Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit. Abraham Ehrlich

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Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit - Abraham Ehrlich

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      „Religion“, „Wissenschaft“, „Erkenntnis der Wirklichkeit“: Hier handelt es sich also nicht bloß um „lokale“, „punktuelle“ Verhältnisse, sondern buchstäblich um das Ganze: Nur vor dem Hintergrund der Wirklichkeit als Ganzes lässt sich auf eine sinnvolle Weise nach dem Zusammenhang der obengenannten „Faktoren“ fragen. Das kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass alle drei den gleichen Anspruch haben: Dass die Gültigkeit ihrer Aussagen in der Wahrheit begründet sein muss, was nichts anderes als ihren Wirklichkeitsbezug bedeutet.

      Genau darin besteht der Zusammenhang mit der Art des Mensch-Seins namens „Aufgeklärt-Sein“ und mit der zum Ausdruck kommenden Mündigkeit des Einzelmenschen. Es gibt vermutlich keinen anderen Bereich als die Religion, wo dieser Aufruf zur Aufklärung und zur Mündigkeit immerwährend aktuell ist. Aber dazu später.

      3. Wenn von Erkenntnis die Rede ist, so ist zu bemerken, dass die einzige Erkenntnisart, die von jeglichem Wirklichkeitsbezug frei ist, die mathematische ist. Die Tatsache, dass gerade die Mathematik als das geeignete Ausdrucksmittel zur Formulierung der Erkenntnisse der Natur – musterhaft in der Physik – gilt, will zunächst nur sagen, dass das mathematische Mittel einzig und allein dazu geeignet ist, physikalische Erkenntnis-Bestimmungen wie auch die Folgerungen aus solchen Bestimmungen quantitativ darzulegen: Dadurch werden nur und ausschließlich physikalische Bestimmungen der Natur zum Ausdruck gebracht, nicht aber eigentümliche mathematische Betrachtungen und Erwägungen. In der Mathematik werden abstrakte mathematische Objekte definiert, wobei ihr Verhalten in bestimmten Zusammenhängen wie auch die Folgen daraus betrachtet werden. Die Entsprechung solcher Bestimmungen zur realen, materiellen physikalischen Welt ist gar nicht angestrebt und ist vollkommen irrelevant.

      In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, zwischen „logisch“ und „rational“, „logischem Denken“ und „rationalem Denken“ zu unterscheiden. Logisches Denken ist ein inhaltleeres, formales Denken. Dadurch zeichnet es sich aus: sein formaler, inhaltleerer Charakter kommt in der Eindeutigkeit und Endgültigkeit seiner Bestimmungen zum Ausdruck. Im Unterschied dazu ist ein rationales Denken ein durch konkreten Inhalt bestimmtes Denken. Formal-logische Aspekte sind zwar vorausgesetzt - es ist eben Denken; aber die Rationalität der inhaltlichen Bestimmungen besteht in der Sachlichkeit, der Stimmigkeit und der Begründbarkeit des Inhalt-Zusammenhangs dieser Bestimmungen.

      Die Tatsache, dass die Mathematik das geeignete, ja das einzig richtige Ausdrucksmittel der physikalisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse darstellt, bedarf einer gründlichen Betrachtung; diese Tatsache ist aber ihrem Wesen nach weder eine mathematische noch eine physikalisch-naturwissenschaftliche Angelegenheit, sondern eine eigentümlich philosophische. Damit werden wir uns später ausführlich befassen.

      4. Wenn von den Ausdrücken „Religion“, „Wissenschaft“ und „Erkenntnis der Wirklichkeit“ die Rede ist, so müssen wir uns darüber im Klaren sein, worauf sie sich sinnvoll beziehen können. Die Motivation zur erkenntnismäßigen Betrachtung der Wirklichkeit beginnt mit der Tatsache, dass eine Person der Welt gegenüber steht, wobei ihr Bewusstsein von einer Kluft zwischen ihr und der Welt stark geprägt ist. Auch Erfahrungen von unterschiedlichen Sinnestäuschungen wie auch fehlerhafte Beurteilungen angesichts angeblich klarer Sinneswahrnehmungen erzeugen das Bedürfnis, die wirkliche Welt auf eine gültige Weise zu erkennen. Hier ist also von dem erkennenden Subjekt und von der Wirklichkeit die Rede, die alles umfasst, was Bestand und Bedeutung hat. Das heißt, alles, was da ist, kann nur im Rahmen der Wirklichkeit und vor ihrem Hintergrund als das, was es ist, verstanden werden.

      Die Religion erhebt den Anspruch, sich auf die gesamte Wirklichkeit zu beziehen, nicht jedoch als Wirklichkeitslehre oder als eine Art Erkenntnistheorie. Ihr geht es in erster Linie und vor allen darum, den Menschen zu einer aktiven Orientierung in der Welt als Schöpfung Gottes zu bewegen und ihn dabei konkret zu leiten und zu führen. Dafür gibt ihm die Religion die ihr angemessenen Maßstäbe und Normen, die ihm die konkrete Lebensführung auf eine umfassende Weise ermöglichen.

      Das Erlangen von Wissen bezüglich des konkreten Wirklichkeitsgehalts ist Aufgabe der unterschiedlichen Wissenschaften, die in „Sachbereiche“ differenziert sind. Auch die Sachbereiche selbst differenzieren sich immer weiter. Wissen im eigentlichen Sinne des Wortes kann nur im begrenzten Maß erlangt werden, was jedoch auf gar keinen Fall die Abwertung der Bedeutung der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit ist, die sachlich nicht immer gleich als Wissen im eigentlichen Sinne dargestellt werden können. Oft ist von „Erkenntnisstand“ die Rede, der zwar Wissenselemente enthält, aber in seinem Zusammenhang noch kein Wissen darstellt.

      Als einfaches, anschauliches Beispiel können wir die geometrische Form der Erde betrachten. Diese Form ist endgültig bestimmt, sie ist eine Tatsache der Wirklichkeit. Das ist Wissen, das wir besitzen. Und das heißt, es spielt überhaupt keine Rolle, welches kosmologische Modell aktuell vertreten wird, also um welchen Erkenntnisstand es sich handelt. Diese Form wird in jedem Fall dieselbe bleiben. Ob das geozentrische oder das heliozentrische nun das richtige ist, ist für die geometrische Form der Erde gleichgültig. Das gilt natürlich auch für die Tatsächlichkeit des heliozentrischen Weltbildes.

      In diesem Zusammenhang können wir auch den Unterschied zwischen „Wissen“ und „Erkenntnis“ feststellen. Erkenntnis bedeutet einerseits den Ergebnisstand wissenschaftlicher Untersuchungen, andererseits den Prozess der Erkenntnisgewinnung. Die Vorläufigkeit eines Erkenntnisstandes ist hier klar feststellbar. Der Prozess der Erkenntnis strebt zum Wissensgewinn. Das schon gewonnene Wissen dient als Grundlage der Weiterführung des Erkenntnisprozesses. Das Wissen ermöglicht uns, weil es nun endgültig ist, die Ableitung weiterer möglicher Erkenntnisschritte.

      Es stimmt natürlich, dass im Laufe der Entwicklung der Wissenschaft ein bestimmter, momentaner Erkenntnisstand für endgültiges Wissen gehalten wurde und wird. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlich unterschiedlichen Bedeutung von Wissen und Erkenntnis, es betont sie eher.

      Die Möglichkeit der Erlangung von Wissen hängt von der Art des Erkenntnisprozesses der Wissenschaft ab. Gemeint sind die Art des methodischen Vorgangs der Wissenschaft zur Erlangung ihrer Erkenntnisse wie auch die Möglichkeit, diese als Wissen, also als Tatsache zu bestimmen. Dabei muss betont werden, dass es keine einheitliche wissenschaftliche Methode gibt. Jeder Wissensbereich muss in der Lage sein, seine Eigentümlichkeit so zu bestimmen, dass klar ist, was überhaupt als eine eigentümliche, eigenständige Tatsache in ihm verstanden werden kann. Was kann zum Beispiel als eine geschichtswissenschaftliche, eine literaturwissenschaftliche, eine kunstwissenschaftliche Tatsache gelten? Welche besondere, eigentümliche Methode kann uns zur Möglichkeit der Erlangung von gültigen Erkenntnissen in diesen Wissenschaften führen? Bedenken wir die Zeit- und Ort-Unabhängigkeit von Wissen, welchen Grad der Gültigkeit kann die Erkenntnisse jeder dieser Wissenschaften besitzen, so dass man sinnvoll von der konkreten Möglichkeit dieser Wissenschaften reden kann, Wissen zu erlangen?

      Die Arbeitsweise der Physik als Muster einer Naturwissenschaft kann helfen, diesen Sachverhalt besser zu verstehen. Einer der wichtigsten konkreten Ausdrücke dieser Eigentümlichkeit der Physik, aber auch der Naturwissenschaft im Allgemeinen, ist die Vorhersagbarkeit: Die Möglichkeit, Naturereignisse vorherzusagen ist nicht bloß Ausdruck der Richtigkeit der Naturerkenntnis, sondern gar der Beweis dieser Richtigkeit. Einen klareren Beweis für den Wirklichkeitsbezug der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gibt es nicht! Das berechtigt uns, von Wissen im Rahmen der Naturerkenntnis zu sprechen. In keinem anderen Wissenschaftsbereich lässt sich sinnvoll von Vorhersagbarkeit sprechen.

      Die Physik kann deshalb als Vorbild der Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelten, weil uns die Gewissheit bezüglich des Wissens, das mittels der spezifischen Vorgehensweise gewonnen wird, aufgezwungen ist; darüberhinaus ist dieses Wissen auch allgemeingültig und objektiv.

      Dafür bezieht sich die physikalisch-naturwissenschaftliche Methode auf einen sehr

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