A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth
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Читать онлайн книгу A. S. Tory und die verlorene Geschichte - S. Sagenroth страница 3
Mama telefonierte mit Papa, um auch seine Meinung einzuholen. Nach dem Gespräch sah sie unzufrieden aus. »Na ja, du kennst ihn ja. Wie soll ausgerechnet ein Aussteiger wie er dich davon abhalten, wegzufahren?«, und ließ sich im Anschluss die Nummer von Chiara geben.
Während des Telefonats lief ich nervös vor ihrem Arbeitszimmer auf und ab. Es dauerte entsetzlich lange. Endlich kam sie aus ihrem Zimmer, mit geröteten Wangen. Ich überlegte, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, da huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
»Chiara ist genial, das muss ich zugeben.«
Ich schaute sie fragend an: »Und?«
»Sie hat es tatsächlich geschafft, mich zu überreden, sie meint, du bräuchtest unbedingt eine Auszeit von der Schule. Italien wäre ideal dafür. Und sie würde mit dir Französisch lernen.« Mama lachte kurz auf. »Es fällt mir schwer, aber ja. Du darfst fahren. Auch nach Venedig. Chiara sagt, da würde eine Tante von ihr wohnen. Aber du meldest dich zurück! Und mach keine krummen Sachen! Ich will nicht, dass dich am Schluss wieder ein Kommissar nach Hause bringt. Das musst du mir versprechen!«
»Natürlich. Mach dir keine Sorgen! Danke!« Ich fiel meiner Mutter um den Hals, was nicht mehr leicht gelang, da sie mittlerweile ein gutes Stück kleiner war als ich. Sie wehrte schwach ab, lächelte aber.
Dann eilte ich in mein Zimmer zurück, und konnte mir ein lautes, jauchzendes »Jipp« nicht verkneifen. Ich schickte Chiara drei Daumenhoch mit Lachgesicht als Nachricht, woraufhin sie mit einem Zwinkergesicht antwortete. Ich nahm die LP von Sting vom Plattenteller, fischte Something just like this heraus und startete laut die Musik. Am Laptop suchte ich nach einem Flug von Hannover nach Pisa. Abends packte ich meine Sachen. Für Kanada hatte ich einen neuen großen Reisekoffer bekommen. Den alten zerschlissenen Rucksack vom letzten Jahr nahm ich trotzdem dazu, aus rein nostalgischen Gründen.
Samstag, 29.09.18
Die zwei Schultage vergingen schnell.
Am Samstagmorgen war es so weit. Meine Mutter brachte mich zusammen mit meinem Bruder Ferdi zum Flughafen. Kurz vor der Sicherheitskontrolle drückte sie mich fest.
»Du machst wirklich keine Dummheiten?«
Ich schüttelte den Kopf und gab ihr einen Kuss – das machte ich sonst nie – und brachte Mama damit vermutlich aus der Fassung, knuffte Ferdi, der die ganze Zeit ratlos dabeistand, in die Seite und versprach ihm: »Ich bring dir ein Inter-Mailand-Trikot mit, okay?«
Ferdi nickte. Dann winkten sie, ich passierte den Kontrollbereich und lief zum Gate.
Die verlorene Geschichte
Den Jungen auszuwählen, war eine spontane Entscheidung. Der Name. Auffällig. Und mir so vertraut. Eine Liaison aus deutschem Heldentum und Sagen. Siegmund … Siegfried … Sagenroth …
Nein, ich wollte mich lange Zeit nicht erinnern, will ich das heute?
Diese zweite Reise … Eigentlich war ich im letzten Jahr davon überzeugt, dass es eine einmalige Sache gewesen war. Warum dann doch? Sentimentalität? Angst, vergessen zu werden? Um die Dinge endlich richtigzustellen? Weil es leider wieder aktuell ist? Weil es wieder beginnt, und ich es nicht ertragen kann, auf meine alten Tage zuzusehen?
2. Rückkehr
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Stuttgart landete ich zur Mittagszeit in Pisa. Am Himmel tummelten sich ein paar Schäfchenwolken. Milde Luft empfing mich.
Ich musste nicht lange suchen. Chiaras Rotschopf war in der Menge der Wartenden leicht zu erkennen. Ihr Look war unverändert. Schwarze Cargohose, ein T-Shirt mit frechem Spruch, I freak myself out, darüber eine Lederjacke, das funkelnde Nasenpiercing, die grünen, leuchtenden Augen, die lustigen Sommersprossen und beim ersten Grinsen ihre unverkennbare Zahnlücke.
Wir skypten regelmäßig. Unser letztes Treffen lag aber ein Dreivierteljahr zurück. Ich vergesse nicht die neugierigen Blicke und Kommentare meiner Klassenkameraden, als sie am Schultor stand und mich abholte. Marlon pfiff kurz durch die Zähne, Felix und Tom zogen Grimassen und feixten: »Aha, Sid hat ’ne heimliche Freundin!« und der dümmste Spruch kam von Gregor. »Der kleine Siegmund wird von seiner Mami aus dem Kindergarten abgeholt.« Worte, für die ich normalerweise eine Prügelei riskiert hätte. Ich schaffte es nur knapp, mich zusammenzureißen.
Es war eine Mischung aus »Oh Gott, ist das peinlich!« und »Sie ist echt cool, oder?«, die mir durch den Kopf ging.
Die meiste Zeit versuchte ich, es zu verdrängen. Aber … von Anfang an gefiel mir Chiara. Das Selfie von uns beiden aus Italien hatte sie mir geschickt und ich schaute es mir oft an.
Im Januar zeigte ich Chiara Hannover, wir waren im Kino, zockten am PC, hörten fast meine gesamte Plattensammlung, waren zusammen mit meiner Mutter und Ferdi beim besten Italiener der Stadt, gerade gut genug, um jemandem, der von der toskanischen Küche verwöhnt war, gerecht zu werden, und unterhielten uns ungeheuer viel. Das konnte man mit ihr hervorragend. Wir sprachen über unsere Patchworkfamilien. Ich über Papa und sein neues Leben in Kanada. Chiara von ihrer Mutter in Hamburg und ihrem Vater in Campeto. Ich fragte sie, ob er eine neue Freundin hätte. Chiara zuckte mit den Schultern. »Ab und zu nimmt er sich eine Auszeit und fährt auch mal weg. Er spricht nicht großartig darüber. Im Sommer war Mama bei uns. Fast hatte ich das Gefühl, sie wären sich wieder nähergekommen.«
Mein Bruder Ferdi benahm sich wie so oft ziemlich albern, schoss, während wir auf dem Zimmer waren, Flieger rein, platzte mit seiner Clone Trooper-Maske herein und führte Scheingefechte durch, was mich tierisch nervte, Chiara