Der Fisch in der Heizung. Gerhard Moser

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Der Fisch in der Heizung - Gerhard Moser

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sie voller Wut ab, ohne ihre Mutter noch einmal gesehen zu haben. Gegen Abend rief der Arzt nochmals bei der ältesten Tochter an, um ihr zu sagen, dass es mit der Mutter ganz offensichtlich zu Ende gehe. Trotzdem erschien keine von den Dreien, und die Mutter verstarb am Abend ohne Anwesenheit der Familie. Als Vertreter der Station war ich bei der Beerdigung. Auch da war keine der Töchter zugegen. Welch ein Armutszeugnis! Was hatte die Mutter nicht auf sich genommen, um ihren Töchtern alles im Leben zu ermöglichen. Wie oft hatte sie uns in den Wochen vor dem Schlaganfall voller Stolz von den „lieben Töchtern“ erzählt, die alle im Leben etwas erreicht hätten. Sie selbst hätte sich immer eingeschränkt und krummgelegt, nur um ihnen das alles ermöglichen zu können. Zu Besuch ins Heim kam kaum je eine von ihnen und wenn, dann nur kurz. Frau Meier war darüber sehr traurig und weinte oft. Aber immer wieder rechtfertigte sie deren Verhalten damit, dass die Töchter eben viel arbeiten müssten …

      Ich habe nie wieder etwas von diesen Hyänen gehört. Auch die angekündigte Beschwerde kam nie bei der Heimleitung an.

      Spare in der Zeit, dann hast du nichts mehr in der Not…

      Das Telefon läutete. Verflixt, immer diese Störungen. Der Dienstplan für die nächste Woche sollte längst fertig sein. Seit einem halben Jahr arbeitete ich nun als Pflegedienstleitung in einem großen Alten- und Pflegeheim im schönen Heidelberg. Die Aufgabe war eine große Herausforderung, die mir viel Spaß machte, aber auch enorm viel Einsatz abverlangte. Oft war es für mich sehr schwer, da mir einige Mitarbeiter Probleme bereiteten. Andere wiederum hatten Probleme mit mir.

      So gab es eine Stationsschwester, knapp sechzig Jahre alt, die schon seit über dreißig Jahren im Haus arbeitete. Plötzlich hatte sie nun einen Schnösel von 24 Jahren vor der Nase sitzen, der mit seinen Ideen und Vorstellungen frischen Wind in ihre „heile“, aber völlig betriebsblinde Welt bringen wollte und so ihre tägliche, uralte Routine ins Wanken brachte. Stundenlang führte ich Gespräche mit ihr, meist leider ohne Erfolg. Sie befürwortete viele meiner Ideen und fand sie auch toll, letztendlich arbeitete sie aber doch nach ihrem alten Schema. Die Mitarbeiter hingen dabei oft zwischen den Stühlen. Von mir kamen klare Dienstanweisungen, die Stationsschwester hingegen verlangte von ihnen, nach der alten Methode zu verfahren. Wie sollten sie sich da verhalten? Wer hatte das entscheidende Wort?

      Mechanisch griff ich zum Telefon.

      „Ja, bitte?“

      „Der angekündigte Neuzugang ist da. Würden sie bitte ins Büro kommen“, teilte mir der Heimleiter kurz mit und legte auch schon wieder auf. Also blieben die Dienstpläne, wie so oft in den letzten Tagen, erstmals wieder liegen und ich fuhr mit dem Lift vom 3. Stock ins Erdgeschoss. Beim Betreten des Büros schlug mir ein unangenehmer, beißender Geruch entgegen. Was da auf dem Stuhl saß, war auf den ersten Blick kaum als menschliches Wesen zu erkennen: Völlig abgemagert, die Haare fettig und verklebt, die Kleidung völlig verschmutzt, und die sichtbaren Hautstellen waren mit dicken Dreckkrusten überzogen. Zusammengesunken saß die alte Frau auf dem Stuhl und murmelte leise vor sich hin. Was um sie herum vorging, nahm sie offensichtlich nicht wahr. Die Frau vom Sozialamt, die sie gebracht hatte, gab uns verschiedene Papiere und den Schlüssel der ehemaligen Wohnung.

      „Die meisten Sachen sind völlig unbrauchbar. Vielleicht finden Sie in dem ganzen Dreck wenigstens noch einige Möbelstücke, mit denen Sie das Zimmer ausstatten können. Die Kleider müssen ohnedies alle neu angeschafft werden. So eine verwahrloste Bude hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen.“ Sie sprach von der Frau, als handelte es sich bei ihr um einen wertlosen Gegenstand. Nach diesem aufschlussreichen Kommentar packte sie ihre Tasche und ging, ohne mit der Frau noch ein Wort gewechselt zu haben. Zunächst brachte ich Frau Klein hinüber zur Pflegestation, wo sie gebadet wurde und neue, hauseigene Kleidung bekam. Was nach dieser Prozedur zum Vorschein kam, war ein mageres, sehr verängstigtes und total verwirrtes Wesen. Bestimmt war dies das erste Bad seit Jahren und Frau Klein verstand gar nicht, was da mit ihr geschah. Der Hausmeister hatte aus dem hauseigenen Möbellager vorerst ein Bett, einen Schrank und einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen in das zukünftige Zimmer gestellt. Zur Begrüßung stand, wie im Hause üblich, ein bunter Blumenstrauß auf dem Tisch. Frau Klein ging direkt auf den Strauß zu und berührte zärtlich die Blüten. Ihre Augen strahlten. Für einen kurzen Moment wich die Angst aus ihrem Gesicht. Sie setzte sich auf den Stuhl und betrachtete nur die Blumen. So ließ ich sie zunächst einmal alleine. Anfangs fiel Frau Klein der Kontakt zu Mitpatienten recht schwer. Doch nachdem sie einige Tage wieder gegessen und sehr viel getrunken hatte, änderte sich ihr ganzes Verhalten. Ihr Erinnerungsvermögen kehrte schrittweise zurück, sie sprach in zusammenhängenden, klaren Sätzen. Viel konnte sie nicht erzählen, da die letzten Monate in ihrem Gedächtnis völlig fehlten. Wir kamen auch nie dahinter, was alles geschehen war. Ihre Erinnerung endete an dem Tag, an dem ihr über alles geliebter Mann verstorben war. Von da an war sie völlig auf sich selbst gestellt.

      Am nächsten Vormittag fuhr ich mit dem Heimleiter in Frau Kleins ehemalige Wohnung, um nach Kleidungsstücken und eventuell noch brauchbaren Möbeln für ihr Einzelzimmer zu suchen. Was wir vorfanden, war ein Riesenchaos. In allen Zimmern stapelten sich verdreckte Kleidungsstücke, Zeitungen und Unrat. Dazwischen standen, völlig zugebaut, die Möbel. Zwei der vier Zimmer waren fast bis zur Decke vollgestopft. Zuerst öffneten wir ein noch zugängliches Fenster, um in diesem Gestank überhaupt atmen zu können. Am liebsten wären wir gleich wieder gegangen, aber Frau Klein brauchte dringend Kleidung. So fingen wir in der Küche mit der Suche an. Ein total verdrecktes Sofa stand an der rechten Seite. Es musste als Bett benutzt worden sein, da es das einzige Möbelstück in der Wohnung war, welches einigermaßen frei zugänglich war. Um das Sofa herum standen Töpfe, Gläser und Dosen, mit Ausscheidungen gefüllt und einfach mit Zeitungen oder Kleidungsstücken zugedeckt. Die Toilette im Badezimmer hatte Frau Klein offensichtlich in den letzten Wochen nicht mehr verwendet. Zu unserer Überraschung fanden sich in dem ganzen Durcheinander viele löchrige, nun unbrauchbare Pelzmäntel und tolle Hüte. Frau Klein musste einmal eine gutsituierte Frau gewesen sein. Als wir nach Stunden den Schrank im ehemaligen Schlafzimmer freigearbeitet hatten, fanden wir endlich auch brauchbare Kleidungsstücke – und was für welche! Abendkleider aus Seide, zwei fast neue Pelzmäntel, noch verpackte Unterwäsche und einige Paar Schuhe, ungebraucht und noch in den original Schuhkartons. An Möbeln, so wie sie jetzt aussahen, konnte man wohl nichts mehr verwenden. Als wir jedoch im dritten Zimmer stöberten, entdeckten wir einen fantastischen Mahagonischrank, herrlich mit Intarsien gearbeitet. In der gleichen Machart war auch das Bett, das nebst Spiegelkommode und einem Tisch unter dem ganzen Gerümpel auftauchten. Die Möbel mussten zwar erst aufgearbeitet und poliert werden, aber dafür hatte unser Hausmeister ein goldenes Händchen. So sollte es möglich sein, Frau Klein ein Stück ihrer gewohnten Umgebung zu erhalten. Zunächst packten wir die neuen Schuhe und die brauchbaren Kleidungsstücke zusammen. Die Anziehsachen kamen direkt in unsere Wäscherei. Wegen der Möbel wollten wir nochmals Kontakt mit dem Sozialamt aufnehmen. Von was hatte sich Frau Klein eigentlich in den letzten Monaten ernährt? Außer Unmengen an Tütensuppen, die am verstopften Spülbecken gelagert waren, fand sich nichts. Neben dem verschlissenen und total verdreckten Sofa häufte sich ein Stapel Zeitungen. Um das Datum erkennen zu können, nahm ich die oberste zur Hand. Fast drei Jahre alt! Was wir dann entdeckten, machte uns sprachlos. Aus der Zeitung vielen zwei 100 Mark Scheine. Als wir den Stapel Zeitungen und Zeitschriften durchsahen, kamen auch da Geldscheine ans Tageslicht. Von der Telefonzelle an der Straßenecke rief ich die Frau vom Sozialamt an und berichtete von unserer Entdeckung. Sie war so schnell da, dass sie eigentlich nur geflogen sein konnte. Hatte sie etwa Angst, wir würden uns unrechtmäßig etwas unter den Nagel reißen? Zusammen sahen wir die Zeitungen komplett durch. Nur in dem Stapel neben dem Sofa fanden sich Geldscheine, aber das in erstaunlicher Menge. Insgesamt über 50.000 Mark! Nachdem wir eine doppelte Quittung mit allen Unterschriften angefertigt hatten, nahm sie das Geld sofort an sich.

      „Schließlich kommt das Sozialamt für die zukünftigen Heimkosten auf. Frau Klein bekommt natürlich ein monatliches Taschengeld“, war ihr ganzer Kommentar. Auch die gefundenen Rentenunterlagen und Kontoauszüge gingen gleich in ihren „Besitz“ über. An Möbeln und

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