Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit. Abraham Ehrlich

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Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit - Abraham Ehrlich

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des Menschen im Besonderen.

      Diese oben genannten religiösen Tatsachen erwecken die wichtige Frage nach der Art und Weise des Lebens und des Verhaltens des Menschen in Entsprechung mit dem Göttlichen. Hier ist eine Lehre oder eine Weisheit gefragt, die diese Entsprechung regelt. Sie ist die sprudelnde Quelle von Gebeten, Ritualen, Zeremonien und Traditionen, die allesamt der Weisheit oder der Lehre gemäß das jeweilige Göttliche befriedigen und zufrieden stellen. Das erlaubt dem Gläubigen, eine gewünschte Wirkung zu erflehen und sie zu erbitten. Er muss eventuell auch mit Strafe rechnen. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft.

      2. Die Religionsform einer Religion wird durch die Art des Göttlichen bestimmt, das von den Gläubigen als solches wahrgenommen wird (monotheistische oder polytheistische Religionsform, Naturreligion, Sonnenreligion und dergleichen mehr). Gleich welcher Art das Göttliche ist, von ihm wird, wie schon oben erwähnt, einiges verlangt und erwartet.

      Vor allem muss es eine gewaltige, wirksame Kraft besitzen, also mächtig genug sein, um die Natur oder zumindest Teile von ihr zu beherrschen und in sie einzugreifen bzw. an ihnen wirksam zu werden. Dieses Eingreifen und dieses Wirken gelten selbstverständlich auch für den Menschen und für sein Leben. Mit anderen Worten: Vom Göttlichen wird unbedingt übermenschliche, wirksame Lebendigkeit verlangt, die die Welt im Allgemeinen und die Sphäre des Menschlichen im Besonderen durchdringt, beherrscht und leitet.

      Bezüglich dieses lebendigen Göttlichen lassen sich die Religionen grundsätzlich in zwei unterschiedliche Gruppen einteilen: Religionen, die das Göttliche – gleich auf welche Weise und in welcher Form – als eine innerweltliche Macht verstehen; zur zweiten Gruppe gehören Religionen, die das Göttliche als etwas verstehen, das in jeder Hinsicht und ohne Ausnahme und auf gar keine Weise mit weltlichen Kategorien bestimmt und verstanden werden kann.

      Wir haben oben betont, dass vom Göttlichen unbedingt übermenschliche, wirksame Lebendigkeit verlangt wird, die die Welt im Allgemeinen und die Sphäre des Menschlichen im Besonderen durchdringt, beherrscht und leitet. Zu den Religionen der ersten Gruppe gehören solche, die das Göttliche als eine innerweltliche Macht verstehen, gleich auf welche Weise und in welcher Form.

      Was das vom Menschen Erzeugte betrifft, gleich welcher Art und Gestalt, auch wenn es aus tiefem Glauben geschieht, da besteht kein Problem. Von übermenschlicher, wirksamer Lebendigkeit kann hier allen Einwänden zum Trotz gar keine Rede sein.

      Was die Naturkräfte und bestimmte Himmelskörper betrifft, ist zu fragen, inwiefern sie Wille und Absicht, Eigenständigkeit und Lebendigkeit besitzen, um das darzustellen, was die Gläubigen von ihnen halten, von ihnen erwarten und verlangen. Auch in diesem Fall kann die Antwort allen Einwänden zum Trotz nur negativ sein. Es gibt keinen Himmelskörper, gleich welcher Dimension und welcher Wirkung, und keine Naturkraft, gleich wie stark sie ist, die Willen und Absicht ausdrücken, die Lebendigkeit ausdrücken und die wirklich eigenständig sind. Die Frage, ob Tiere die Eigenschaften eines Göttlichen besitzen bzw. besitzen können, darf man in diesem Zusammenhang als eine rhetorische Frage verstehen.

      Was die Lehre oder die Weisheit der Religionen der oben genannten ersten Gruppe betrifft, so ist es klar, dass der Mensch in Bezug auf diese beiden nach seinen Einsichten formuliert, was das Göttliche darstellen soll und wie es wirksam sein soll. Das besagt natürlich nicht, dass solche religiöse Lehren und Weisheiten in jeder Hinsicht falsch sein müssen. In ihnen werden oft viele, tiefe Intuitionen und Einsichten über Mensch und Welt formuliert. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese keinen Ausdruck der Wahrheit und auch keine Andeutung der Wahrheit über die geglaubte Gottheit darstellen. Die Frage nach der Wahrheit des Inhalts einer bestimmten Religion bleibt auch dann bestehen, wenn Menschen diesen Gehalt als lebendig-göttlich halten.

      Dabei ist zu bedenken, dass es durchaus nicht nur möglich, sondern oft tatsächlich so ist, dass Menschen richtige religiöse Intuitionen haben, die aber falsch gedeutet werden. Dieses Phänomen ist eine der gewaltigsten Äußerungen des Erkenntnisproblems, das zur Klärung drängt.

      3. Wie oben angedeutet, beanspruchen die Religion und ihre Erscheinungen für sich Tatsächlichkeit, also Wahrheit. Es wäre im höchsten Maß merkwürdig, wenn eine der gewaltigsten und wichtigsten Erscheinungen der Menschheitsgeschichte "wahrheitsneutral" wäre. Wenn eine Religion behauptet, dass sie in der Tatsächlichkeit des Göttlichen gründet, so hat das zwingende Folgen für die gesamte Lebensführung der Gläubigen16 dieser Religion.

       Darf bzw. soll die Lebensführung eines Menschen auf Täuschung gründen? Darf man von religiösen Menschen verlangen, in dieser wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens blind zu vertrauen?

      Bedenkt man, dass die Religion die umfassendste Angelegenheit des Menschen ist, die es überhaupt geben kann, so ist es eindeutig klar, dass die Wichtigkeit des persönlichen und des gemeinschaftlichen Lebens, sowie die Würde des Menschen uns unbedingt dazu verpflichten, die Frage nach der Wahrheit der Religion im Allgemeinen zu stellen und zu klären.

      Die Aufgabe des philosophischen Systems kann jedoch nicht darin bestehen, die einzelnen Religionen nach ihrem Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dazu ist sie, wie schon gesagt, ihrem Wesen nach nicht in der Lage. Als System der Erkenntnis der Welt muss sie jedoch in der Lage sein, für sich die Frage nach dem Weg zum wahren Glauben und zu einer wahren Religion zu klären.

      Zur Klärung der Frage nach der Wahrheit einer bestimmten gegebenen Religion sollten sich die Gläubigen dieser bestimmten Religion, wegen der oben genannten Gründe und trotz der damit verbundenen gefühlsmäßigen Schwierigkeiten, unbedingt verpflichtet sehen.

      Bevor wir die Klärung der Frage nach der Form der wahren Religion fortsetzen, müssen wir die Frage nach dem Wesen des religiösen Glaubens besprechen.

      4. Wenn wir vom Glauben reden, müssen wir den Glauben im alltäglichen Sprachgebrauch vom religiösen Glauben streng unterscheiden.

      Im alltäglichen (sinnvollen) Gebrauch kommt das Wort „Glaube“ in verschiedenen Aussagen als Ausdruck von Mangel an Wissen vor: Hätten wir gewusst, was der Fall ist, so bräuchten wir nicht zu glauben, dass das der Fall ist.

      In diesem Sinne vertrauen wir darauf, dass eine bestimmte Information, die wir bekommen oder die wir besitzen, richtig ist. Hätten wir gewusst, dass diese Information richtig ist, wäre die Rede von Glauben und Vertrauen diesbezüglich unsinnig.

      Der Weg zu dieser Art des Glaubens zeigt dessen betont subjektiven Zug: Die Quelle der Information, deren Richtigkeit wir glauben, muss uns zunächst glaubwürdig erscheinen; sonst hätten wir sie nicht angenommen. Jedoch hängt das, was uns als glaubwürdig erscheint, stark von unserer persönlichen Erfahrung ab. Darüber hinaus kommt es natürlich darauf an, wie plausibel uns das vorkommt, was uns gesagt wird. Auch das hängt stark von unserer persönlichen Erfahrung, aber auch von unserer Vorstellungskraft und Bildung ab.

      Die Anwendung eines solchen Begriffs des Glaubens im Bereich des Religiösen, besonders auf die Frage nach der Existenz des Göttlichen, wäre völlig unverständlich. Denn die Religion ist, da sie das Ganze des Lebens umfasst, keine Angelegenheit, die bloß subjektive Gültigkeit besitzen darf.

      Sicherlich spielt Vertrauen in der Religion eine sehr wichtige Rolle. Vertrauen darf aber nicht die kritische Betrachtung einer bestimmten Religion durch ihre Gläubigen ersetzen.

      Nicht jeder Glaubende wird das Göttliche persönlich erfahren können. Das ist nur wenigen gegeben; dies von sich aus herbeiführen zu wollen, ist nicht möglich, so zumindest berichten diejenigen, die das Göttliche erfahren

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