Der Fisch in der Heizung. Gerhard Moser
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Das saß! Es gab für ihn nichts weiter zu erklären. Ich brachte kein Wort heraus. Den Tränen nahe, ging ich auf mein Zimmer und handelte treu meiner Devise: Erst eine Nacht darüber schlafen, morgen sieht die Welt anders aus. Doch Vaters Meinung änderte sich über Nacht in keiner Weise. Trotzdem hatte ich Hoffnung. Um den Studienplatz belegen zu können, war ein Praktikum von mindestens sechs Monaten Dauer in einer sozialen Einrichtung vorgeschrieben. Diese Zeit erschien mir lang genug, um meinen Vater irgendwie doch noch von der Richtigkeit meiner Pläne zu überzeugen. Außerdem gab es für dieses Praktikum Geld. Ich wusste zwar nicht, wie viel, aber vielleicht …, wenn das selbstverdiente Geld … und von meinen Eltern dann der Rest?
Eine Praktikantenstelle war schnell gefunden. In einem Alten- und Pflegeheim in der nahen Stadt bekam ich, nach persönlicher Vorstellung sofort eine Zusage. Am nächsten Ersten konnte ich anfangen. Bis dahin kämpfte ich noch mit vielen Fragen, und oft wurde ich unsicher, ob dieses Praktikum das Richtige für mich war. Unserer 80-jährigen Nachbarin einzukaufen und die Kohlen aus dem Keller zu holen war ja leicht und einfach; ihr die Zehennägel zu schneiden und die Hornhaut an den Fersen abzuhobeln, weil sie sich nicht mehr so tief bücken konnte, auch das war nicht schwer. Aber pflegebedürftige, bettlägerige Leute rundum versorgen?
Zu Hause war der Kummer groß, denn im Heim hatte ich nicht nur freie Verpflegung (waren die sich im Klaren, welche Mengen ich verschlingen konnte?), sondern auch ein kleines Zimmer stand mir zur Verfügung. Diese Gelegenheit, auf eigenen Füßen zu stehen, nutzte ich natürlich. Am Stichtag zog ich mit Vorfreude, einem kleinen Koffer voller Habseligkeiten, aber auch vielen Bedenken und einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch los. Von meinem Vater hatte ich mich am Abend zuvor schon verabschiedet, da er morgens sehr früh aus dem Haus zur Arbeit musste. Als ich nun meiner Mutter „Ade“ sagen wollte, fand ich sie nicht. Die Zeit war knapp und der Bus wartete meinetwegen bestimmt nicht. Ob es wohl angebracht war, gleich am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen? Ich wollte aber auch nicht gehen, ohne mich von meiner Mutter zu verabschieden. Endlich entdeckte ich sie im Stall, wo sie meine Kaninchen fütterte, die ich nun leider auch zurücklassen musste. Aber in der Stadt begann für mich ein völlig neues Leben. Tränen rannen über ihr Gesicht. Es fiel ihr schwer, mich nun einfach so ziehen zu lassen. Mich kostete es viel Anstrengung, die eigenen Tränen zu unterdrücken. So machte ich den Abschied sehr kurz.
„Es sind doch nur zehn Kilometer“, sagte ich mir auf dem Weg zur Bushaltestelle immer wieder, um standhaft zu bleiben. Zu meiner Überraschung waren in dem Heim auch viele jugendliche Patienten, mit denen ich mich auf Anhieb besonders gut verstand. Es machte mir viel Spaß, die alten Damen und Herren zu pflegen und zu betreuen. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort oder ein Lächeln. Ich blühte förmlich auf. Vom ersten Tag an machte es mir nichts aus, wundgelegene Stellen zu versorgen, volle Windeln zu wechseln oder verwirrten Patienten ernsthaft zuzuhören, ohne zu lachen. Alle meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Zeit verging wie im Fluge. Im fünften Praktikumsmonat ließ mich der Heimleiter in sein Büro rufen. Hatte ich etwas falsch gemacht? War ich in irgendeiner Weise frech zu einem Patienten oder Mitarbeiter gewesen? Ich wusste, dass ich ein loses Mundwerk hatte, immer das sagte, was ich dachte. Jeder wusste gleich, woran er mit mir war. Dabei versuchte ich stets meine Kommentare so zu geben, dass niemand beleidigt sein konnte. Solche Gedanken gingen mir auf dem Weg zur Verwaltung durch den Kopf. Doch was da auf mich zukam, hatte ich nicht im Entferntesten geahnt. Zunächst bat mich der „Hausvater“, wie der Chef von allen genannt wurde, Platz zu nehmen und ihm zu erzählen, wie es mir so ginge, und ob ich Spaß an der Arbeit mit den alten Leuten hätte. Der Hausvater war ein freundlicher, älterer Herr, in dessen Mundwinkel immer ein Lächeln hing. Nie hatte ich ihn verärgert oder böse gesehen. Nur wenn es um das Wohl der alten Leute ging, konnte er einen Mitarbeiter auch mal kräftig „zur Mina“ machen. Seine nächste Frage allerdings ließ in mir die Vorstellung entstehen, dass er wohl etwas verrückt sei. Wollte er mein ganzes Zukunftskonzept über den Haufen werfen? Er bot mir allen Ernstes eine Ausbildungsstelle zum Altenpfleger an! Das gefiel mir nun ganz und gar nicht, hegte ich doch immer noch die große Hoffnung, meinen Vater von der Notwendigkeit eines Studiums überzeugen zu können. Dem Heimleiter erklärte ich kurzerhand, dass ich diesen Vorschlag erst überschlafen müsse. Die Idee fand er auch noch gut! Etwas in mir sträubte sich gegen eine direkte Absage. In der folgenden Nacht schlief ich wenig. In meinem Kopf ging alles drunter und drüber. Was erwartete ich von meinem Beruf? Doch vor allem Umgang mit Menschen. Denen helfen, die sich wirklich nicht mehr selber helfen können. Die Ausbildungszeit sollte nicht zu lang sein. Das alles bot mir die Altenpflege! Und damit war meine Verwirrung perfekt! Da ich am nächsten Tag frei hatte, fuhr ich nach Hause und führte mit meiner Mutter ein intensives, langes Gespräch. Am Ende war für mich, ohne von ihr gedrängt worden zu sein klar, dass ich die Ausbildung machen würde. Drei Punkte gaben den Ausschlag: Meine Berufserwartungen deckten sich völlig mit dem Betätigungsfeld, das der Beruf mir bot; ich war vorerst in der Nähe meiner Eltern und bekam während der Ausbildung, zusätzlich zu freiem Wohnen und Essen, ein Taschengeld von monatlich 150,00 DM, was für mich eine Menge Geld bedeutete. Bis heute habe ich meine Wahl nicht bereut.
Der Fisch in der Heizung
Um 14: 00 Uhr sollte die Schule beginnen. Jetzt wäre eigentlich meine Mittagspause gewesen. Die Zeiten von Schule und Stationsdienst waren bei uns Schülern recht unbeliebt. Eine Woche verbrachten wir von 8: 00 Uhr bis 12: 00 Uhr in der Schule und von 14: 00 Uhr bis 19: 00 Uhr auf Station. In der nächsten Woche hatten wir dann nachmittags fünf Stunden Unterricht und von 6: 30 Uhr bis 13: 00 Uhr Stationsdienst. Das waren für uns sehr lange Tage, da es abends auch noch zu lernen galt. Jedes zweite Wochenende stand noch zusätzlich Stationsdienst auf dem Plan. Alle drei Wochen hatten wir vier Tage dienstfrei und brauchten „nur“ in der Schule zu erscheinen. So konnte man entweder ausschlafen, oder am freien Nachmittag das faule Leben genießen. Die meisten der Mitschüler nutzten diese Zeit natürlich zum Lernen. Da ich noch in Lernübung war und meine Hefte direkt im Unterricht führte, sparte ich mir viel Arbeit in der knappen Freizeit. Das Lernen fiel mir überhaupt nicht schwer. Ich konnte recht locker an die ganze Sache heran gehen. Andere Mitschüler mussten sich nach Jahren erst wieder an Schule und das ganze Drumherum gewöhnen. Da unsere Stationsschwester zu einer Besprechung gerufen worden war, musste ich den Mittagsdienst von 13: 00 Uhr bis 14: 00 Uhr an diesem Tag auch noch übernehmen. „Ob das wohl seine Richtigkeit hat“, schoss es mir durch den Kopf, „wenn ein Schüler die Verantwortung für 34 Patienten übernimmt?“
Auf der Station auf der unteren Etage war eine examinierte Schwester im Dienst, die ich im Notfall rufen konnte. Doch es herrschte absolute Ruhe. Was sollte schon geschehen? Fast alle Patienten lagen zur Mittagsruhe in den Betten. Die wenigen, die sich nicht hinlegen wollten, saßen im Aufenthaltsraum, unterhielten sich, lasen Zeitschriften oder dösten vor sich hin. Also setzte ich mich an den Schreibtisch im Dienstzimmer, sonst alleiniges Vorrecht der Stationsschwester, und nahm ein Psychiatrie-Fachbuch zur Hand. Plötzlich ertönte lautes Poltern und Klappern. Hatte Herr Meier einen epileptischen Anfall? Ich rannte auf den Flur und lauschte. Das Klappern kam aus dem letzten Zimmer auf der rechten Seite. Beim Öffnen der Tür bot sich mir ein Bild zum Schmunzeln. Frau Lang, eine 93 Jahre alte und in ihrer Art sehr liebenswerte Dame, saß im Bett, die Beine unter dem Bettgitter durchgezwängt und schlug mit ihrem Gehstock fortwährend gegen den Heizkörper. „Raus, raus, komm schnell raus! Das Wasser ist doch viel zu heiß“, murmelte sie ängstlich vor sich hin. Behutsam ging ich auf sie zu und sprach sie leise an.
„Frau Lang, was ist los?“ Sie blickte hoch und ihr Gesicht begann zu Strahlen.
„Gott sei Dank, dass du kommst! Schnell mein Junge, hilf ihm da raus, bevor er sich verbrüht.“ „Wer muss wo raus?“, fragte ich vorsichtig.
„Ja, stell dich doch nicht so