir spontan heraus. Upps! Knud war der größte Fan des Hamburger Fußballvereins, den ich kannte.

      »Nu werd mal nich’ frech, du kleiner Keks«, antwortete er und drohte mit dem Zeigefinger. »Bloß weil du fast siebzehn bist, heißt das noch lange nicht, dass du mit einem alten Herrn wie mir Scherze treiben darfst. Du weißt doch, dass ich

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