Der Fisch in der Heizung. Gerhard Moser
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Ihre Unruhe wurde immer stärker. Sie versuchte an den Heizkörper zu gelangen.
„Die roten Männchen warten nur darauf, dass er gar ist und sie ihn auffressen können!“ Böse schaute sie zur Gardinenleiste hoch und schob drohend ihre Faust. Die arme Frau. Sie verkannte ja öfters die Leute, war zeitlich und örtlich völlig desorientiert, aber heute halluzinierte sie beängstigend. Ich versuchte erst gar nicht, ihr die wirren Gedanken auszureden. Kurz entschlossen öffnete ich die Balkontür und machte verjagende Gesten.
„Raus, ihr Lumpen!“ Frau Lang kicherte.
„Recht so, mein Junge, zeig denen, wo sie hingehören. Rennt nur fort, rennt in eure Höhlen.“ Das erste Problem schien gelöst. Mein nächster Griff ging zum Heizungsregler: Ich tat, als drehe ich ihn ab. Der Heizkörper war ohnedies kalt, da es Sommer war und draußen eine fast unerträgliche Hitze herrschte.
„So, die Heizung ist aus. Nun hole ich ihnen den Florian wieder.“ Mit den Händen fuhr ich am Heizkörper entlang und fischte ihren geliebten Florian heraus. Sie strahlte und streckte ihre Hände den meinigen entgegen.
„Komm Florian, jetzt bleibst du bei mir. Du wirst nicht wieder in die Heizung gehen. Wenn es dir zu trocken wird, drehst du einige Runden im Waschbecken. Der liebe Junge wird dir bestimmt Wasser einlassen.“ Ich ließ das Waschbecken halb mit Wasser volllaufen. Entspannt, ließ sich Frau Lang von mir wieder ins Bett legen und platzierte sich Florian auf den Bauch. „Puuuhhh!“ Aufatmend verließ ich das Zimmer. Das Problem war behoben. Es kehrte wieder Ruhe ein. Kaum hatte ich erneut am Schreibtisch Platz genommen, als das Geschrei wieder losging. Von wegen „Problem gelöst.“
Schnell lief ich in das Zimmer zurück. Frau Lang saß im Bett und schimpfte zum Fenster hinaus.
„Ist ihnen der Florian abgehauen?“, fragte ich sie vorsichtig.
„Welcher Florian?“, sie schaute mich entgeistert an. Von Florian wusste sie offensichtlich nichts mehr.
„Schau doch mal zum Fenster raus.“ Ich schaute zum Fenster raus, sah jedoch nur den strahlenden blauen Himmel, weiße Schäfchenwolken und eine herrliche Sonne.
„Siehst du denn nicht die schwarzen Hunde? Sie wollen mich holen!“ Ich hörte zwar die Hunde im Nachbarhaus bellen, aber sehen konnte ich nichts. Frau Lang war in keiner Weise zu beruhigen. Sie schrie und hatte unsagbare Angst, welche sich in ihrem Gesicht spiegelte. Was sollte, was konnte ich tun? Alles gute Zureden war vergeblich. So rief ich die Schwester der unteren Station zur Hilfe. Zu meiner Erleichterung kam sie auch sofort, denn ich war mit meinem Latein am Ende. Ein Blick in Frau Langs Krankenblatt reichte der Schwester aus, um zu erkennen, was in solch einem Fall helfen konnte: 10 mg Haldol. Diese wirkten auch recht bald. Als unsere „Chefin“ mich kurz vor 14: 00 Uhr ablöste, war Frau Lang fest am Schlafen. Ich war froh, jetzt in die Schule gehen zu können. Wie groß war für mich als Schüler oft der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Im Unterricht hatten wir über Frau Langs Krankenbild, die Halluzination, gesprochen. Dadurch konnte ich auf Florian und die roten Männchen richtig reagieren. Doch die schwarzen Hunde flogen für mich dann doch zu hoch.
Wohnungsauflösung am Sterbebett
Die Weihnachtstage waren gut verlaufen und auch den Jahreswechsel hatten wir bestens überstanden. Die personelle Besetzung über die Feiertage war zwar schwach, aber die Zusammenarbeit klappte hervorragend und allen machte die Arbeit Spaß. Im Herbst hatte ich mein Examen mit „Sehr gut“ bestanden und war zur stellvertretenden Stationsleitung ernannt worden. Nach Bekanntgabe des Einsatzplanes hätte aber nicht viel gefehlt, und meine Kündigung wäre auf den Tisch des Heimleiters gekommen. Ausgerechnet bei „der Chefin“ sollte ich die Stellvertretung werden. Mit dieser „dominanten Königin“ hatte ich wegen ihrer Launen und Schrullen bereits in der Ausbildungszeit manch lautstarke Auseinandersetzung ausgefochten. Als ich der Oberschwester meine Bedenken zu erklären versuchte und um einen anderen Arbeitsplatz bat, bekam ich zur Antwort: „Entweder Sie kommen mit ihr zurecht, oder keiner.“ Ich gab klein bei. Ob das wohl gut gehen würde? Es ging gut. Wir brüllten uns ab und zu kräftig an, klärten dadurch die Kompetenzen und der Laden lief wieder. Wir ergänzten uns in vielen Hinsichten. In meiner Arbeit hatte ich völlig freie Hand. Die „Chefin“ sah ihre Aufgabe im Stellen der täglichen Medikamente, in der Durchführung der Visiten und der Erledigung des ganzen Schreibkrams. Dazu kamen die gefürchteten täglichen Kontrollgänge durch alle Zimmer: Wehe mir, wenn sie auf einem Nachttisch Staub fand, in einem Kissen oder Deckenbezug einen Flecken entdeckte oder ein Patient auf einer faltigen Unterlage gebettet war. Umgehend schallte ihr Ruf nach mir über die ganze Station. Nicht der Mitarbeiter, der in dem Zimmer tätig war, nein – ich hatte dafür die Verantwortung zu tragen.
„Wozu sind Sie meine Vertretung?“, war dann jedes Mal ihr Kommentar.
Über die Festtage hatte ich nun die Verantwortung auf Station. Ein Erlebnis aus diesen Tagen wird mir immer im Gedächtnis bleiben.
Frau Meier lag am Sterben. Kurz vor Weihnachten hatte sie einen Schlaganfall erlitten. Die rechte Körperseite war gelähmt. Frau Meier reagierte weder auf Ansprache, noch auf Berührung. Infusionen liefen Tag und Nacht, eine zusätzliche Magensonde war vom Arzt gelegt worden. Ihre Kinder waren informiert, dass sie jederzeit mit dem Ableben der Mutter rechnen müssten. Am ersten Feiertag kamen die drei Töchter mit vielen Blumen und eingepackten Geschenken zu Besuch. „Was für ein Blödsinn“, dachte ich noch, als ich die Töchter ins Zimmer gehen sah. Frau Meier war die letzten Tage nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Was sollten da die Geschenke? Auf Station war unterdessen alles friedlich. Aus der Lautsprecheranlage rieselten Weihnachtslieder über den Flur. Viele Patienten hatten Besuch. Plötzlich hörte ich laute Stimmen, die nicht in diese Harmonie passen wollten. Immer lauter setzte sich dieses Geschrei durch und es kam ausgerechnet aus dem Zimmer von Frau Meier. Ich lief hin, klopfte – erhielt aber keine Antwort.
„Der Wohnzimmerschrank war mir von Mutti schon lange versprochen. Ebenso die Waschmaschine und der Trockner.“ Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ohne weiteres Anklopfen betrat ich das Zimmer. Die drei Töchter waren lautstark dabei, am Sterbebett ihrer Mutter deren Wohnungsgegenstände unter sich aufzuteilen.
„Mir steht alles zu! Wer hat sich denn die letzten Jahre um Mutter gekümmert?“ Brüllte die eine Tochter. „Das Schlafzimmer habe ich ihr vor Jahren gekauft. Jetzt kann ich es gut für meinen Sohn brauchen“, konterte die Zweite. Sie hatten sich so in den Streit gesteigert, dass sie meine Anwesenheit und das „Psst…“ nicht zur Kenntnis nahmen. In mir kochte die Wut. Waren sie mit Blumen beladen zur Mutter gekommen, um sich hier wegen Erbschaftsangelegenheiten zu streiten? Das hätten sie Zuhause auch gekonnt. Jeder Atemzug Frau Meiers konnte der letzte sein, und diese Hyänen hatten nichts Besseres zu tun, als sich hier am Bett zu zanken und so die Ruhe der Sterbenden zu stören. Kurz entschlossen bat ich alle drei zu mir ins Dienstzimmer, was sie nach anfänglichem Zögern auch befolgten. Dort redete ich ihnen ins Gewissen und versuchte ihnen in klaren Worten nochmals die lebensbedrohliche Lage ihrer Mutter zu schildern. Ich machte ihnen den Vorschlag, sich von ihrer Mutter jetzt zu verabschieden und sich dann Zuhause weiter zu streiten. Jede von den Dreien sollte kurz alleine zur Mutter ins Zimmer gehen. Das wollten sie jedoch nicht. Stattdessen wurde nun ich das Objekt ihrer angestauten Streitlust. Sie keiften mich an, ich solle mich um meinen eigenen Dreck kümmern. Das wären Angelegenheiten, die nur die Familie etwas angingen.
„Es gehört mit zu meinen Aufgaben, ihre Mutter vor solch unwürdigen Szenen zu bewahren.“ Meine Worte brachten das Fass endgültig zum Überlaufen.
„Solche Flegeleien lassen wir uns von so einer jungen Rotznase nicht bieten! Wir werden uns bei der Heimleitung beschweren. Ihren Arbeitsplatz