Der Fisch in der Heizung. Gerhard Moser

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Fisch in der Heizung - Gerhard Moser страница 5

Der Fisch in der Heizung - Gerhard Moser

Скачать книгу

wir, hätte nur noch darauf gewartet, dass Frau Klein auszog und er dann die Hütte abreißen lassen konnte.

      Rechnete man das gefundene Geld und die monatliche Rente zusammen, hätte Frau Klein, selbst nach Abzug der Heimkosten und des monatlichen Taschengeldes von 128,00 DM, noch über fünfzig Jahre bei uns leben können, ohne das Geld aufgebraucht zu haben. Ob sie mit ihren 78 Jahren aber noch so lange leben würde, war mehr als fraglich. Erben waren offensichtlich keine vorhanden.

      Frau Klein erkannte ihre Möbel wieder und freute sich riesig. Nach der Reinigung waren viele der Kleidungsstücke leider nicht mehr zu gebrauchen. Der Antrag ans Sozialamt auf neue Kleidung wurde umgehend genehmigt! So lebte sich Frau Klein gut bei uns ein. Sie war glücklich und dankbar. Jedes freundliche Wort brachte sie zum Lächeln und zauberte ein Strahlen in ihr Gesicht. Wie groß musste ihr Elend in den vergangenen Monaten, vielleicht auch Jahren, gewesen sein. Dabei hätte sie sich einen herrlichen Lebensabend gönnen können. War es eine Eigenart dieser Generation, sparsam zu leben? Steckte die Angst vor Hunger, Krieg und Armut noch so tief in diesen Menschen? Ich weiß es nicht.

      Noch ein Erlebnis dieser Art werde ich nie vergessen.

      Herr Heim war schon seit Jahren herzkrank. In der Nacht erlitt er einen schweren Infarkt und wurde mit Blaulicht vom Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert. Von dort kam er leider nicht mehr zu uns zurück. Am Tag nach seinem Ableben besuchte uns der Sohn, um die verbliebenen Sachen, vor allem aber den Personalausweis zur Erledigung der Formalitäten, an sich zu nehmen. Trotz aller Sucherei konnte Herr Heims Geldbörse nicht gefunden werden. Fast zwei Wochen später sprach mich Herr Keller, der seit Jahren das Zimmer mit Herrn Heim teilte an und erkundigte sich nach dem Verbleib seines Zimmerkollegen. Herr Keller lebte meist sehr zurückgezogen in seiner schizophrenen Welt und redete fast nie. Die Information vom Tod Herr Heims war offensichtlich nicht in seinem Gedächtnis angekommen. Als ich ihm nun erneut die Sachlage schilderte, wurde er sehr nachdenklich. Langsam ging er in sein Zimmer. Ich folgte ihm, um eventuell Hilfe leisten zu können. Langsam ging er zum Nachtisch und zog die Schublade auf. Nach einem fragenden Blick zum Kreuz über seinem Bett holte er eine braune Geldbörse hervor. Wollte er mir Geld geben, damit ich Blumen fürs Grab kaufte? Ich spürte eine extreme Nervosität, wie sie nur selten bei ihm zu beobachten war. Er kämpfte mit sich, unsicher, ob er auch das Richtige tat. Er erzählte in abgehackten Worten, dass Herr Heim ihm vor der Einweisung ins Krankenhaus diese Geldbörse zur Aufbewahrung anvertraut habe. Da Herr Heim jetzt aber nicht wiederkäme, wisse er nicht, was er damit anfangen solle. Ich bedankte mich bei Herrn Keller und brachte den Geldbeutel zur Verwaltung. Außer dem vermissten Ausweis fanden sich in der Börse fast 3.000 DM. Wahllos waren die Scheine in das hintere Fach gestopft worden. Bei nur achtzig Mark Taschengeld im Monat musste Herr Heim lange gespart haben. Wenn wir ihm mal frisches Obst, einen Saft oder neuen Badezusatz kaufen wollten, jammerte Herr Heim immer nur, er habe kein Geld.

      Jetzt war er tot.

      Eines weiß ich sicher: Mein sauer verdientes Geld werde ich frühzeitig ausgeben!

      Hypnose wird dich heilen

      Ungläubig schauten wir uns an. Sollte das ein Witz sein, oder hatte Frau Steins Hausarzt seine Äußerung ernst gemeint? Frau Stein war jetzt 68 Jahre alt und lag seit fast zehn Jahren fest im Bett. Als damals ihr Mann starb, hatte sie sich einfach hingelegt und war seither nicht mehr zum Aufstehen zu bewegen. Ihre Beinmuskeln waren so degeneriert, dass sie nur noch als schlaffes Gewebe unter der Haut spürbar waren. Irgendwann in den letzten Jahren kam noch ein Schlaganfall dazu. Daheim war Frau Stein rührend von ihrer Schwester umsorgt und gepflegt worden. Als diese vor drei Jahren ganz überraschend verstarb, musste Frau Stein zu uns ins Heim umziehen.

      Soeben hatte uns ihr behandelnder Arzt mitgeteilt, dass – nach seiner festen Überzeugung – Frau Stein ihre Krankheit nur vortäusche. Er wolle sie in der nächsten Woche bei der Visite in Hypnose versetzen und dadurch den Beweis erbringen, dass sie laufen könne. Nur die hysterische Haltung der Patientin zwinge sie, im Bett zu bleiben. Wir fassten seine Meinung als Witz auf, denn in den letzten Jahren war alles versucht worden: Aktive und passive Krankengymnastik, Massagen, Bäder und… und… und. All das hatte nicht die kleinste Besserung bewirkt. Der Knalltüte von Arzt war es jedoch bitterer Ernst mit seinem Vorhaben. Da ich an diesem Tag Dienst hatte, erwartete ich voll Spannung diese, im ganzen Haus viel diskutierte „Wunderhypnose“.

      Gemeinsam mit dem Arzt und der Stationsschwester betrat ich das Zimmer. „Guten Tag, Frau Stein“, begrüßte Dr. Linzmeier die Patientin. Seine Stimme hatte einen siegessicheren und stolzen Unterton. Er musste sich wie ein Erfinder fühlen, der der Welt gleich eine Superentdeckung zu schenken gedachte.

      „Wie ich mit Ihnen bei meinem letzten Besuch besprochen habe, werde ich Sie heute in Hypnose versetzen und Sie können dann wieder laufen.“ Wäre ich an Frau Steins Stelle gewesen, ich hätte den Doc aus dem Zimmer gewiesen. Eine ähnliche Reaktion kam auch prompt.

      „Was soll diese dumme Hypnose bringen? Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass ich nicht damit einverstanden bin. Seit zehn Jahren liege ich jetzt im Bett, und da werde ich auch bleiben. Sie können tun, was Sie wollen, nur lassen Sie mir meine Ruhe!“

      Es ging einige Zeit hin und her. Dr. Linzmeier hielt die Hypnose für unerlässlich, Frau Stein versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Schließlich beharrte der Arzt darauf, mit der Sitzung endlich beginnen zu können, da seine Zeit kostbar war. Frau Stein sah mich kläglich an.

      „Lassen Sie es doch einfach auf sich zukommen. Es wird schon nicht viel passieren.“ Aufmunternd lächelte ich sie an. Sie nickte zögernd. Was dann jedoch folgte, versetzte mich in Gedanken ins tiefste Afrika, erinnert mich an die Zeremonien eines Medizinmannes im Busch. Es fehlte nur noch, dass Dr. Linzmeier einen Tanz um das Bett herum vollführt hätte. Mit beschwörenden Gesten sprach er auf Frau Stein ein.

      „Sie werden müde … Sie werden meine Worte jetzt ganz genau befolgen … Heben Sie Ihren Oberkörper … Schieben Sie Ihre Beine über den Rand des Bettes und setzen Sie sich auf die Kante…“ Ich lächelte still vor mich hin, denn diese Übungen führten wir täglich mit Frau Stein durch, auch ohne Hypnose.

      „Stellen Sie sich jetzt auf Ihre Beine“, suggerierte der Arzt leise weiter. Tatsächlich rutschte Frau Stein über die Bettkante und stellte sich langsam und behutsam auf ihre Beine. Zwar stand sie unsicher und ans Bett angelehnt, aber sie stand!

      „Kommen Sie langsam drei Schritte auf mich zu“, flüsterte Dr. Linzmeier seinen nächsten Befehl. Sein Gesicht strahlte dabei siegessicher. Wir warteten voll Spannung, was als nächstes passieren würde. Langsam hob Frau Stein ihren rechten Fuß…

      Ein lauter Schrei entrann sich ihrer Kehle. Hätten wir nicht schnell zugepackt, Frau Stein wäre voll aufs Gesicht gefallen. Der Doktor stand nur perplex da und blickte ungläubig auf die Patientin. Er sah wie ein kleines Kind aus, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Wort- und Grußlos eilte er aus dem Zimmer. Wir legten Frau Stein zurück in ihr Bett und lagerten sie bequem.

      „Veranlassen Sie bitte umgehend bei der Heimleitung, dass ich einen anderen Arzt bekomme. Diesen Viehdoktor will ich nie wieder bei mir sehen!“ Wir konnten sie nur zu gut verstehen.

      „Was haben sie eigentlich während der Hypnose gefühlt?“, fragte ich neugierig.

      „Hypnose? Ich war in keiner Hypnose! Es blieb mir doch nichts anderes übrig, als diesen dämlichen Befehlen zu folgen. Als ich aber dann gehen sollte, bekam ich es richtig mit der Angst zu tun. Und als ich im Bein Krämpfe bekam, konnte ich vor Schmerz nur noch schreien. Da war mir dann eigentlich alles egal. Dieser Rossdoktor hätte mich bestimmt einfach hinfallen lassen. Danke, dass Sie mich aufgefangen haben.“

      Ich streichelte ihr die Wange und versprach, später nochmals zu

Скачать книгу