A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth

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A. S. Tory und die verlorene Geschichte - S. Sagenroth A. S. Tory

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schnell hoch­zog. Der al­te Mann kam lä­chelnd auf uns zu. »Sie müs­sen Sid und Chia­ra sein. Will­kom­men im Ghet­to Vec­chio. Wie schön, dass Sie zu uns ge­fun­den ha­ben. Ich bin Rab­bi Sa­mu­el Bass­ani.« Er schüt­tel­te uns die Hand, for­der­te da­zu auf, uns hin­zu­set­zen und schenk­te uns Was­ser ein. Dann setz­te er sich uns ge­gen­über.

      »Sie wol­len al­so die Ge­schich­te der Fa­mi­lie To­ra­ni hö­ren. Nun, den An­fang kann ich Ih­nen er­zäh­len …«

      Ver­wun­dert sa­hen Chia­ra und ich uns an. Herr Bass­ani kann­te un­se­re Na­men und hat­te uns er­war­tet? Und wer war die Fa­mi­lie To­ra­ni?

      Die verlorene Geschichte

       Sie bei­de ha­ben mir et­was ge­zeigt, was ich schon längst ver­ges­sen hat­te. Die Welt un­vor­ein­ge­nom­men zu se­hen, oh­ne Vor­ur­tei­le und Res­sen­ti­ments. Of­fen, mit die­ser fast kind­li­chen Be­geis­te­rung. Ei­ne Leich­tig­keit, die ich in mei­nem Al­ter nicht mehr emp­fin­den kann, der ich je­doch frü­her rast­los hin­ter­her­ge­jagt bin. Mit all mei­nen Rei­sen, mit dem Sam­meln von Musik und Ge­schich­ten. Es sind die­se stau­nen­den Augen, die nur die Jugend hat, die mich glü­cklich ge­macht und mir et­was ge­schenkt ha­ben, was ich selbst viel­leicht nie in der Form er­le­ben konn­te.

       Und so er­scheint es mir auch jetzt, dass nur die­se Augen mein Le­ben be­trach­ten kön­nen.

      5. Bassani erzählt

      »Ich bin Jahr­gang 1927. Ich wur­de hier ge­bo­ren und bin so et­was wie der letz­te Hü­ter ei­ner jahr­hun­dert­eal­ten Tra­di­tion. Mein Vater und mein Groß­vater waren be­reits Rab­bi­ner und auch in den Ge­ne­ra­tio­nen da­vor ha­ben mei­ne Vor­fah­ren die Tho­ra und die Ge­schich­te un­se­rer Väter ge­lehrt. Ich ha­be das Glück, dass auch ei­ni­ge mei­ner Kin­der hier wohn­haft ge­blie­ben sind. Das hüb­sche klei­ne Mäd­chen, das Ih­nen die Tür ge­öff­net hat, ist mei­ne Ur­en­ke­lin He­le­na. Aa­ron – den Sie un­ter an­de­rem Na­men ken­nen – und sei­nen Vater Ab­ra­ham To­ra­ni ha­be ich nicht mehr ken­nen­ge­lernt. Ab­ra­ham ist schon vor mei­ner Ge­burt fort­ge­zo­gen. Wohl aber kann­te ich Aa­rons Groß­eltern, sei­nen On­kel und des­sen Fa­mi­lie. Ihr ehe­ma­li­ges Wohn­haus liegt direkt ge­gen­über. Wenn Sie ge­nau schau­en, kön­nen Sie immer noch die ver­wit­ter­ten Buch­sta­ben er­ken­nen. Li­bri To­ra­ni. Sie hat­ten in die­sem Vier­tel ei­ne der be­sten Buch­hand­lun­gen und waren so et­was wie ei­ne In­sti­tu­tion.«

      Ich sah zu Chia­ra hin­über. Das Foto. Sie nick­te. Dann kram­te sie in ih­rer Ta­sche und zog die Bild­aus­drucke her­vor, die uns To­ry per E-Mail ge­schickt hat­te, und zeig­te sie Sig­no­re Bass­ani. »Ja, das ist es. Aber es ist ei­ne spä­te­re Auf­nah­me. Muss so aus den Fünf­zi­ger­jah­ren sein.« Bass­ani be­trach­te­te das an­de­re Bild und run­zel­te die Stirn. »Das hier ist ge­wiss nicht von hier. Schau­en Sie. Der Jun­ge trägt ei­ne Kin­der­uni­form der Hit­ler­jugend.«

      Wir sa­hen uns das al­te Foto noch­mals an. Für mich waren es nur ein Mäd­chen im Dirndl und ein Jun­ge in Knie­bund­ho­sen ge­we­sen. Dass das ei­ne Hit­le­ru­ni­form war, war mir bis­her nicht auf­ge­fal­len.

      »Wir ha­ben auch ei­ne Gra­tu­la­tions­an­zei­ge aus ei­ner Zei­tung. Ei­ne Mar­ga­ret­he Reu­ters, ge­bo­re­ne von Ber­ne­ke. Zum Fünf­und­neun­zigs­ten.« Chia­ra hielt dem al­ten Mann den Aus­druck mit der An­zei­ge hin. »Ken­nen Sie sie?«

      »Nein, tut mir leid. Ich ha­be kei­ne Ah­nung, wer das sein könn­te.«

      Sig­no­re Bass­ani zeig­te auf das Bü­cher­regal. »Hier be­fin­den sich ei­ni­ge al­te Bü­cher, die mei­ne Eltern bei den To­ra­nis ge­kauft ha­ben. Die To­ra­nis ge­hör­ten ge­nau­so wie mei­ne Fa­mi­lie zu den­je­ni­gen, die hier seit Jahr­hun­der­ten an­säs­sig waren. Ich weiß nicht, in­wie­weit Sie bei­de sich be­reits mit dem ita­lie­ni­schen Ghet­to be­schäf­tigt ha­ben. Sie sind noch so jung … Aber es ist ein ganz be­son­de­res Ka­pi­tel un­se­rer Ge­schich­te, mit dem ich Stun­den fül­len kann. Immer noch ma­che ich ab und an Füh­run­gen für Tou­ris­ten. Ich bin auch frü­her viel ge­reist, um auf Vor­trä­gen un­ser Kultur­er­be zu ver­brei­ten. Auf die­se Wei­se ha­be ich auch Deutsch ge­lernt – ei­ne Spra­che, die mir eigent­lich ver­hasst sein soll­te … Nun, ich möch­te Ih­nen kei­nen Vor­trag über das Ghet­to hal­ten – oder ha­ben Sie bis zu die­sem Punkt Fra­gen?«

      Chia­ra und ich schüt­tel­ten den Kopf. Wir waren zu ge­spannt und neu­gie­rig da­rauf, was er sonst noch zu sa­gen hat­te, und woll­ten sei­ne Er­zäh­lung nicht un­ter­bre­chen. Und na­tür­lich woll­ten wir hö­ren, was die­se Fa­mi­lie To­ra­ni mit A. S. To­ry ge­mein­sam hat­te.

      »Auch, wenn ich ihm nie be­geg­net bin, weiß ich doch ein biss­chen von Aa­rons Vater, Ab­ra­ham To­ra­ni. Er wur­de hier 1897 ge­bo­ren und hat mit sei­nem Vater Ema­nu­el die Buch­hand­lung ge­führt. Ema­nu­el war ein sehr gläu­bi­ger Ju­de, der viel auf die Tra­di­tion ge­ge­ben hat. Der jun­ge Ab­ra­ham war da an­ders, sehr in­te­res­siert an der neu­en Li­te­ra­tur und mo­der­nen Spra­chen und be­ein­flusst von den li­be­ra­len Strö­mun­gen und Be­stre­bun­gen der Jahr­hun­dert­wen­de. So hat man es mir spä­ter er­zählt. An­fang der Zwan­zi­ger­jah­re hat­te er auf ei­ner Rei­se nach Wien ei­ne Ös­ter­rei­che­rin ken­nen­ge­lernt. Zum Ent­set­zen sei­ner Eltern kei­ne Jü­din, son­dern ei­ne Chris­tin. Bei dem jun­gen Mann hat den­noch die Lie­be ge­siegt und er ist zu­sam­men mit Eli­sa­beth, so hieß die jun­ge Frau, nach Wien ge­zo­gen und kur­ze Zeit spä­ter nach Ber­lin. Über die­se Lebens­ab­schnit­te kann ich Ih­nen lei­der nicht viel er­zäh­len. Si­cher ist, dass Ab­ra­ham und Eli­sa­beth zwei Kin­der be­kom­men ha­ben, ei­nen Jun­gen und ein Mäd­chen. Tja, den Jun­gen ken­nen Sie.«

      Wir hat­ten Bass­ani bis hier­hin ge­bannt zu­ge­hört. Chia­ra hat­te sich zu­letzt fest auf die Lip­pen ge­bis­sen, bei ihr ein deut­li­ches An­zeichen für Span­nung. Nun schien es aus ihr her­aus­zu­plat­zen. »A. S. To­ry!«

      Sa­mu­el Bass­ani schau­te sie über­rascht an, räu­sper­te sich dann.

      »Nun, Sie ken­nen ihn an­schei­nend un­ter die­sem Na­men. Als er mich die­se Ta­ge kon­tak­tier­te, um Ih­ren Be­such an­zu­kün­di­gen, hat er das be­reits er­wähnt. A. S. To­ry … In­te­res­sant. Der Klang ist ähn­lich und die Ini­ti­alen sind iden­tisch. Wie er mir ge­gen­über an­ge­deu­tet hat, heißt er mitt­ler­wei­le ganz an­ders. Aber sein da­ma­li­ger Na­me war Aa­ron. Aa­ron Si­mon To­ra­ni.«

      »Non ci cre­do!«

      Auch ich war ir­gend­wie per­plex, ob­wohl ich es wäh­rend der Er­zäh­lung Bass­anis be­reits ge­ahnt hat­te. Es zu hö­ren, war den­noch et­was ganz an­de­res. »Und er heißt jetzt nicht mehr so? Ken­nen Sie sei­nen jet­zi­gen Na­men?«

      Bass­ani schüt­tel­te den Kopf. »Nein. Den hat er mir nicht ge­nannt. Wa­rum er ein sol­ches Ge­heim­nis

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