Hitlers "Mein Kampf". Antoine Vitkine

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Hitlers "Mein Kampf" - Antoine Vitkine страница 6

Hitlers

Скачать книгу

Dieses Buch, von glühendem Nationalismus getragen, war zwar bemerkenswerter, doch auch moderater als Mein Kampf.

      Hitler hingegen behauptet sich mit seiner absolut radikalen Redeweise. Er hängt mit seinen Bestrebungen und der Gewalttätigkeit seiner Ideen die Latte so hoch, dass er die erbittertsten Gegner der Weimarer Republik an sich zu ziehen weiß.

      Der andere Trumpf, den Mein Kampf ausspielen kann, erschließt sich aus dem speziellen gesellschaftlichen Kontext, in dem das Buch veröffentlicht wird: Es bietet Antworten auf Fragen, die zahlreiche Deutsche umtreiben. Warum hat Deutschland den Krieg verloren? Warum ist das Land in eine politische Moderne abgeglitten, die die alte Ordnung fortgefegt und die Macht den Liberalen, Juden und Banken hingegeben, die Straße den Marxisten ausgeliefert hat?

      Mit seinem Rückgriff auf die Thesen der radikalen Rechten in Deutschland öffnet sich Mein Kampf vielfältigsten Erwartungen: Antisemitismus und Antikommunismus kommen hier selbstverständlich auf ihre Kosten, der Hass auf Frankreich ist überschäumend, die Armee wird in einem fort aufrichtigst verteidigt und eine die sozialen Klassen aufhebende Form von Egalitarismus gesteht allen einen Platz in der Politik des nationalsozialistischen Vorhabens zu. Es kommt überdies all denen entgegen, die aus rassistischen und eugenischen Gründen in Besorgnis geraten könnten. Folglich richtet sich das Werk an ein breites Publikum und potenziell antagonistische Gesellschaftsschichten, an Arbeiter, Bauern und die Bürgerschicht, an Militärs, Monarchisten und die Veteranen, die sich in Hitlers Bahnen wiedererkennen, doch genauso an die Industriemagnaten, die in Hitler einen Mann der Ordnung erkennen, der sich darauf versteht, das Volk zu umgarnen. In diesem Buch findet jeder, was ihm gut und richtig erscheint.

      Heutzutage kann man Mein Kampf nicht ohne die Vorstellung lesen, dass annähernd das gesamte darin enthaltene Programm ins Werk gesetzt worden ist; man muss unwillkürlich an die von seinem Autor begangenen Verbrechen denken. Ganz anders ist die Situation eines Zeitgenossen, der 1925 Mein Kampf aufschlägt. Er hat ein politisches Buch, ein Zeugnis brisanter Aktualität vor Augen.

      »Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint!

      Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande, und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Nein, nein: Auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich. Das deutsche Volk besitzt solange kein moralisches Recht zu kolonialpolitischer Tätigkeit, solange es nicht einmal seine eigenen Söhne in einem gemeinsamen Staat zu fassen vermag. Erst wenn des Reiches Grenze auch den letzten Deutschen umschließt, ohne mehr die Sicherheit seiner Ernährung bieten zu können, ersteht aus der Not des eigenen Volkes das moralische Recht zur Erwerbung fremden Grund und Bodens. Der Pflug ist dann das Schwert, und aus den Tränen des Krieges erwächst für die Nachwelt das tägliche Brot.« (1/1) So lauten in Mein Kampf die ersten Worte des ersten Kapitels mit der Überschrift »Im Elternhaus«. Schon in den ersten Sätzen zeigen sich einige der wesentlichen Züge dieses Buches: der schwerfällige Stil, die übermäßigen Abschweifungen, das Fehlen einer strukturierten Argumentation, der emphatische Tonfall romantisierenden Anklangs, die Verflechtung biographischer Elemente mit politischen Aussagen, alles, was zu dieser merkwürdigen Mischform eines Plädoyers pro domo aus Prophezeiungen, Obsessionen und wissenschaftlicher Affektiertheit führt. Und immer spürt man, als leises Wehen oder ausdrücklichen Stoß, den Odem der Gewalt.

      Nun ist der Autor von Mein Kampf weder ein Intellektueller noch ein schreibgewohnter oder sonst irgend diplomierter Mensch. Die Schule hat er früh und mit durchschnittlichen Noten verlassen. Intellektuelle und das in den Universitäten gelehrte Wissen verachtet er. Die Welt der Ideen ist ihm allerdings nicht fremd. Auf verschiedenen Gebieten wie Kunst und Geschichte hält sich der Autodidakt für einen ausgemachten Experten. Er hat eine Menge Bücher gelesen. Als jemand, der wenig Schlaf braucht, verschlingt er auch nachts Werke zu unterschiedlichsten Themen und speichert die Informationen dank eines außergewöhnlichen Gedächtnisses. Als Angehöriger einer vom wissenschaftlichen Positivismus geprägten Generation interessieren ihn Politik und Geschichte ebenso sehr wie die Wissenschaften. Er liest die nationalistischen deutschen Autoren, er macht sich über Arthur de Gobineau, Houston Stewart Chamberlain, Gustave Le Bon, Georg von Schönerer, Werner Sombart oder auch Dietrich Eckart[15] her, sodass er in zahlreichen Sachbereichen, allen voran in Biologie und Medizin, die er besonders schätzt, fest gefügte Ansichten vertritt.

      Jeder Schreibvorgang fügt sich aus Kenntnissen, Überlegungen und, bewusst oder unbewusst, aus psychischer Eigenart. Eine der gequältesten Psychen in dieser Hinsicht ist die des Schriftstellers Adolf Hitler. Dabei hat Hitler durchaus eine Zeit der sozialen Anerkennung und des Erfolgs erlebt, doch vor allem während der Jahre in Linz, Wien und nach dem Ersten Weltkrieg in München Frustrationen, Schwierigkeiten und das schmerzhafte Gefühl durchlitten, sein Leben zu verfehlen und aus den Misserfolgen nicht herauszukommen. Während in diesen Zeiten giftiger Hass, genährt von Verfolgungswahn, in ihm gärt, gelangt er zu der Überzeugung, dass die Misserfolge eine Ursache hätten: Die allgemeine Weltordnung, die Demokratie, der Sozialismus wie auch die Moderne mit ihrer Zerstörung der traditionellen Gleichgewichte. Und die Juden. Als er am Kriegsende in einem Lazarettbett die Nachricht von der Niederlage erfährt, kennt er, obwohl deutschjüdische Kameraden in den Schützengräben direkt neben ihm gelegen hatten, nur eine Reaktion: »Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen!« (2/344)[16] Der Antrieb für Hitlers Ziel, eine Doktrin abzufassen, heißt zweifelsohne Ressentiment in Höchstform. Ressentiment, gewalttätige Instinkte und Wut dominieren Hitlers Weltanschauung. Sie bilden das Gerüst seines Denkens.

      Aus der Remington eines vierunddreißigjährigen Mannes herausgespult, auf dem Holztisch einer Gefängniszelle entworfen und von einigen Vertrauten des Führers überarbeitet, so entsteht also der Text, der sich entlang der jeweiligen Ereignisse zum einzigen ideologischen Bezugspunkt des Dritten Reiches entwickeln wird. Über das Wesen dieser Schriften – die einen halten sie für einen Ausdruck von Logorrhoe, den anderen gelten sie als Zeugnis eines präzise entwickelten nationalsozialistischen Programms[17] – ist lebhaft diskutiert worden. Doch hat sich unter Historikern mehrheitlich ein Konsens herausgebildet. Sie sehen Hitlers Buch inzwischen weniger als ein politisches Programm im traditionellen Sinn, sondern tatsächlich als ein ernst gemeintes politisches Vorhaben an: ein in seinen Absichten klares, bezüglich der Mittel seiner Umsetzung jedoch vage gehaltenes Vorhaben. Nicht mehr und nicht weniger.

      Anders als man erwarten sollte, datiert diese Entdeckung aus jüngerer Zeit als sich annehmen ließe. Wie Ian Kershaw in seiner Hitler-Biographie schreibt: »Noch lange nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches glaubte man allgemein, daß die Hitlersche Botschaft aus nichts als den rohen Phrasen eines machthungrigen Demagogen bestanden hätten und daß der Mann hinter der Botschaft – ähnlich dem klassischen Tyrann früherer Zeiten – selbst keine ernsthaften Gedanken gehabt hätte. Inzwischen wird jedoch allgemein anerkannt, daß hinter dem vagen missionarischen Appell eine Reihe miteinander verbundener Ideen steckte – so widerwärtig und irrational diese auch waren –, aus denen Hitler bis Mitte der zwanziger Jahre eine zusammenhängende Ideologie entwickelt hatte«.[18]

      Die »Kampf«-Doktrin

      Mein Kampf nährt sich an Gefühlen, die damals die gesamte westliche Welt erregen: stürmische nationalistische Leidenschaft, Hass auf die demokratische Moderne und den Liberalismus, bei gleichzeitig aber unbedarftem Glauben an die Wissenschaften. Aus der Feder Hitlers fließen sie in die Form eines

Скачать книгу