A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth

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A. S. Tory und die verlorene Geschichte - S. Sagenroth A. S. Tory

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mein Ver­schwin­den be­merk­te. Sie ver­wies auf die vier­wö­chi­ge Ka­na­dar­ei­se. Pa­pa war vor drei Jah­ren aus­ge­wan­dert und leb­te dort sein neu­es Le­ben. Ich wuss­te, dass ein Ur­laub in den Herbst­fe­rien nicht in Be­tracht kam. Ob­wohl mein Vater ei­nen Groß­teil des Som­mer­ur­laubs über­nom­men hat­te, war allein der Flug zu teu­er ge­we­sen, um direkt wie­der zu ver­rei­sen.

      Ma­ma tele­fo­nier­te mit Pa­pa, um auch sei­ne Mei­nung ein­zu­ho­len. Nach dem Ge­spräch sah sie un­zu­frie­den aus. »Na ja, du kennst ihn ja. Wie soll aus­ge­rech­net ein Aus­stei­ger wie er dich da­von ab­hal­ten, weg­zu­fah­ren?«, und ließ sich im An­schluss die Num­mer von Chia­ra ge­ben.

      Wäh­rend des Tele­fo­nats lief ich ner­vös vor ih­rem Ar­beits­zim­mer auf und ab. Es dau­er­te ent­setz­lich lan­ge. End­lich kam sie aus ih­rem Zim­mer, mit ge­rö­te­ten Wan­gen. Ich über­leg­te, ob das ein gu­tes oder schlech­tes Zeichen war, da husch­te ein Lä­cheln über ihr Ge­sicht.

      »Chia­ra ist ge­ni­al, das muss ich zu­ge­ben.«

      Ich schau­te sie fra­gend an: »Und?«

      »Sie hat es tat­säch­lich ge­schafft, mich zu über­re­den, sie meint, du bräuch­test un­be­dingt ei­ne Aus­zeit von der Schu­le. Ita­li­en wä­re ideal da­für. Und sie wür­de mit dir Fran­zö­sisch ler­nen.« Ma­ma lach­te kurz auf. »Es fällt mir schwer, aber ja. Du darfst fah­ren. Auch nach Ve­ne­dig. Chia­ra sagt, da wür­de ei­ne Tan­te von ihr woh­nen. Aber du mel­dest dich zurück! Und mach kei­ne krum­men Sa­chen! Ich will nicht, dass dich am Schluss wie­der ein Kom­mis­sar nach Hau­se bringt. Das musst du mir ver­spre­chen!«

      »Na­tür­lich. Mach dir kei­ne Sor­gen! Dan­ke!« Ich fiel mei­ner Mutter um den Hals, was nicht mehr leicht ge­lang, da sie mitt­ler­wei­le ein gu­tes Stück klei­ner war als ich. Sie wehr­te schwach ab, lä­chel­te aber.

      Dann eil­te ich in mein Zim­mer zurück, und konn­te mir ein lau­tes, jauch­zen­des »Jipp« nicht ver­knei­fen. Ich schick­te Chia­ra drei Dau­men­hoch mit Lach­ge­sicht als Nach­richt, wo­rauf­hin sie mit ei­nem Zwin­ker­ge­sicht ant­wort­ete. Ich nahm die LP von Sting vom Plat­ten­tel­ler, fisch­te So­met­hing just li­ke this her­aus und star­te­te laut die Musik. Am Lap­top such­te ich nach ei­nem Flug von Han­no­ver nach Pi­sa. Abends pack­te ich mei­ne Sa­chen. Für Ka­na­da hat­te ich ei­nen neu­en gro­ßen Rei­se­kof­fer be­kom­men. Den al­ten zer­schlis­se­nen Ruck­sack vom letz­ten Jahr nahm ich trotz­dem da­zu, aus rein nos­tal­gi­schen Grün­den.

      Samstag, 29.09.18

      Die zwei Schul­ta­ge ver­gin­gen schnell.

      Am Sams­tag­mor­gen war es so weit. Mei­ne Mutter brach­te mich zu­sam­men mit mei­nem Bru­der Fer­di zum Flug­hafen. Kurz vor der Si­cher­heits­kon­trol­le drück­te sie mich fest.

      »Du machst wirk­lich kei­ne Dumm­hei­ten?«

      Ich schüt­tel­te den Kopf und gab ihr ei­nen Kuss – das mach­te ich sonst nie – und brach­te Ma­ma da­mit ver­mut­lich aus der Fas­sung, knuff­te Fer­di, der die gan­ze Zeit rat­los da­bei­stand, in die Sei­te und ver­sprach ihm: »Ich bring dir ein In­ter-Mai­land-Tri­kot mit, okay?«

      Fer­di nick­te. Dann wink­ten sie, ich pas­sier­te den Kon­troll­be­reich und lief zum Ga­te.

      Die verlorene Geschichte

       Den Jun­gen aus­zu­wäh­len, war ei­ne spon­ta­ne Ent­schei­dung. Der Na­me. Auf­fäl­lig. Und mir so ver­traut. Ei­ne Li­ai­son aus deut­schem Helden­tum und Sa­gen. Sieg­mund … Sieg­fried … Sa­gen­roth …

       Nein, ich woll­te mich lan­ge Zeit nicht er­in­nern, will ich das heu­te?

       Die­se zwei­te Rei­se … Eigent­lich war ich im letz­ten Jahr da­von über­zeugt, dass es ei­ne ein­ma­li­ge Sa­che ge­we­sen war. Wa­rum dann doch? Sen­ti­men­ta­li­tät? Angst, ver­ges­sen zu wer­den? Um die Din­ge end­lich rich­tig­zu­stel­len? Weil es lei­der wie­der ak­tu­ell ist? Weil es wie­der be­ginnt, und ich es nicht er­tra­gen kann, auf mei­ne al­ten Ta­ge zu­zu­se­hen?

      2. Rückkehr

      Nach ei­nem kur­zen Zwi­schen­stopp in Stutt­gart lan­de­te ich zur Mit­tags­zeit in Pi­sa. Am Himmel tum­mel­ten sich ein paar Schäf­chen­wol­ken. Mil­de Luft emp­fing mich.

      Ich muss­te nicht lan­ge su­chen. Chia­ras Rot­schopf war in der Men­ge der War­ten­den leicht zu er­ken­nen. Ihr Look war un­ver­än­dert. Schwar­ze Car­go­ho­se, ein T-Shirt mit fre­chem Spruch, I fre­ak my­self out, da­rüber ei­ne Leder­ja­cke, das fun­keln­de Na­sen­pier­cing, die grü­nen, leuch­ten­den Augen, die lus­ti­gen Som­mer­spros­sen und beim er­sten Grin­sen ih­re un­ver­kenn­ba­re Zahn­lü­cke.

      Wir skyp­ten re­gel­mä­ßig. Un­ser letz­tes Tref­fen lag aber ein Drei­vier­tel­jahr zurück. Ich ver­ges­se nicht die neu­gie­ri­gen Bli­cke und Kom­men­ta­re mei­ner Klas­sen­ka­me­ra­den, als sie am Schul­tor stand und mich ab­hol­te. Mar­lon pfiff kurz durch die Zäh­ne, Fe­lix und Tom zo­gen Gri­mas­sen und feix­ten: »Aha, Sid hat ’ne heim­li­che Freun­din!« und der dümm­ste Spruch kam von Gre­gor. »Der klei­ne Sieg­mund wird von sei­ner Ma­mi aus dem Kin­der­gar­ten ab­ge­holt.« Wor­te, für die ich nor­mal­er­wei­se ei­ne Prü­ge­lei ris­kiert hät­te. Ich schaff­te es nur knapp, mich zu­sam­men­zu­rei­ßen.

      Es war ei­ne Mi­schung aus »Oh Gott, ist das pein­lich!« und »Sie ist echt cool, oder?«, die mir durch den Kopf ging.

      Die meis­te Zeit ver­such­te ich, es zu ver­drän­gen. Aber … von An­fang an ge­fiel mir Chia­ra. Das Sel­fie von uns bei­den aus Ita­li­en hat­te sie mir ge­schickt und ich schau­te es mir oft an.

      Im Ja­nu­ar zeig­te ich Chia­ra Han­no­ver, wir waren im Ki­no, zock­ten am PC, hör­ten fast mei­ne ge­sam­te Plat­ten­samm­lung, waren zu­sam­men mit mei­ner Mutter und Fer­di beim be­sten Ita­lie­ner der Stadt, ge­ra­de gut ge­nug, um je­man­dem, der von der tos­ka­ni­schen Kü­che ver­wöhnt war, ge­recht zu wer­den, und un­ter­hiel­ten uns un­ge­heu­er viel. Das konn­te man mit ihr her­vor­ra­gend. Wir spra­chen über un­se­re Pat­chwork­fa­mi­lien. Ich über Pa­pa und sein neu­es Le­ben in Ka­na­da. Chia­ra von ih­rer Mutter in Ham­burg und ih­rem Vater in Cam­pe­to. Ich frag­te sie, ob er ei­ne neue Freun­din hät­te. Chia­ra zuck­te mit den Schul­tern. »Ab und zu nimmt er sich ei­ne Aus­zeit und fährt auch mal weg. Er spricht nicht groß­ar­tig da­rüber. Im Som­mer war Ma­ma bei uns. Fast hat­te ich das Ge­fühl, sie wä­ren sich wie­der nä­her­ge­kom­men.«

      Mein Bru­der Fer­di be­nahm sich wie so oft ziem­lich al­bern, schoss, wäh­rend wir auf dem Zim­mer waren, Flie­ger rein, platz­te mit sei­ner Clo­ne Troo­per-Mas­ke her­ein und führ­te Schein­ge­fech­te durch, was mich tie­risch nerv­te, Chia­ra

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