A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth

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A. S. Tory und die verlorene Geschichte - S. Sagenroth A. S. Tory

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Dör­fer im Wech­sel, ein­sam ge­le­ge­ne Wein­gü­ter, sie äh­nel­ten alle ein biss­chen Cam­pe­to. Nicht alles war tos­ka­ni­sche Idyl­le. Strom­mas­ten, Fa­bri­ken, ver­ein­zelt Hoch­häu­ser, braun, her­un­ter­ge­kom­men. Die bun­ten Wä­sches­tü­cke, die hier vor den Fens­tern hin­gen, wirk­ten wei­taus we­ni­ger mal­er­isch als in Cam­pe­to oder Mon­te­ver­di.

      Nach ei­ner Stun­de tra­fen wir im Bahn­hof von Flo­renz ein, wo wir ei­ne knap­pe hal­be Stun­de Zeit zum Um­stei­gen hat­ten. Den schwe­ren Kar­ton mit dem Wein über­nahm ich und ver­fluch­te den Um­stand, dass Fe­de­ri­co uns mit ei­nem so un­hand­li­chen Ge­päck­stück be­dacht hat­te. Zum Glück schaff­te ich es, ihn heil durch das Ge­wu­sel des Bahn­hofs zu ba­lan­cie­ren.

      Für die Fahrt von Flo­renz bis Ve­ne­dig fan­den wir in ei­nem über­füll­ten Groß­raum­wag­gon noch Sitz­plät­ze, die na­he ge­nug zu­sam­men­lagen, dass wir uns zu­min­dest über den Gang hin­weg un­ter­hal­ten konn­ten.

      »Wird Emi­lia uns ab­ho­len?«

      Chia­ra schüt­tel­te den Kopf. »Nein, sie führt ein klei­nes Hotel und hat da­her für so et­was kei­ne Zeit. Wir wer­den uns vom Bahn­hof aus ein Was­ser­ta­xi neh­men. Da­für ha­ben wir den Luxus, kos­ten­los in ih­rem Hotel zu woh­nen. Sie hat­te noch Zim­mer frei, was allein schon ein Wun­der in Ve­ne­dig ist, und Glück für uns.«

      »Dann wer­de ich ihr den Wein nicht gleich am Bahn­hof in die Hän­de drü­cken kön­nen. Aber Was­ser­ta­xi hört sich gut an!«

      Ich ent­schied mich, Lu­do­vi­cas Pick­nick­paket in An­griff zu neh­men. Er­gän­zend hat­ten wir uns bei­de je­weils ei­nen Cap­puc­ci­no-to-go auf dem Bahns­teig ge­holt, der lei­der nicht ver­hin­dern konn­te, dass ich ir­gend­wann ein­nick­te. Am Vor­abend war es spät ge­wor­den und wir waren recht früh am Mor­gen los­ge­fah­ren.

      Als mich Chia­ra vor­sich­tig wach­rüt­tel­te, fuhr der Zug be­reits auf die La­gu­ne zu. Dicht ne­ben uns das Meer! Es sah auf dem er­sten Blick so aus, als wür­den wir über das Was­ser flie­gen. Ich stand auf, um bes­ser se­hen zu kön­nen. Glit­zern­des Blau, un­ter­bro­chen von schma­len Grün­strei­fen und ei­nem nie­dri­gen Ge­län­der, das die Bahns­tre­cke säum­te und vom Meer trenn­te. Dann roll­ten wir ei­nem brei­te­ren Schie­nen­netz ent­ge­gen, das Meer ver­schwand wie­der lang­sam aus dem Sicht­feld. Man konn­te den Bahns­teig be­reits se­hen. Ei­lig griff ich mei­nen Kof­fer und mei­ne Ja­cke aus der Ge­pä­ckla­ge, nahm den Wein­kar­ton un­ter den Arm und dräng­te Chia­ra, die sich nicht von ih­rem Buch lö­sen konn­te, sich zu be­ei­len.

      »Va be­ne. Cal­ma. Ve­ne­dig wird heu­te noch nicht un­ter­ge­hen.«

      »Schon klar … trotz­dem müs­sen wir nicht die Zeit ver­trö­deln. Ve­ne­dig sieht man nicht alle Ta­ge, oder?«

      Die Fahrt wur­de lang­sa­mer. Auf ei­nem blau­em Schild stand Ve­ne­zia S. Lu­cia. Sto­ckend und quiet­schend kam der Zug zum An­hal­ten. Usci­ta. Wir reih­ten uns in den Pulk der an­de­ren Fahr­gäs­te ein, die auf das Öff­nen der Türen war­te­ten.

      In der Bahn­hofs­hal­le wu­sel­ten, wie er­war­tet, Tausen­de Men­schen um­her. An­den­ken­kitsch und teu­re Bou­tiquen dicht an dicht. Ein Gi­tar­ren­spie­ler, der Coun­ting Stars von One Re­pu­blic spiel­te. Er war sehr gut und wir hiel­ten kurz an, um ihm zu­zu­hö­ren. Dann zo­gen wir weiter mit un­se­ren Kof­fern Rich­tung Aus­gang. Auf der brei­ten Platt­form drau­ßen blie­ben wir ste­hen. Wow! Vor uns der Blick auf die Stadt und den Ca­na­le Gran­de. Der Himmel blau-grau, auf dem Platz ein Ge­tüm­mel an Tou­ris­ten mit Foto­ap­pa­ra­ten, Smart­pho­nes, Sel­fies­ticks. Fre­che Mö­wen und lau­ern­de Tauben, die er­war­tungs­voll zwi­schen­drin rums­tol­zier­ten, um auf den Hap­pen zu war­ten, der viel­leicht doch ab­fiel.

      »Komm ja nicht auf die Idee sie zu füt­tern! Das kann rich­tig teu­er wer­den!«, warn­te mich Chia­ra.

      Das hat­te ich nicht ge­wusst. Aber ich hat­te eh fast alles auf­ge­ges­sen, was Lu­do­vi­ca uns mit­ge­ge­ben hat­te.

      Am An­le­ge­steg war­te­ten zahl­rei­che die­ser be­rühmt­en schwar­zen Gon­deln. Gut er­kenn­bar an ih­ren schwarz-weiß-ge­rin­gel­ten Shirts hiel­ten die Gon­do­lie­re Aus­schau nach der näch­sten Tou­ris­ten­la­dung.

      »Das da drü­ben mit der tür­kis­far­be­nen Kup­pel ist die Chie­sa San Si­meon Pic­co­lo. Und da vor­ne kön­nen wir gleich ein Va­po­ret­to neh­men.«

      Wir kauf­ten uns Tages­ti­ckets und be­stie­gen zu­sam­men mit an­de­ren Rei­sen­den ei­nes der be­reits­te­hen­den Was­ser­ta­xis. Hal­te­punkt soll­te für uns San Mar­co sein. Ganz in der Nä­he hat­te Emi­lia ihr klei­nes Hotel.

      Die Fahrt auf dem Ca­na­le Gran­de war ein­zig­ar­tig. Chia­ra lach­te und mein­te, ich sä­he köst­lich aus, wenn ich die­ses Stau­nen im Ge­sicht hät­te. Sie form­te mit dem Mund ein gro­ßes ›O‹. »Du siehst ge­ra­de aus wie ei­ner die­ser Porgs aus Star Wars, Epi­so­de acht. Du weißt, was ich mei­ne? Die­se lus­ti­gen Eu­len­vögel.«

      »Was für ein hüb­scher Ver­gleich. Wenn ich mich recht er­in­ne­re, sa­hen die aber voll nied­lich aus und waren die heim­li­chen Stars des Films.« Ich form­te mei­ner­seits ein auf­fäl­li­ges ›O‹ mit dem Mund und mach­te mit den Ar­men Flat­ter­be­we­gun­gen. Ei­ne jun­ge ja­pan­is­che Tou­ris­tin schau­te mich er­staunt an und foto­gra­fier­te mich dann, wo­rauf­hin ich den Blöd­sinn stopp­te. Chia­ra ki­cher­te. Ich be­müh­te mich im An­schluss, der Schiff­fahrt mit fest ver­schloss­enem Mund zu fol­gen, aber nicht we­ni­ger auf­merk­sam und be­geis­tert. Wir fuh­ren an ur­al­ten Ge­bäu­den mit läng­li­chen Fens­tern, Rund- und Spitz­bö­gen, Ar­ka­den, Bal­kons, Or­na­men­ten und Ver­zie­run­gen vor­bei, die dicht an dicht sich aus dem hell­grü­nen, leicht schlam­mig-trü­ben Was­ser er­ho­ben und die ich bis­lang nur aus Fil­men und Wer­be­pro­spek­ten kann­te: Ro­te, hell­grü­ne, gel­be oder brau­ne Pa­laz­zi, man­che da­von breit, nie­drig, lang ge­streckt, mit Mar­ki­sen, Säulen­ein­gän­gen, die ei­nen präch­tig, an­de­re ver­fal­len, mit ab­blät­tern­der Far­be, an­ge­nagt vom Zahn der Zeit und dem ewi­gen Spiel des Meeres. Dicht mit Al­gen be­wachs­ene Holz­pfäh­le, an de­nen das Was­ser auf und ab schwapp­te. Über­all kreuz­ten Gon­deln und weite­re Was­ser­ta­xis un­se­re Fahrts­tre­cke. Son­nen­be­brill­te Tou­ris­ten, die sich ge­gen­sei­tig film­ten und foto­gra­fier­ten.

      Bei San Mar­co leg­te das Va­po­ret­to an und wir klet­ter­ten an Land. Ich hiev­te un­se­re Ge­päck­stü­cke aus dem schwan­ken­den Schiff. Chia­ra hol­te ihr Han­dy her­vor und rief die App auf, um den schnell­sten Weg zu Emi­li­as Hotel zu fin­den. »Ma­xi­mal fünf Mi­nu­ten. Wir müs­sen da lang.«

      4. Emilia, Cannaregio und Bassani

      Sie hat­te die­se alters­lo­se Schön­heit, die we­ni­gen ver­gönnt ist. Gro­ße, dunk­le, aus­druckss­tar­ke Augen, lan­ge Wim­pern, bron­ze­far­be­ne

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