Ein schwieriger Fall: Arztroman. G. S. Friebel
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Читать онлайн книгу Ein schwieriger Fall: Arztroman - G. S. Friebel страница 4
»Keine Zeit? Was hast du denn schon vor?« Wie verächtlich das klang!
»Ich gehe jetzt und packe meine Koffer«, meinte sie kurz angebunden.
»Deine Koffer?«
»Ja, ich verlasse dieses gastliche Haus. Und ich hoffe, für sehr, sehr lange.«
Die Mutter wurde hellwach.
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie lauernd.
»Ich habe eine Anstellung erhalten und werde sie jetzt antreten.«
Frau Losse lachte amüsiert auf.
»Das möchtest du mir weismachen, mein Kind! Aber ich weiß es besser. Du hast nichts dergleichen, denn du hast nichts in dieser Richtung an Briefen bekommen.«
Also auch meine Post wird überwacht, dachte die Tochter müde. Aber sie regte sich schon nicht einmal mehr auf. Sie konterte nur kurz: »Man kann sich auch anders Post zuschicken lassen, Mutter. Und du brauchst es mir auch nicht zu glauben, verstehst du. Es macht mir nichts aus. Gar nichts. Ich gehe jetzt und packe meine Sachen, und ich nehme auch nur das mit, was ich mir selbst verdient habe. Damit du nicht etwa sagen kannst, ich hätte dich bestohlen.«
Die alte Frau begriff allmählich, dass dies alles Ernst war.
»Jetzt, da es mir nicht gutgeht, willst du mich verlassen? Du bist wie dein Vater! Immer verließ er mich, wenn ich mich besonders elend fühlte.«
Bettina wunderte sich selbst, woher sie den Mut nahm. Aber sie tat es. Sie ging noch näher auf ihre Mutter zu und meinte sehr freundlich: »Du hast viel Geld, kannst dir also jede medizinische Kapazität kommen lassen. Du bist hier gut aufgehoben.«
»Aber das ist doch was ganz anderes. Du bist mein Fleisch und Blut.«
»Aber damit kannst du mich nicht mehr unter Druck setzen. Und du wirst mir auch nichts dergleichen mehr telegrafieren, verstehst du, Mutter! Ich werde nämlich nicht mehr darauf hereinfallen. Ich bleibe, wo ich bin. Eigentlich tust du mir leid. Liebe bekommst du nie, weil du alle Menschen unter Druck setzt. Sogar Vater hast du so behandelt. Und er war wirklich ein wundervoller Mensch, Mutter. Weißt du, dies ist das Los der eingebildeten Kranken: Wenn sie eines Tages wirklich krank werden, dann glaubt ihnen niemand mehr. Ich hoffe für dich, dass das bei dir nie eintreten wird, denn dann könnte es sein, dass man dich nicht behandelt, weil man müde geworden ist, auf dein Jammern zu achten. Du weißt ja gar nicht, was wirkliches Kranksein bedeutet, wie sehr manche Menschen leiden müssen und sich nichts sehnlicher wünschen, als wieder gesund zu sein, ohne Schmerzen arbeiten zu können, um anderen Menschen eine Freude zu machen. Ja, fröhlich zu sein. Du bist skrupellos und nutzt alle Menschen aus. Auch mich. Aber ich lasse mich nicht mehr unterkriegen, verstehst du, Mutter?«
Die Frau blickte ihre farblose Tochter sprachlos an. So hatte Bettina noch nie zu ihr gesprochen. In ihren Augen war das eine unerhörte Frechheit. Sie hörte gar nicht wirklich zu; sie war nur böse und zornig, weil sie spürte, dass Bettina ihr entglitt.
»Oh, du wirst zurückkommen, verlass dich darauf! Man wird dich nicht lange in der Stellung behalten. Keine Sorge, du wirst schon wiederkommen!«
»Hast du vielleicht vor, es mir schwerzumachen? Hast du vielleicht vor, mit deinem Geld andere zu erpressen, dass sie mich an die Luft setzen? Hast du das vor? Nun, du kannst es ja versuchen. Und das Eine sage ich dir hier und jetzt: Ich komme nicht mehr zurück, auch wenn ich die Stelle verlieren sollte. Lieber gehe ich als Putzfrau oder auch Steine klopfen. Ich komme nicht mehr! Verstehst du mich, Mutter! Ich habe es satt! Ich bin auch ein Mensch! Ich bin erwachsen, ich bin eine Frau, ich bin Ärztin! Ich habe einen Beruf - im Gegensatz zu dir. Du hast nur immer Geld gehabt und sonst gar nichts!«
»Wohin gehst du?«
Bettina drehte sich an der Tür noch einmal um.
»Das werde ich dir nicht sagen.«
Noch ein letzter Pfeil von der Mutter: »Du hast ja nicht mal Geld, um fortzufahren.«
Bettina blickte sie müde an.
»Ich habe ein Bankkonto aus meiner Assistentenzeit, liebe Mutter. Ich habe Geld, wie du siehst. Nicht viel, aber ich komme damit aus. Und jetzt werde ich auch wieder etwas verdienen. Adieu, Mutter! Ich glaube nämlich nicht, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden.«
»Du wirst!«, schrie die Mutter. »Du ...«
Doch sie hörte schon gar nicht mehr, welche Drohungen ihr folgten. Auf der Treppe traf sie das junge Dienstmädchen. Dieses blickte sie lächelnd an.
»Das haben Sie großartig gemacht. Wir alle haben uns schon gefragt: Wann wird sie endlich aufbegehren?«
Bettina drückte ihr dankbar die Hand.
»Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dann muss man wohl kämpfen, wie?«
»Wenn Sie fortgehen, werde ich auch gehen.«
Bettina ging nun in ihr Zimmer, sie riss die Schranktüren auf und warf die Sachen in ihren Koffer. Ich bin frei, sagte sie sich immer wieder. Ich bin wieder Ärztin! Endlich darf ich wieder arbeiten! Sie nahm den Koffer mit ihren Kleidern, die Handtasche und den Arztkoffer, den ihr der Bruder geschenkt hatte. Erhobenen Hauptes verließ sie die Villa.
Ich werde sie nur noch betreten, wenn meine Mutter nicht mehr hier ist, dachte sie.
Zugleich erschrak sie über diesen Gedanken - als Ärztin sollte sie nicht so denken!
Die Mutter schaute ihr vom Fenster aus nach.
»Du wirst zurückkommen! Ich werde herausfinden, wo du bist, und dann ...«
Was sie nicht wusste, war, dass Bettina Losse sogar einen kleinen gebrauchten Wagen ihr eigen nannte. Den hatte sie untergestellt. Jetzt holte sie ihn und löste ihr Bankguthaben auf. Sie sah auf die wenigen Sachen und dachte: Das wird tatsächlich nicht lange reichen. Aber, was soll’s!
Dann fuhr sie davon.
4
Zu Dr. Bernstein hatte sie zwar gesagt: »Kann ich gleich beginnen?« Trotzdem wunderte er sich, als sie bereits am Nachmittag vor seiner Praxistür stand. Er forschte in ihrem Gesicht, konnte aber nichts Beunruhigendes finden. Sie war locker und sogar ein wenig fröhlich. Das war sie damals nicht gewesen, eher mehr linkisch und zurückhaltend.
»Setzen Sie sich! Ich bin froh, dass Sie sich so schnell entschließen konnten. Ich brauche Sie wirklich, denn ich habe jetzt meine eigene kleine Klinik.«
Bettina riss die Augen auf.
»Nein!«
»O doch! Lydia Winter, die ehemalige Sängerin, deren Freundin Johanna und noch eine Patientin von früher haben mir das ermöglicht.«
»Wie schön«, flüsterte sie.
»Nachher werden wir rübergehen, damit ich Ihnen alles zeigen kann. Aber ich sage Ihnen gleich: Im Augenblick habe ich nur zwei Patienten dort.«
»Oh, das ...«