Die Buchwanderer. Britta Röder
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„So nennt mich Benvolio, den Freund Ronaldos. Denn wo man einen Freund hat, wird man als Fremder zum Gast erhöht.“
Noch während dieser Rede hatte sich Benvolio mit starkem Griff eingehakt, war vom belebten Marktplatz in eine ruhigere Straße eingebogen und führte nun Ron zu einem kleinen hübschen Platz, auf dem ein blumengeschmückter Brunnen klares Wasser spendete und mit seinem kühlenden Geplätscher eine benachbarte Taverne höchst musikalisch unterhielt. Sie setzten sich gegenüber an einen der Tische.
„Bringt vom besten Wein! Und das beste Essen, das Ihr heute zu bieten habt, für meinen Freund hier.“
Eiligst kam der geschäftstüchtige Gastwirt angetrabt und rannte sogleich wieder davon, kam zurück mit einem riesigen Tonkrug von kühlem roten Wein, hüpfte wieder davon, brachte frisches, noch warmes Brot und versprach mit der unterwürfigen Beflissenheit eines Mannes, dem das Schicksal einen spendierfreudigen Auftraggeber zugespielt hatte, in der Küche auf besondere Eile zu drängen.
Ron, der seit Stunden nichts gegessen hatte, bemerkte nun, wie hungrig er war. Ein weiteres Indiz dafür, dass dies kein Traum sein konnte. Und auch die leicht berauschte Stimmung, in die ihn der Wein auf nüchternen Magen nach dem ersten kräftigen Schluck versetzte, war ihm ein deutliches Zeichen dafür, dass er weiterhin den Gesetzmäßigkeiten der Realität unterworfen war. Er nahm sich vor, erst auf das Essen zu warten, um eine Grundlage zu schaffen.
Zufrieden betrachtete er seinen Gastgeber. Sein Gegenüber war jung, aber nicht mehr jugendlich. Sein schmales Gesicht trug einen sehr gepflegten, kurz geschnittenen schwarzen Bart, der das hell aufblitzende häufige Lachen vorteilhaft betonte. So kräftig und drahtig er im Kampfgeschehen gewirkt hatte, so schlank und besonnen war jetzt seine Erscheinung. Im Selbstbewusstsein seines edlen Standes war er es gewohnt, sich vornehm zurückzuhalten ohne dabei seiner angenehmen Präsenz etwas von ihrer gewinnenden Wirkung zu nehmen. Es fiel Ron nicht schwer, ihn auf den ersten Blick zu mögen und ihm zu vertrauen.
„Sagt, Ronaldo, was führt Euch in unsere schöne Stadt?“, begann Benvolio das Gespräch, nachdem der Wirt sich ins Haus zurückgezogen hatte.
„Das ist schwer zu sagen“, seufzte Ron und fuhr sich mit einer nachdenklichen Geste an seinen neuen Bart. „Ich glaube, ich bin hier wegen einer Frau.“
„Ach, mein Freund“, Benvolios Miene verdunkelte sich mitfühlend als spräche er mit einem Kranken. „Ihr seid verliebt?“
„Verliebt? Es muss wohl so sein. Sonst wäre ich nicht hier.“ Die Einsicht, das Opfer eines ebenso seltsamen wie mächtigen Zufalls geworden zu sein, trübte Rons Stimmung schlagartig.
Benvolio, der seinen neuen Freund nicht so mutlos lassen wollte, erhob eilig seinen Becher.
„Dann trinken wir auf die baldige Erfüllung Eures Liebesglücks.“
Doch Ron fehlte die rechte Überzeugung den Trinkspruch zu erwidern.
„Mein Liebesglück? Dazu müsste ich sie erst einmal finden. Ja, ich müsste erst einmal wissen, wer sie überhaupt ist.“
Benvolios sehnige Rechte umschloss mit zuversichtlichem Druck Rons Arm. „Wenn sie hier in Verona ist, dann werden wir sie finden. Glaubt mir, ich kenne mich aus mit den Schönen dieser Stadt.“
Der Wirt brachte Teller, Besteck, riesige Schüsseln mit gut gewürztem Fleisch und delikaten Saucen, in die Benvolio genüsslich das frische Brot tunkte, ehe er es sich in den Mund steckte. Das Essen war vorzüglich und mit dem guten Gefühl eines satten Bauches empfand sich auch Ron bald wieder in seiner Zuversicht gestärkt.
„Seht Ihr, Ronaldo, das Schicksal meint es gut mit Euch. Als Fremder kamt Ihr in die Stadt auf der fast aussichtslosen Suche nach einer schönen Unbekannten. Nun seid Ihr Gast in Verona, fandet einen treuen Freund, habt wohl gespeist und auch die Schöne werdet Ihr bald wiedersehen. Ja, ich glaube, ich kann es Euch fast sicher versprechen.“
Beherzt lachte Benvolio über Rons überraschte Miene. Kopfschüttelnd schob er die leeren Teller zur Seite und näherte sich über den Tisch gebeugt verschwörerisch Rons ungläubigem Gesicht.
„Ihr erinnert mich an meinen Freund Romeo. Ihr solltet, ja, Ihr werdet ihn sicher bald kennenlernen. Ein guter Mann. Eine Seele von einem Mann. Und ein Mann mit verletzter Seele. Auch ihn traf Amors Pfeil.“
„Romeo? Ihr seid ein Freund Romeos?“
Sofort waren Fiktion und Realität wieder zu einem dichten Nebel verwirbelt, der Rons Sinne taumeln ließ. Gerade erst hatte er kurz die Sicherheit gespürt, einen festen Weg gefunden zu haben, der es ihm erlaubte, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Nun schwand ihm wieder der Boden unter den Füßen.
„Ihr kennt Romeo bereits?“ Benvolios Überraschung war voller Freude.
„Oh nein, ich kenne ihn nicht, leider, noch nicht“, bemühte sich Ron, die Sache klarzustellen. Er wollte den vorgegebenen Ablauf der Handlung nicht behindern. Hoffentlich hatte er nicht schon viel zu viel durcheinandergebracht. „Ich hörte nur von ihm und seiner traurigen Liebesgeschichte“, fügte er voreilig hinzu und bereute bereits diesen letzten Satz, kaum dass der Ton seiner Stimme verklungen war. Wie unvorsichtig von ihm, das tragische Ende vorweg auszuplaudern, ohne den genauen Stand der Handlung zu kennen.
Aber Benvolio schien keine Ungereimtheiten in Rons Rede bemerkt zu haben und nickte nur traurig.
„Ja, die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern. Doch Romeo will einfach nicht zur Vernunft kommen und von Rosalia lassen.“
„Rosalia?“
„Die schöne Rosalia. Schön und kalt zugleich. Man sagt, sie schwor der Liebe ab und nun ist dieses Gelübde der Tod für meinen Freund Romeo, der sie so sehr liebt und so sehr deswegen leidet.“
„Sie schwor der Liebe ab?“
„Und nun spielt sie mit Romeo. Wie sie zuvor auch mit den Herzen anderer
Verehrer spielte. Die glühende Bewunderung eines Mannes, die verzehrende Leidenschaft eines brennenden Herzens, die blinde Gefolgschaft einer Seele, das alles zählt ihr nichts. Sie lacht nur und vergrößert dadurch die gefährliche Waffe ihrer Schönheit, um damit ihr nächstes Opfer zu vergiften.“
„Wow“, gab Ron beeindruckt von sich.
„Weib?“ Benvolio hatte sich so in Rage geredet, dass er Ron nur mit halbem Ohr zuhörte. „Ja Weib! Da habt Ihr recht, Ronaldo. Ein Weib, wie es im Buche steht. Und noch viel mehr, das ist sie.“
Rons nachdenkliches Schweigen erinnerte Benvolio daran, dass er eigentlich seinem neuen Freund versprochen hatte, ihm bei der Suche nach der schönen Unbekannten zu helfen.
„Der gleiche Weg, der Romeo heilen wird, wird auch Euch die passende Medizin zuführen“, zwinkerte er listig. „Wollt Ihr meinen Plan hören?“
Ron nickte.
„Also hört, mein Freund. Durch Zufall erfuhr ich von einem Fest, das heute Abend im Hause der Capulets gegeben wird. Der halbe Adel dieser Stadt wird dort zusammenkommen. Denn wie Ihr sicher schon bemerkt habt, ist die Stadt durch eine Fehde in zwei Parteien gespalten. Das Haus des reichen Capulet ist das Haupt der einen Partei. Die andere Seite, das sind wir, die Familie Montague. Doch das tut nichts